Richter Christoph Bauer benötigt im Prozess um die Prostitution Minderjähriger einigen Langmut.

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Wien – "Wenn das eine Verschwörung wäre, wäre es eine internationalen Ausmaßes", hält Richter Christoph Bauer dem 69-jährigen Erstangeklagten Selahattin Ü. vor. Die Staatsanwältin wirft dem Türken, der seit 33 Jahren in Österreich lebt, vor, Bekannten zwischen 2009 und 2018 minderjährige Tschechinnen für Sex vermittelt zu haben. Was er wortreich bestreitet. Trotz zahlreicher belastender Zeugenaussagen, Protokolle einer Telefonüberwachung und polizeilicher Observationen.

Das Verfahren ist mehr als mühsam. Nicht nur, da weder Ü. noch der zweitangeklagte mutmaßliche Freier Temel Ö. Deutsch sprechen und alles übersetzt werden muss. Sondern vor allem, da die Angeklagten auf Fragen des Richters irgendetwas erzählen, nur nicht das, was Bauer wissen will.

Kfz-Werkstatt in Südmähren

Ü., der in einer südmährischen Stadt eine Kfz-Werkstatt betrieben hat, widerspricht sogar seinem eigenen Verteidiger. Der hatte in seinem Eröffnungsplädoyer noch gesagt, sein Mandant habe in der Werkstatt regelmäßig Grillpartys veranstaltet. Wenn sich dort Mädchen aus der Nachbarschaft und seine Bekannten näher gekommen sein sollten, könnte Ü. dafür nicht verantwortlich gemacht werden.

"Wie kommt es dazu, dass sich in Ihrer Werkstatt regelmäßig minderjährige Mädchen aufhalten, die sich mit älteren türkischen Männern treffen?", will Bauer daher vom Erstangeklagten wissen. Der leugnet allerdings, dass überhaupt je weibliche Jugendliche dort gewesen seien. "Es gibt dort nur eine Frau. Die ist meine Sekretärin. Eine strenge Dame", lässt Ü. übersetzen.

Richter gruselt sich

"Sie selbst haben ja sogar bei der Polizei noch gesagt, Sie hätten nur zwischen Ihren Bekannten und den Minderjährigen übersetzt!", hält ihm Bauer vor. "So etwas habe ich nicht gesagt. Vielleicht hat der Dolmetscher falsch übersetzt", behauptet der Erstangeklagte. "Jetzt wird es langsam etwas gruselig", kontert der Richter. "Ich bin kein Anhänger von Verschwörungstheorien", stellt Bauer klar.

Ü. bleibt dabei: Alle Zeuginnen und Zeugen lügen. Erklären kann er allerdings nicht, warum zum Beispiel ein langjähriger Freund über ihn sagte: "Er ist zwar über 65 Jahre alt, aber er umgibt sich nur mit jungen Mädchen. Dabei handelt es sich um Zigeunermädchen, die er auch fickt." Ü. empört sich lediglich: "Die Zeugen haben null Charakter." Was Bauers sarkastische Ader pulsieren lässt: "Das sagt jemand, der bereits bei der Überprüfung der Generalien lügt." Da hatte Ü. nämlich behauptet, unbescholten zu sein, obwohl er 2012 und 2018 zwei Vorstrafen bekam.

20 Euro für Vermittlung

500 Tschechische Kronen, umgerechnet knapp 20 Euro, hat Ü. laut Anklage für die Vermittlung verlangt. Die Eltern der Mädchen bekamen demnach als Gegenleistung Lebensmittel, Alkohol und Windeln. Den Teenagern wurde eingeschärft, bei Kontrollen zu sagen, sie seien 18 Jahre oder älter.

So argumentiert auch der 53-jährige Zweitangeklagte, der von Ü. eine 15-Jährige vermittelt bekommen haben soll, mit der er zwei Jahre später ein Kind bekam. Sie hätte ihm damals gesagt, sie sei bereits 25 Jahre, behauptet der Zweitangeklagte. "Und warum gehen Sie bei einer 25-Jährigen zu deren Eltern, um zu fragen, ob sie nach Wien mitfahren darf?", erkundigt sich Bauer. "Gute Frage", lässt Ö. übersetzen. "Ich bin gespannt auf die Antwort", repliziert Bauer. Er erhält allerdings keine, Ö. redet ausschweifend von etwas anderem. "Klassische Themenverfehlung", stellt der Richter daher fest.

Erstangeklagter wird des Saales verwiesen

Da Ü. immer wieder durch Zwischenbemerkungen unangenehm auffällt, wird er des Saales verwiesen. Vor diesem unterhält er sich lebhaft mit den anwesenden Zeugen, was vielleicht eine Erklärung dafür liefert, warum die gegenüber ihren Aussagen bei der Polizei zurückrudern.

Ein Beispiel dafür ist Hasan U., der Ü. ursprünglich belastete. Nun erzählt er, Ü. habe ihm nach seiner Scheidung angeboten, ihm eine Tschechin vorzustellen. "Ich war mit ihr befreundet", sagt der Zeuge. "Ich habe auch viele Freunde, aber mit denen habe ich keinen Sex!", gewährt der Richter einen Einblick in sein Privatleben. "Sie reden um den heißen Brei!", wirft er dem Zeugen vor.

Der kann trotz der Erinnerung an seine Wahrheitspflicht nichts Seltsames darin erkennen, dass Ü. ihn mit nach Tschechien nahm und er dort in einem Stundenhotel Geschlechtsverkehr mit einer jungen Frau hatte. Mit Prostitution habe das nichts zu tun, beteuert er, ehe ihm Bauer ankündigt, dass er ihn wegen Falschaussage anzeigen werde.

Wegen der fortgeschrittenen Zeit wird der Prozess auf den 12. Februar vertagt. (Michael Möseneder, 6.1.2020)