20 Hektar umfasst das Waldstück, das schwedischen Forschern seit den 1980er-Jahren als Experimentierfeld dient.
Foto: Björn Wiström/SLU

Madrid, der Austragungsort der derzeit stattfindenden Klimakonferenz, gehört zu jenen Städten, die schon jetzt massiv unter der Klimaerhitzung leiden. Aber auch anderswo wird nach Maßnahmen zur Abkühlung gesucht, etwa mit Fassadenbegrünung und Nebelduschen. Architekten und Investoren werben mit Bäumchen auf Balkonen und Dachterrassen. Andere gehen etwas weiter. In der deutschen Stadt Leipzig wurde vor kurzem ein zehnjähriges Forschungsprojekt zum Thema urbane Wälder abgeschlossen. Noch viel länger, nämlich seit 37 Jahren, besteht das Alnarp Landscape Lab in Schweden, ein 20 Hektar großes Waldgebiet als Experimentierfeld. Einer der Forscher ist der Landschaftsarchitekt Björn Wiström, der vorige Woche in Wien zu Gast war.

STANDARD: Wir reden vom Klimanotstand, und immer mehr Städte kündigen an, mehr Bäume zu pflanzen. Aber wie viele Bäume machen einen urbanen Wald? Und was hat der Wald eigentlich in der Stadt zu suchen?

Wiström: Ich denke, man muss den Begriff des Waldes weiter fassen. Wir Europäer haben das Bild der typischen zusammenhängenden Forste. In Dänemark und Schweden kommt es oft vor, dass Waldstücke als übrig gebliebene Fragmente in der Stadt stehen. Natürlich wird es nicht funktionieren, mitten in der Stadt einen riesigen Wald anzupflanzen. Aber man könnte zum Beispiel auch alle Bäume in der Stadt als einen großen Wald betrachten.

STANDARD: Aber zusammenhängende Wälder wirken sicher besser gegen die Überhitzung als einzelne Bäume?

Wiström: Absolut. Aber innerhalb einer Stadt sind die Temperaturen sehr verschieden. Meine Kollegen erforschen gerade, welche Eigenschaften einzelner Pflanzen man quantifizieren kann, damit man sie auf spezielle städtische Situationen anwenden kann. Die beste Lösung ist immer eine hohe Diversität, was das Alter der Bäume betrifft, aber auch der Arten. Durch die Globalisierung haben sich invasive Spezies und globale Krankheiten vermehrt, die sehr schnell verheerende Auswirkungen haben, etwa das Ulmensterben.

"Man könnte die Mechanismen der Stadtplanung umdrehen und erst Grünflächen anlegen und dann bauen", sagt Landschaftsarchitekt Björn Wiström.
Foto: privat

STANDARD: Lassen sich die Kühleffekte eines städtischen Waldes quantifizieren?

Wiström: Ja, in den USA gibt es ein Programm namens i-Tree, welches die klimatische Wirkung von Bäumen analysiert und seit kurzem auch für Europa adaptiert wurde. Aber natürlich basiert das immer auf Schätzungen und Modellen. Im Grunde muss man nur selbst in einen Wald gehen, um die Kühlungseffekte zu erleben. Es gibt genug Forschungsergebnisse, die belegen, dass Wälder unser Wohlbefinden fördern, nicht nur visuell.

STANDARD: Als die Stadt Wien beschloss, in der "Freien Mitte Nordbahnhof" die Wildnis des ehemaligen Bahnareals zu erhalten, war zunächst unklar, ob dafür das Stadtgartenamt oder die Forstabteilung zuständig war, weil man noch nie eine Stadtwildnis verwaltet hatte. Was ist der Unterschied zwischen einem Wald und einem Park?

Wiström: Solche scharfen Trennungen und Definitionen sind interessant fürs Management, nicht für die Praxis, denn es gibt zahllose Hybride zwischen Park und Wald. Was man aber nicht vergessen darf, ist der Unterhalt dieser Flächen. Man muss den Mist wegräumen. Man muss es dem Wald ansehen, dass sich wer um ihn kümmert, dass es eine bewusste Entscheidung war, dass es ihn gibt. Dazu reicht es manchmal schon, wenn zehn Prozent eines Waldes wie ein Park bewirtschaftet werden, der Rest kann sich nach Regeln der Forstwirtschaft entwickeln.

STANDARD: Die Städte werden immer dichter bebaut, Grund und Boden werden immer teurer. Wo findet sich überhaupt noch Platz für Wald und Wildnis?

Wiström: Ja, es gibt einen Kampf um den Boden. Aber hohe Dichte bedeutet auch, dass man Grünraum braucht. Man muss nur dessen Potenzial maximieren. Was die Größe betrifft, kommt es auf die Funktion an. Wenn ein Grüngürtel zehn Meter breit ist, kann man sich in der Mitte schon wie in einem Wald fühlen, bei 30 Metern ist Platz für ein Wegenetz. Man könnte aber auch die Mechanismen der Stadtplanung umdrehen und zuerst die Grünflächen und Wälder anlegen und dann bauen.

Entwicklung des Alnarp Landscape Lab über die Jahrzehnte.
Foto: Björn Wiström/SLU

STANDARD: Gibt es Best-Practice-Beispiele dafür?

Wiström: In der Science-City in der schwedischen Universitätsstadt Lund arbeiten wir an einem Projekt, wo wir mit Parks und Wäldern beginnen und später die Gebäude integrieren. Der dänische Landschaftsarchitekt Ib Asger Olsen sagt, dass Städte dann interessant werden, wenn es eine Art landschaftlichen Widerstand in ihnen gibt, mit dem sie umgehen müssen. Wasserflächen, Küste, Topografie oder Wald. Wenn es diesen Widerstand noch nicht gibt, kann man ihn herstellen!

STANDARD: Die Pariser Bürgermeisterin will Plätze vor Baudenkmälern mit Bäumen bepflanzen, was zu Protesten geführt hat. Untersuchen Sie auch die stadträumlichen Aspekte des Waldes?

Wiström: Ja. Bäume können schließlich auch zu städtischen Landmarks werden und Räume definieren. Man sagt dann: Ich wohne hinter dem Wald – oder im Wald! Im dänischen Ort Holstebro gibt es ein Projekt, wo Häusergruppen in kleine Wälder gebaut werden.

STANDARD: Im Alnarp Landscape Lab experimentieren Sie nicht nur biologisch, sondern auch ästhetisch mit Landschaftsarchitektur.

Wiström: Ja, denn ein Wald ist wie eine Stadt, er hat helle und dunkle Orte, Wege wie Straßen und Lichtungen, die wie städtische Plätze fungieren. Diese geplanten Bereiche wirken aber erst richtig, wenn sie mit ungeplanten, wilden Bereichen kontrastiert werden.

STANDARD: Das Alnarp Landscape Lab wurde 1982 als Freiluftlabor eingerichtet. Was ist sein Ziel?

Wiström: Es geht uns nicht in erster Linie um wissenschaftliche Forschung, dazu bräuchten wir viel mehr Personal. Es geht darum, Ideen über einen längeren Zeitraum zu testen und zu demonstrieren. Es ist für die, die in diesem Gebiet arbeiten, enorm hilfreich, die Landschaft tatsächlich zu sehen anstatt nur Bilder oder Pläne davon. Unser nächstes Projekt dreht sich darum, wie Kinder den Wald nutzen und daraus lernen. (Maik Novotny, 11.12.2019)