Es gibt "zu viele blockierende Länder, die in engem Schulterschluss mit fossilen Lobbyisten versuchen, den Prozess zu torpedieren", sagt Christoph Bals von Germanwatch.

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Am Dienstag legt Germanwatch dem neuen Klimaschutz-Index vor. Damit soll der Druck auf jene Länder erhöht werden, die in Sachen Emissionsreduktion noch wenig Ambitionen zeigen – weil aktuell kein Land Kurs auf die Erreichung der Pariser Klimaziele nimmt, werden die ersten drei Plätze dabei traditionellerweise gar nicht vergeben. Christoph Bals, der politische Direktor der NGO, ist in Madrid vor Ort und spricht über seine Erwartungen an den Gipfel.

STANDARD: In Madrid findet auch ein Gegengipfel statt. Dort wird kritisiert, dass beim eigentlichen Gipfel nicht genug für den Klimaschutz getan wird. Was sagen Sie dazu?

Bals: Es ist nicht die direkte Aufgabe des Klimagipfels, die Emissionen zu verringern, sondern jene der Nationalstaaten. Der Gipfel kann nur die Wahrscheinlichkeit erhöhen, dass das gelingt. So ein Gipfel hat eine beschränkte, aber wichtige Rolle. Diese kann er allerdings derzeit nur beschränkt nützen, weil es einfach zu viele blockierende Länder gibt, die im engen Schulterschluss mit fossilen Lobbyisten versuchen, den Prozess zu torpedieren.

STANDARD: Wo stehen wir derzeit?

Bals: An einem Scheidepunkt. Wir haben in den letzten 11.000 Jahren in einer Zeit gelebt, in der sich die Temperaturschwankungen um bis zu einem Grad gegenüber vorindustriellen Werten bewegten. Daran waren die menschliche Kultur und alle Ökosysteme angepasst. In den vergangenen Jahren haben wir dieses stabile Klima verlassen. Ab jetzt zählt jedes Zehntelgrad, jede Klimaschutzaktion und jedes Jahr. Gleichzeitig sind wir auf der Konferenz in einer Situation, auf der Dinge nur im Konsens beschlossen werden können. Das man unter diesen Rahmenbedingungen die notwendigen transformativen Beschlüsse nicht herausbekommt, ist offensichtlich. Das ist keine Kritik am Prozess selbst, sondern an den Regierungen, die ihn blockieren.

STANDARD: Kritisiert wird auch, dass diese Klimakonferenz nur ein "Zwischengipfel" bis zum nächsten Jahr sei. Was sagen Sie dazu?

Bals: UN-Generalsekretär António Guterres nannte ihn einen Notfallgipfel – das ist hochpolitisch. Die Delegierten müssen die letzten Regeln des Pariser Abkommens zu Ende verhandeln. Wenn das nicht geschieht, dürften die Staaten Emissionen ohne Rahmen handeln – das wäre Emissionshandel wie im Wilden Westen. Das würde die ganze Integrität des Abkommens untergraben. Aber es geht um mehr hier: Eine große Frage ist, wie die Klimaziele verschärft werden können – insbesondere in den G20-Ländern, die 80 Prozent der Emissionen produzieren. Bisher ist die Anhebung der Klimaziele eine "Sollvorschrift", Ziel ist, daraus eine "Mussvorschrift" zu machen.

STANDARD: Germanwatch fordert eine Vorreiterrolle der EU beim Klimaschutz. Geschieht das?

Bals: Die Minister sind erst seit Montag hier in Madrid. Bisher waren es eher technische Verhandlungen. Was wir jetzt erwarten, ist, dass die EU den angekündigten Prozess, mit dem die Klimaziele für 2030 erhöht werden sollen, auch wirklich startet und bis Mitte 2020 abschließt. Es sollte klar sein, dass das in Richtung 50 bis 55 Prozent Emissionsreduktion geht. Wenn das die EU als Gemeinschaft nicht sagen kann, weil insbesondere drei Länder blockieren, müssen es möglichst viele Minister der Einzelstaaten als Ziel vorgeben. Diese Spannbreite will man dann im nächsten Jahr in bilateralen Verhandlungen mit Indien und China nutzen – der Abtausch könnte dann lauten: "Wir reduzieren unsere Emissionen um 55 Prozent, wenn ihr euch auch deutlich bewegt." (Nora Laufer, Karin Riss, 10.12.2019)