Was wäre, wenn? Wenn Philipp Morris Lungenfachärzte abmahnt, weil die das Rauchen als gesundheitsschädlich beurteilen? Wenn Ferrero Zahnärzte abmahnt, weil sie Nutella als kariesfördernd bezeichnen? Wir würden darüber den Kopf schütteln und empört sein, ein allfällig damit befasster Richter würde den übereifrigen Anwälten der Konzerne die Köpfe waschen. Wenn ein deutsches Pharmaunternehmen Kritiker abmahnt, weil die sich zur Homöopathie äußern, winkt zumindest eine Nominierung für das "Goldene Brett vor dem Kopf 2019". Der Preis wird am Freitag vergeben, Hevert wäre ein würdiger Preisträger, aus mehreren Gründen.

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Juristische Komplexmittel gegen Homöopathie-Kritiker

Die Anwälte den Unternehmens Hevert haben im Sommer des Jahres ein paar deftige juristische Komplexmittel verrührt: Der Buchautorin und Ärztin Natalie Grams stellte man eine Abmahnung mit der Aufforderung zu: Sie solle fortan und unter Androhung von 5.000 Euro Pönale nie mehr behaupten, dass homöopathische Arzneimitttel "nicht über den Placebo-Effekt hinaus" wirken. Dem Berliner Journalisten Bernd Kramer versuchte man eher pauschal den Maulkorb umzuhängen. Man trug ihm auf, "Homöopathie-abwertende Äußerungen in jeder Form, einschließlich von Veröffentlichungen, zukünftig zu unterlassen". Beim Apotheker Gerd Glaeske stießen sich die Anwälte an dessen Feststellung, wonach "bei allen Mitteln, die homöopathisch daherkommen, ein Wirksamkeitsnachweis grundsätzlich fehle".Es sei verraten: Die Anwaltspost war wirksamer als ein homöopathisches Mittelchen. Es gab nämlich unerwünschte Nebenwirkungen für Hevert.  

Homöopathisches Schlafmittel hilft nicht effektiv

Die "Erstverschlimmerung" konnte man aus diesem Anlass bei Hevert selbst recht schön beobachten: Zunächst ergoss sich ob der Abmahnungen ein veritabler Shitstorm über die deutsche Pharma-Manufaktur und plötzlich machten auch beinahe in Vergessenheit geratene Kalamitäten des Unternehmens die Runde. So ist es Hevert seit dem Jahr 2017 nach einem Rechtsstreit untersagt, sein Präparat Sinusitis mit "schneller und effektiver" Hilfe bei Erkältungen zu bewerben. Das deutsche Ärzteblatt vermerkte zur Causa süffisant: "Kügelchen stoppen Schnupfen nicht."  Die "Arznei" Calmvalera indes darf nicht mehr mit der Behauptung "effektive Unterstützung bei Schlafstörungen" angeboten werden. Das ist für ein homöopathisches Mittelchen gegen Schlafstörungen doch eher bittere Medizin. Wie soll Hevert das vermeintliche Schlafmittel denn bewerben? "Irgendwann schlafen Sie sowieso ein?" – dieser Claim käme der Wahrheit wenigstens nahe.  

Hevert-Arzneimittel

Homöopahtie ist fest in den Händen von Pharmaunternehmen

Die Affäre hat das Bild der Homöopathie ein wenig zurechtgerückt und zeigt: Die Hersteller von Globuli und Co sind keine Kräuterweibchen, die bei Vollmond aus Fledermausohren, Silber, Tollkirsche, der Rinde des Affenbrotbaumes oder aus indischen Kakerlaken geheimnisvolle Tinkturen gewinnen, sie verschütteln, verdünnen und sodann ganz individuell indiziert an einen Leidenden verabreichen. "Potenzierung" ist gar nicht so romantisch, das schaut ganz nach kalter Labor- und Apparate-Homöopathie aus. Hevert ist ein Unternehmen mit 200 Mitarbeitern und rund 30 Millionen Euro Umsatz. Das Unternehmen produziert auch Naturheilmittel, über die hier nicht geurteilt werden soll. Die Homöopathika im Portfolio zeigen lediglich, dass die Pharmabranche eine Frage für sich längst beantwortet hat: Warum zum Teufel sollten sich Pharmaunternehmen das Geschäft mit der Voodoo-Medizin eigentlich entgehen lassen, wo doch alles so einfach geht.  

Der Binnenkonsens – ein Anachronismus

Schöner als Hevert kann man den "Binnenkonsens" nicht erklären. Der "Binnenkonsens" erspart homöopathischen Arzneimitteln – im Gegensatz zu echten Medikamenten - jedweden plausiblen Nachweis einer Wirksamkeit, ehe sie auf den Markt kommen. Auf der Webseite antwortet Hevert auf die Frage "Homöopathische Arzneimittel haben keine 'Indikation' – sie können gar nicht für oder gegen etwas eingesetzt werden?" recht ehrlich: "Falsch - zumindest aber nicht ganz richtig! Homöopathische Arzneimittel können (…) 'zugelassen' werden (…) die Wirkung für bzw. gegen eine bestimmte Erkrankung wird behördlich bestätigt oder 'abgesegnet'". "Abgesegnet!" Wir könnten es noch schöner sagen: Seit mehr als 40 Jahren schert sich ob der anachronistischen Bestimmung des Binnenkonsenses keine Sau darum, was die homöopathische Arznei kann, die über den Tresen in der Apotheke geschoben wird.   

Alles zusammen sind das recht gute Gründe, Hevert mit dem "Goldenen Brett vor dem Kopf" auszuzeichnen und nebenbei den Tintenfisch, den das Unternehmen als Präparat bei allerlei Frauenbeschwerden empfiehlt, lieber in die Pfanne oder auf den Grill zu hauen. (Christian Kreil, 13.12.2019)

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