Die "Mütter von Srebrenica", hier bei einer Demo vor der schwedischen Botschaft in Sarajevo am 5. November, werden auch am Dienstag in Stockholm gegen Peter Handkes Nobelpreis protestieren.

Foto: APA/AFP/ELVIS BARUKCIC

Bisher war es ruhig in Stockholm. Die einzigen Menschenaufläufe vor dem Haus der Schwedischen Akademie sah man in den vergangenen Tagen am Weihnachtsmarkt nebenan. Wenn der Autor Peter Handke am Dienstag im Konzerthaus aber in einer Zeremonie vom schwedischen König die Nobelmedaille und die Urkunde überreicht bekommt, könnte sich das ändern. Kriegsopfervertreter beider Seiten werden dann Kundgebungen abhalten.

Da wäre einerseits eine gegen den Entscheid für den Autor, organisiert von zwei bosnischstämmigen Schweden. Teufika Šabanoviæ ist 1990 in Srebrenica zur Welt gekommen, ihr Vater und zwei Drittel ihrer Familie verloren beim Genozid ihr Leben. Adnan Mahmutovic wurde im Norden des Landes geboren, wo 1992 bei ethnischen Säuberungen Mitglieder seiner Familie in Konzentrationslager deportiert wurden. Mit 17 konnte er fliehen und ist heute Literaturwissenschafter in Stockholm. Beide wollen nicht auf die emotionale Opferrolle fixiert werden, das lenke vom intellektuellen Kern ihres Protests ab, sagen sie beim Gespräch Sonntagabend.

Demo als differenzierte Debatte

Als Handke Anfang Oktober das Rennen um den Nobelpreis machte, kannten sie einander noch nicht, waren aber gleichermaßen schockiert. Einen Protest hatten sie noch nie organisiert; doch sie begannen, Wissenschafter, Autoren und Organisationen, die in den losbrechenden Diskussionen spannende Beiträge lieferten, nach Stockholm einzuladen. Angekündigt sind etwa Überlebende der Konzentrationslager und die "Mütter von Srebrenica". Die Kundgebung (18 Uhr) soll keine Demo werden, sondern eine differenzierte Debatte auslösen.

Šabanoviæ und Mahmutovic protestieren nicht gegen Handkes Jugoslawien-Texte, er könne schreiben, was er wolle, sagen sie. Sorge macht beiden aber, dass der Preis mit seiner Symbolwirkung schiefe Narrative Handkes legitimiere und sich so in die bis heute heikle Lage auf dem Balkan mische.

"Viele Knochen von Opfern liegen noch im Boden, die nie eingesammelt und identifiziert worden sind", sagt Šabanoviæ. Der Nobelpreis rufe in der Bevölkerung das Gefühl hervor, die Welt hätte ihr wieder den Rücken zugewandt. Dass Handke auf der Pressekonferenz Fragen zu Srebrenica mit Klopapier verglich, sei für die Opfer entwürdigend gewesen.

Preis befeuere Nationalismus in der Region

"Ich kann verstehen, dass Handke damals einen Dialog anstoßen wollte", sagt Šabanoviæ. "Inzwischen aber gibt es Beweise, Zeugen und Gerichtsurteile. Ich habe viele serbische Freunde, und sogar die erkennen sich in Handkes Beschreibungen nicht, weil diese so romantisiert sind. Es gibt einen auf den Genozid aufbauenden Nationalismus in der Region, und dieser Preis für Handke befeuert ihn nur", blickt sie besorgt auf ihre Heimat. Literatur sei zwar frei, trage aber auch Verantwortung. Sie müsse mitbedenken, was Ideen anrichten können. Es brauche endlich einen offenen Dialog in den Nachfolgestaaten Ex-Jugoslawiens, wo die unaufgearbeitete Vergangenheit einer blühenden Zukunft im Weg stehe, ergänzt Mahmutovic.

"Wir dürfen die dunkle Geschichte und welche Ideologien dorthin geführt haben nicht vergessen", so Šabanoviæ. Beide hörten das Gerücht, dass serbische Nationalisten bezahlte Protestierende nach Stockholm bringen.

Damit wären wir bei einem anderen Treffen, das am Montag in Stockholm stattgefunden hat. In einem Kulturbüro sitzen vier serbische Frauen. Sie sind angereist, um am Tag der Preisverleihung an Handke mit geschulterten Taschen, die mit seinem Konterfei bedruckt sind, "friedliche Präsenz zu zeigen".

"Eigene Wahrheit"

Was sie mit Handke verbinden? Er sei vor 30 Jahren als einer von wenigen nicht eines journalistischen Auftrags wegen, sondern aus eigenem Antrieb auf den Balkan gekommen, habe zugehört, die Situation vor Ort verfolgt. "Er wollte seine eigene Wahrheit herausfinden." Sie wollen sich jetzt dafür revanchieren.

Die Gerüchte, sie würden vom serbischen Staat für ihren Auftritt bezahlt, weisen sie zurück. Ihre Reise werde allerdings von Serbien finanziell unterstützt. Die Frauen haben den Krieg miterlebt. Das Problem sei, dass muslimische Bosnier immer nur sich selbst als Opfer des Konflikts sähen. Srebrenica? Sei ein Verbrechen, aber weit vom Holocaust entfernt. Mit radikaleren Protestanten wollen sie nichts zu tun haben. Die Debatte ist kompliziert.(Michael Wurmitzer aus Stockholm, 9.12.19)