Im Gastkommentar hält Soziologe Max Haller Reformen der Demokratie für notwendig, diese "wären weit weniger kostspielig als viele andere, und sie hätten auch direkte Effekte".

Österreich scheint eine schwarz-grüne Regierung zu bekommen, was von vielen begrüßt wird und das Image des Landes in Europa signifikant verbessern würde. Trotzdem muss man auch bei dieser möglichen neuen Regierungskonstellation fragen, ob sie alle wichtigen Themen zur Sprache bringt. Tatsächlich scheint eines kaum eine Rolle zu spielen – die Reform der Demokratie.

Das Parlamentsausweichquartier in Wien.
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Dass eine solche notwendig ist, liegt auf der Hand: Gut ein Viertel der Wahlberechtigten geht nicht zur Wahl; als Folge haben ältere Wähler ein zunehmendes Übergewicht und bestimmen die politische Agenda mit der Folge, dass wichtige Themen (wie die Anpassung des Pensionsantrittsalters an die gestiegene Lebenserwartung) überhaupt ausgeklammert werden; dagegen dürfen 16 Prozent der österreichischen Wohnbevölkerung als Ausländer gar nicht wählen; die jüngsten Enthüllungen zeigten, dass Klientelismus und Postenschacher nach wie vor blühen; es gibt einen politisch nahezu funktionslosen, jedenfalls machtlosen Bundesrat mit 61 gut bezahlten Mitgliedern.

Viele Ansatzpunkte

Reformen der Demokratie wären weit weniger kostspielig als viele andere, und sie hätten auch direkte Effekte. Ansatzpunkte und vielfach auch ausgearbeitete Ideen gibt es zur Genüge:

· eine Stärkung der direkten Demokratie, die nach repräsentativen Umfragen von 90 Prozent der Bevölkerung befürwortet würde (allerdings viel seltener von den politischen Eliten) und – trotz Missbrauchs beim Brexit – bei entsprechender Vorbereitung und Durchführung auch sehr gute Ergebnisse erbringt;

· eine Aufwertung des Parlaments durch Stärkung der Persönlichkeitswahl, Reduzierung des Parteidrucks auf Abstimmungen und Aufstockung der Ressourcen für die einzelnen Abgeordneten (anstelle der Fraktionen, deren finanzielle Gebarung intransparent ist);

· die Gewährung des Wahlrechts für lange im Land lebende Ausländer und die Erleichterung des Zugangs zur österreichischen Staatsbürgerschaft, insbesondere durch geringere Rigidität bei Doppelstaatsbürgerschaften;

· die Einführung eines gemäßigten, minderheitenfreundlichen Mehrheitswahlrechts, wie es etwa der Politikwissenschafter Klaus Poier vorgeschlagen hat;

· die Stärkung der Transparenz bei der Vergabe staatlicher Subventionen und die Erschwerung politischer Interventionen, insbesondere bei der Presseförderung, einschließlich der längst überfälligen Entflechtung der Medienkonzentration.

Themen für die Sozialdemokratie

Es wäre zu wünschen, dass diese Themen, wenn schon nicht von der Regierung, so doch von der stärksten Oppositionspartei, den Sozialdemokraten, aufgegriffen werden. Sie waren es, die noch in der k. u. k. Monarchie am stärksten für das allgemeine Wahlrecht gekämpft haben; zuletzt scheinen allerdings auch sie auf diese wichtigen Themen weitgehend vergessen zu haben. Aber das kann sich ja noch ändern. (Max Haller, 11.12.2019)