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Der US-amerikanische Teil der Virgin Islands ist die Heimat des noch jungen Autors Cadwell Turnbull und zugleich das Epizentrum einer Alien-Invasion in dessen Roman-Debüt "The Lesson". Wobei Invasion nur in einem ganz speziellen Sinne gilt: Eher handelt es sich um die dominante Präsenz von jemandem, der behauptet, in Frieden gekommen zu sein, und der Menschheit tatsächlich segensreiche technologische Innovationen bringt, sich aber auch nicht in die Karten blicken lässt.

"The Lesson" steht damit in einer Tradition von SF-Werken, die mit Arthur C. Clarkes "Childhood's End" ("Die letzte Generation") von 1953 vielleicht nicht begonnen, aber zumindest ihr prominentestes Beispiel hervorgebracht hat. Clarkes ambivalentes Szenario von Besuchern in riesigen Raumschiffen sollte über die Jahrzehnte hinweg immer wieder in der SF auftauchen und recht unterschiedlich neuinterpretiert werden – denken wir etwa an die TV-Serie "V – Die außerirdischen Besucher kommen" aus den 80ern oder in jüngster Vergangenheit die "Yesterday's Kin"-Trilogie von Nancy Kress.

Y – die außerirdischen Choleriker sind da

Die Ynaa, wie Turnbulls Aliens heißen, haben der Menschheit hocheffektive medizinische Behandlungsmethoden und neue Energiequellen überlassen und im Gegenzug die Erlaubnis bekommen, so lange zu bleiben, bis ... ja, das weiß niemand so genau. Was wollen sie eigentlich auf der Erde? An einer tatsächlichen Kolonisierung sind sie offenbar nicht interessiert: Nur sporadisch verlassen sie ihr muschelförmiges Raumschiff, das über den Virgin Islands Stellung bezogen hat.

Diese gelegentlichen Ausflüge bergen jedoch Brisanz. In den fünf Jahren seit der Ankunft der Ynaa ist es auf den Inseln zu einer ganzen Reihe von Todesfällen gekommen. Rätselraten über die Ursache gibt es keines – die Ynaa sind zwar nicht von sich aus aggressiv, doch reagieren sie selbst auf kleine Provokationen unverhältnismäßiger als jeder Twitter-Shitstorm: Fühlen sie sich attackiert, reißen sie den Betreffenden in Stücke. Und da sie diplomatische Immunität genießen, bleiben solche Vorfälle stets ungeahndet. Die Insulaner haben daher gelernt, ihren Besuchern tunlichst aus dem Weg zu gehen.

Äußerlich sehen die Ynaa wie Menschen aus, auch wenn diesem Erscheinungsbild etwas Unwirkliches anhaftet: Even from where he sat, he could see those piercing light-brown eyes that seemed to glow faintly in the bar's low light. Her skin was dark like Jackson's, but it gleamed as if she were some goddess who had stepped into the world of men only the day before and had not yet begun to age. The softness of a child, the physique of a woman. Beizeiten werden wir die tatsächliche Physiologie der Ynaa noch kennenlernen, ebenso wie – zumindest in kurzen Schlaglichtmomenten – ihre Heimatwelt.

The private lives of human beings

Botschafterin Mera, die für die Ynaa spricht, ist eine der Hauptfiguren des Romans. Im Mittelpunkt stehen allerdings Menschen, genauer gesagt die Familie Paige und deren Freunde. Jackson Paige beispielsweise, ein Lehrer im Ruhestand, geht der Theorie nach, dass die Ynaa schon viel länger auf der Erde präsent sind, als alle vermuten. Der junge Derrick wiederum, der beste Freund und zwischenzeitliche Partner von Jacksons Tochter Patrice, arbeitet als Botschafterin Meras Assistent, was ihm die Ablehnung seiner Mitmenschen eingetragen hat.

Turnbulls Fokus aufs Menschliche führt dazu, dass der Roman nicht immer die Prioritäten setzt, die sich SF-Fans vielleicht erwarten würden. Wir lesen viel von Jacksons gescheiterter Ehe, von Patrices schmerzlicher Loslösung vom Christentum oder von Derricks geteilten Loyalitäten (und davon, wie er sich von Mera angezogen fühlt). Das ist natürlich eine legitime Schwerpunktsetzung, auch wenn sich Turnbull dabei gelegentlich zu verlieren scheint. So stellt uns das relativ lange erste Kapitel zwar die menschlichen Hauptpersonen in den zwei Wochen vor der Ankunft der Ynaa vor. Doch kommt danach ein Zeitsprung über fünf Jahre, und so einiges zuvor Geschilderte (z.B. die sich anbahnende Beziehung zwischen Derrick und Patrice) spielt nun gar keine Rolle mehr. Ein kleines Gewichtungsproblem.

Schöner Roman, der nicht ganz befriedigt

Der überlange Auftakt passt aber ins Gesamtbild eines Romans, der als eher loses Gewebe angelegt ist. Die Handlung verteilt sich ohnehin schon über viele Protagonisten; dazu kommen dann noch recht unvermutet Nebenfiguren, die plötzlich ein ganzes Kapitel tragen (mindestens eine Episode wirkt so, als hätte Turnbull hier eine ursprünglich eigenständige Kurzgeschichte eingebaut). Wir springen kurzfristig durch den Raum zur Heimatwelt der Ynaa wie auch durch die Zeit, um die Ära der Sklaverei zu besuchen. Letzteres verbindet sich mit der Präsenz der Ynaa im Kolonialismus-Motiv – allerdings verweist Turnbull im Kapitel "A History of Invasions" (Titel eines Buchs, an dem Jackson arbeitet) darauf, dass das Wechselspiel von Eroberung und Unterdrückung auf den Virgin Islands bis weit in präkolumbische Zeiten zurückreicht.

Da wird also ziemlich viel auf einmal angerissen, während die Haupthandlung einigermaßen linear voranschreitet – vorangetrieben von den Fragen "Was wollen die Aliens auf der Erde?" und "Was ist eigentlich die 'Lektion', die im Titel genannt wird?" Ob Turnbull darauf befriedigende Antworten gefunden hat, mag jeder für sich entscheiden. Mir persönlich wird die SF-Komponente des Romans etwas zu beiläufig abgewickelt. Wer sich vor allem dafür interessiert, wie Menschen in Zeiten einer unangenehmen Hintergrundpräsenz ihr Leben weiterleben, ist hier hingegen an der richtigen Stelle. Gut geschrieben ist der Roman auf jeden Fall.