Ein selbstbestimmtes Leben statt ständiges Scheitern: Das "Salzburger Stufenmodell zum Aufbau der Arbeitsfähigkeit" betreut Arbeitssuchende in schwierigen Situationen.

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Der Kampf gegen Armut und Ausgrenzung steht auf der gesellschaftspolitischen Agenda der EU weit oben. Mit welchen Mitteln dieser geführt wird, bleibt den Regierungen überlassen. In Österreich setzt man wie in den meisten anderen Ländern auf Arbeit. "Maßnahmen zum möglichst raschen (Wieder-)Eintritt in den Arbeitsmarkt sind aber nicht automatisch der beste Ansatz zur Vermeidung von Armut und Ausgrenzung", sagt Helmut P. Gaisbauer vom internationalen Forschungszentrum für soziale und ethische Fragen (IFZ) in Salzburg. "Diese Strategie funktioniert nur dann, wenn für ein einigermaßen gutes Leben lediglich ein ausreichendes Einkommen fehlt."

Tatsächlich aber hat Armut viele verschiedene Ursachen, die sich nicht immer so einfach beseitigen lassen. Wie etwa im Fall von Maria K.*, die mit ihren 23 Jahren bereits eine beträchtliche Zahl von AMS-Maßnahmen durchlaufen hat. Arbeit hat sie zwischendurch zwar immer wieder gefunden, allerdings aufgrund psychischer und anderer Probleme auch schnell wieder verloren. Die Folge war eine Endlosschleife aus Bewerbungstrainings, Arbeitsversuchen und letztlich dem Scheitern. Eine Spirale in Richtung Abgrund, die bei allen Beteiligen vor allem eines wachsen ließ: Frustration.

Orientierung und Stabilität

Was aber soll man mit Menschen wie Maria K. machen? Sie immer weiter zu Fehlversuchen antreiben, bis ihnen aufgrund psychischer Krankheit die Arbeitsunfähigkeit bescheinigt und die Invaliditätspension ausgezahlt wird? Um hier einen effektiveren und humaneren Weg zu finden, hat das Land Salzburg vor einigen Jahren beim IFZ eine Studie in Auftrag gegeben. Die Armutsforscher sollten ein Konzept zur Inklusion von Mindestsicherungsbeziehern entwickeln, die zwar offiziell als arbeitsfähig gelten, sich praktisch jedoch als "beschäftigungsunfähig" erweisen.

"In dieser Inklusionsstudie gehen wir davon aus, dass Menschen in multiplen Pro blemlagen individuell angepasste Hilfen benötigen", erklärt Helmut P. Gaisbauer. Oft gehe es darum, Menschen in Krisensituationen zunächst Orientierung und Stabilität zu geben. "Ein sozialethischer Ansatz geht hier über die klassische Arbeitsmarktpolitik hinaus", ist der Politikwissenschafter überzeugt. "Das gilt insbesondere für Maßnahmen zur Armutsbekämpfung."

Konkrete Formen nimmt dieser Ansatz im "Salzburger Stufenmodell zum Aufbau der Arbeitsfähigkeit" an. "Darin werden für besonders gefährdete Zielgruppen mit unzureichenden persönlichen Ressourcen gemeinsam mit ihnen abgestufte Ziele auf dem Weg zur Arbeitsfähigkeit formuliert", erläutert Projektmitarbeiterin Elisabeth Buchner. Praktisch umgesetzt wird das Stufenmodell in mittlerweile fünf vom Europäischen Sozialfonds und Land Salzburg finanzierten "Basisprojekten".

Es sind vor allem psychisch oder kognitiv beeinträchtigte Menschen, Suchtkranke, Frauen mit und ohne Migrationshintergrund in schwierigen Lebensverhältnissen oder Arbeitssuchende über 50, die in den von Trägern wie Pro Mente oder Caritas umgesetzten Projekten betreut werden. "Ein zentraler Aspekt dabei ist das Setzen erreichbarer Ziele, wodurch eine systematische Frustration von Klienten und Trainern verhindert wird", betont Elisabeth Buchner.

Individuelle Betreuung

Deshalb sei es nicht unbedingt die Aufnahme einer Arbeit, die den Erfolg einer solchen Maßnahme definiert. Es gehe vor allem um Unterstützung bei der Bewältigung persönlicher Probleme, um damit eine Stabilisierung und Aktivierung der Menschen zu erreichen. Denn erst dadurch werde soziale Inklusion und in der Folge eine Beschäftigung überhaupt erst möglich. Rückschläge führen bei diesem Ansatz nicht sofort zu einem Abbruch der Maßnahme. "Schließlich geht es um den Aufbau von Resilienz und persönlichen Ressourcen." Dies erfolgt durch eine individualisierte Betreuung in Einzelcoachings mit einer konstanten Bezugsperson in Kombination mit Gruppensettings. "So lässt sich Vertrauen in andere und auch in die eigenen Fähigkeiten aufbauen."

Eine wichtige Zielgruppe des Salzburger Stufenmodells sind Mindestsicherungsbezieher, für die das AMS keine Stellenangebote hat. Sie werden vom Sozialamt, das sie praktisch nur "verwalten" kann, zugewiesen. "Viele dieser Menschen haben massive Probleme und sind sozial isoliert", berichtet Helmut P. Gaisbauer. "Die Sozialämter sind froh, dass sich jemand um diese gefährdete Gruppe kümmert."

An die 160 Menschen werden zurzeit nach dem Salzburger Stufenmodell betreut. Die aus Landesmitteln und dem Europäischen Sozialfonds finanzierte wissenschaftliche Begleitung der Projekte durch das IFZ ist noch nicht abgeschlossen, aber es lassen sich bereits Tendenzen erkennen. "Die Interviews mit Trainern und Teilnehmern zeigen deutlich, dass durch die Maßnahme das Selbstvertrauen wächst, sich Beziehungen verbessern, manche bekommen ihre Schulden unter Kontrolle, beginnen eine Therapie, finden eine Wohnung oder sogar einen Job", so der IFZ-Leiter.

Denken in Alternativen

Das mag bescheiden klingen, aber für die Teilnehmerinnen und Teilnehmer sind es Erfolge, die vorher undenkbar waren. "Letztlich geht es um ein selbstbestimmtes Leben in Teilhabe", betont Elisabeth Buchner. "Erst durch die individuelle Betreuung lassen sich die größten Hürden auf dem Weg dorthin identifizieren und oft auch bewältigen." Dazu müsse man allerdings wissen, was überhaupt im Bereich des Mög lichen liegt und was unrealistisch ist – "sonst ist das Scheitern vorprogrammiert". Eine der wichtigsten Fähigkeiten, die in den Projekten vermittelt werden, ist deshalb das Denken in Alternativen.

Maria K. hat nach ein paar Monaten in dieser speziellen Maßnahme übrigens ihre Schlafstörungen um einiges besser im Griff und sich vor kurzem erstmals aus eigenem Antrieb ein Praktikum gesucht. Ein bemerkenswerter Erfolg nach Jahren des fortgesetzten Scheiterns und möglicherweise der Anfang eines besseren Lebens.

Was aber wird aus diesen Projekten, wenn die Förderung durch den Europäischen Sozialfonds nach spätestens fünf Jahren ausläuft? "In der Vergangenheit wurden manche Projekte von den Ländern übernommen", weiß Helmut P. Gaisbauer. "Viele sind es aber nicht." Vielleicht muss der Blick auf die Armut und deren vielfältigen Ausprägungen im reichen, kleinen Österreich doch noch etwas geschärft werden. (Doris Griesser, 17.12.2019)

*Name von der Redaktion geändert