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Der prominente Umweltfürsprecher sparte am Klimagipfel nicht mit drastischen Worten.

Foto: REUTERS/Sergio Perez

Es ist nicht so, dass Al Gore keine Erfahrung mit der Wirkung seiner Vorträge hätte. Vielleicht gab der frühere US-Vizepräsident, heute als einer der bekanntesten Umweltschützer als Redner gut gebucht, deshalb auch bei der Klimakonferenz in Madrid eine Warnung gleich zu Beginn aus: "Wenn Sie während des Vortrags das Gefühl haben, Sie fühlen sich ein bisschen deprimiert – halten Sie durch, es gibt viel Grund zur Hoffnung am Ende der Präsentation."

Gore legt also los mit einem Bild von in Wolken gehüllten Fabrikschloten. Die dazugehörige Erklärung konzentriert sich auf zwei Zahlen: 152 Millionen Tonnen menschgemachte Treibhausgase, die allein innerhalb von 24 Stunden in die Atmosphäre gepufft würden. Nächstes Bild: ein Seitenschnitt der Erdatmosphäre. Gore erhebt die Stimme und mahnt mit Blick auf die jungen Klimaaktivisten rund um Greta Thunberg: "Wir müssen uns daran erinnern, dass wir sie in dieser dünnen Schutzhülle zurücklassen" – nämlich eingesperrt mit all den Treibhausgasen.

Düsteres Bild

Folie für Folie wird das Bild, das der Nobelpreisträger zeichnet, düsterer: Die letzten fünf Jahre, die die wärmsten seit Beginn der Aufzeichnungen waren. Die Hitzerekorde, die in Belgien, Deutschland, Luxemburg, Frankreich, den Niederlanden, Großbritannien und Schottland im heurigen Juli gebrochen wurden. Die Stadt Quriyat im Oman, wo die Nacht von 26. auf 27. Juni 2018 mit 42,6 Grad Celsius alle nächtlichen Temperaturrekorde gesprengt hat.

Es folgen Bilder und Kurzvideos von den Folgen der Erderwärmung: Zu sehen sind Menschen, die sich inmitten überfluteter Straßen verzweifelt an Laternenmasten klammern. Auch das Besprechungszimmer der Stadtregierung von Venedig wird gezeigt – überflutet, wenige Minuten nachdem sich die Politiker gegen rigidere Klimaschutzmaßnahmen ausgesprochen hatten.

"Die haben Hunger"

Nach einem kurzen Erklärteil schwenkt Gore zu den Dürregebieten, zeigt Länder, in denen es bereits heute eine Wasserkrise gibt: "Es sind nicht die Reichen, die ein Problem haben, es sind die Armen", sagt Gore. Und er knüpft die Verbindung zum "stupid Brexit", zu jenen Populisten, die sich die Fluchtbewegungen von Menschen aus den gezeigten Gebieten zunutze machen: "Das sind keine Vergewaltiger, keine Terroristen – die haben Hunger!"

Zack, nächste Folie: Hier geht es um die immensen Kosten, die dem Klimawandel folgen. Endlich, nach mehr als 30 Minuten, kommt der Vortrag zu einem Wendepunkt. Es geht um erneuerbare Energieformen, um Wind und Solarpaneele. Jetzt wird auch Gores Tonfall ein wenig sanfter: "Wir haben die Lösungen bereits bei der Hand", erklärt er, "wie müssen nur aufhören, dumme Dinge zu tun – etwa fossile Energieträger zu fördern".

Rasanter technologischer Fortschritt

Der technologische Fortschritt sei so rasant erfolgt, auch kostenmäßig mache eine Umstellung auf Erneuerbare absolut Sinn. Das hätten selbst große Energiekonzerne bereits erkannt, die ihre Assets neu bewerten, neue Verkaufsmodelle suchen würden.

Der prominente Umweltfürsprecher knallt die Liste jener Länder auf die Leinwand, die bereits ein Datum für die Umstellung auf Elektroautos genannt haben. Es folgen jene 27 Städte, die ab 2025 nur noch emissionsfreie Busse anschaffen wollen. Und Gore will seinen Zuhörerinnen und Zuhörern einen Begriff mitgeben, jenen der "Sustainability Revolution". Deren Zeit sei jetzt, nach der landwirtschaftlichen, der industriellen und der digitalen Revolution gekommen. Noch eine Zahl: 112 Finanzinstitute weltweit hätten bereits erklärt, dass sie keine Kohlekraftwerke mehr finanzieren wollen.

Es geht nicht schnell genug

An die beim Gipfel anwesenden Politiker appelliert Gore mit kehliger, fast schon schreiender Stimme, es brauche deutlich mehr Ambitionen: "Es passiert etwas! Aber es passiert nicht schnell genug!"

Und sollte irgendjemand nach seinen Ausführungen doch geneigt sein, in Verzweiflung auszubrechen, erinnert Gore daran: "Der Wille zu überleben und zu handeln ist selbst erneuerbare Energie." (Karin Riss, 11.12.2019)