Im Gastkommentar merkt Dozent Georg Cavallar an, dass eine polemische und pauschale Interpretation einer Studie nicht bedeutet, kritisch zu sein.

Die Plattform unzensuriert.at ist empört: Unlängst sei eine "schockierende" Muslim-Studie erschienen, und die Mainstreammedien hätten auf sträfliche Weise verabsäumt, ausführlich über diese zu berichten. Hier handle es sich um eine Verschwörung: Dauernd werde "gebetsmühlenartig" über die Klimakrise gesprochen, "um eine patriotische Wende in der Politik zu verhindern".

Das Forschungsbüro Think Difference und das Sozialforschungsinstitut Sora befragten mehr als 700 Jugendliche mit afghanischem, syrischem, tschetschenischem, kurdischem, türkischem und bosnischem Migrationshintergrund in Wien. Der Soziologe Kenan Güngör leitete die Studie, die auch Jugendliche ohne Migrationshintergrund befragte – gleichsam als Kontrollgruppe.

Identitäten im Wandel

Tatsächlich ist die Studie vielschichtig. Güngör verweist auf sowohl positive als auch negative Aspekte und Trends. Positiv sei etwa, dass, je länger der Aufenthalt in Österreich dauere, desto mehr antidemokratische und abwertende Haltungen sinken würden. Die Mehrheit der befragten Jugendlichen lehnt Gewalt ab. Die Zustimmung zur Demokratie ist insgesamt hoch (zwischen 82 und 99 Prozent), besonders bei bosnischen und kurdischen jungen Menschen. Insgesamt zeige sich, dass die politische Struktur der Herkunftsländer die politischen Einstellungen stark präge. Die Mehrzahl der Jugendlichen fühlt sich mit ihren Herkunftsländern, aber auch mit Österreich verbunden. Je länger die Aufenthaltsdauer, desto mehr steigt die Verbundenheit zu Österreich. Identitäten unterliegen immer dynamischem Wandel.

Kricketspieler auf der Donauinsel. Nicht nur die politische Struktur der Herkunftsländer prägt die Einstellungen der Jugendlichen.
Foto: Heribert CORN

Genug Grund zur Sorge

Es gibt allerdings auch genug Grund zur Sorge. Mehr als die Hälfte der afghanischen Jugendlichen meint, dass Gewalt legitim sei, wenn die eigene Person oder Religion beleidigt worden sei ("Wenn die Ehre / die Religion beleidigt wird, darf man durchaus zuschlagen."). Für etwa fünfzig Prozent dieser Menschen stehen die Vorschriften des Islam über den österreichischen Gesetzen, und sie wünschen sich einen religiösen Gelehrten an der Spitze des Staates. Antisemitismus, Homophobie und – bei den männlichen Befragten – Abwertung von Frauen sind bei Jugendlichen aus allen untersuchten Ländern weitverbreitet. Ähnliches gilt für traditionelle Rollenbilder, vor allem was das Verhältnis von Männern und Frauen betrifft.

Die Ursachen für diese negativen Einstellungen sind laut Studie in den Familien, im sozialen Umfeld, im familiären Herkunftsland, in der aktuellen psychisch-sozialen Verfassung und in der Orientierung an islamischer Religion zu sehen. "Der" Islam kann damit nicht als einziger Faktor ausgemacht werden.

Starker Antisemitismus

Ein interessanter Fall ist das hohe Maß an Antisemitismus unter bosnischen jungen Menschen – die ansonsten Werte erreichen, die sich denen der Jugendlichen ohne Migrationshintergrund annähern. Etwa zwei Drittel der Bosnier sind überzeugt, dass Juden und Jüdinnen "zu viel Einfluss auf der Welt" hätten. Güngör führt das auf die nicht aufgearbeitete Geschichte Osteuropas und des Balkans zurück.

Tatsächlich sind antisemitische Einstellungen etwa auch unter Ungarn oder Serben weitverbreitet. 44 Prozent der Befragten einer Umfrage des Budapester Analyse-Instituts Political Capital stimmten beispielsweise der Behauptung zu, dass die Juden die Welt beherrschen wollen, nur 24 Prozent lehnten diese explizit ab.

Laut Studie gibt es in diesem Sinne auch sehr starke Unterschiede je nach Herkunftsland. Afghanische Jugendliche sind am stärksten am Islam orientiert, haben aber auch die meiste Erfahrung mit Gewalt innerhalb der eigenen Familie (43 Prozent). Güngör schlägt deswegen vor, dass die Arbeit mit den Eltern verstärkt werden sollte: "Das muss uns ein Hebel sein, denn die Jugendlichen können nichts dafür, in welcher Familie sie auf die Welt gekommen sind. Wir müssen intensiv mit den Eltern arbeiten. Das ist – integrationspolitisch gesprochen – der Bereich, wo wir am schlechtesten aufgestellt sind."

Aber auch positive Aspekte

"Den" Islam gibt es nicht. "Den" jugendlichen Muslim auch nicht. Es gibt positive Entwicklungen, aber auch genug Grund zur Sorge. Unzensuriert.at gibt sich kritisch – aber die Interpretation der Studie ist so polemisch und pauschal, dass sie gerade nicht als kritisch bezeichnet werden kann. Vielleicht lernen auch "wir Österreicher" einmal, "die Anderen" differenziert wahrzunehmen. Neben der Wissenschaft helfen manchmal auch persönliche Begegnungen. Unter Jugendlichen ohne Migrationshintergrund sind laut Studie abwertende Einstellungen gegenüber Musliminnen und Muslimen allerdings sehr verbreitet. Und Verschwörungstheorien wie von unzensuriert.at werden die Situation sicher nicht verbessern. (Georg Cavallar, 11.12.2019)