Im Gastkommentar bewerten die Fridays-for-Future-Aktivisten Adrian Hiss und Anna Lindorfer den Green Deal der EU.

Schon vier Jahre sind seit der Klimakonferenz in Paris vergangen, bei der sich 195 Staaten darauf einigten, die Erderhitzung deutlich unter zwei Grad Celsius zu begrenzen und sich anzustrengen, die Erhitzung auf 1,5 Grad Celsius zu beschränken, um verheerenden Klimafolgen entgegenzuwirken. Bereits 2018 waren die Folgen spürbar: Durch die Trockenheit gab es zum Beispiel auf Wiesen und Weiden in Oberösterreich, im Waldviertel und weiten Teilen Vorarlbergs und Tirols nach Angaben der Landwirtschaftskammer mindestens 40 Prozent Ertragsverluste.

Wichtiges 1,5-Grad-Ziel

Die Regierungen haben die Klimakrise anderen Themen untergeordnet: Selbst wenn die aktuell angestrebten Klimaschutzverpflichtungen der unterzeichnenden Staaten umgesetzt werden, stiege die globale Mitteltemperatur bis zum Ende des Jahrhunderts um 3,2 Grad im Vergleich zur vorindustriellen Zeit. Um realistische Chancen auf das einzig wissenschaftlich vertretbare 1,5-Grad-Ziel zu haben, müssen ab 2020 die weltweiten Emissionen, die den Treibhauseffekt verstärken, drastisch sinken. Doch die Emissionen steigen bis zum heutigen Tag.

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Ursula von der Leyens Green Deal reicht nicht.
Foto: Reuters / Francois Lenoir

Mit dem Green Deal plant Ursula von der Leyen, endlich die Ziele der Pariser Klimakonferenz EU-weit umzusetzen. Bis jetzt hatten diese keine Aufmerksamkeit in der EU-Klimapolitik. Doch es ist wie ein Schlag ins Gesicht für uns Schülerinnen, Schüler und Studierende, wenn die neue EU-Kommissionspräsidentin verkündet, dass die EU erst im Jahr 2050 klimaneutral sein soll. Das 1,5-Grad-Ziel, für das wir jeden Freitag streiken, kann so nur sehr schwer erreicht werden.

Was steht auf dem Spiel?

Der Temperaturunterschied von einem halben Grad führt zu dramatischen Konsequenzen: Bei 1,5 Grad sterben 70 bis 90 Prozent aller Korallenriffe ab, bei zwei Grad 99 Prozent. Das würde bedeuten, dass bei einem Tauchgang statt einer bunten lebendigen Unterwasserwelt nur abgestorbene Riffe sichtbar sind. Wissenschafterinnen und Wissenschafter weisen in den Berichten des Weltklimarats IPCC von 2018 und 2019 darauf hin, dass sogenannte Kipppunkte bereits zwischen ein und zwei Grad Erwärmung überschritten werden können. Während Klimaschutzgesetze unverändert bleiben, ist die globale Temperatur bereits um ein Grad gestiegen. Wir fragen uns, ob die verheerenden Auswirkungen beim Wecken der schlafenden Kipppunkte noch nicht bis zu den Entscheidungsträgern vorgedrungen sind.

Kipppunkte sind, einmal geweckt, nicht mehr umkehrbar und verhalten sich wie Dominosteine: Stürzt einer davon, löst er eine Kaskade an weiteren Kipppunkten aus. Wenn also das arktische Meereis schrumpft, könnte sich dadurch die Zirkulation des Atlantischen Ozeans verlangsamen, wodurch der Amazonas zahlreiche Dürren erfahren könnte. Aus wissenschaftlicher Sicht ist es daher zu riskant, in den Bereich des Anstoßes zu kommen, weshalb nur das 1,5-Grad-Ziel ein akzeptables Klimaschutzziel ist. Um es einzuhalten, muss der gesamte Planet spätestens im Jahr 2050 klimaneutral sein. Sämtliche durch uns Menschen verursachte Treibhausgasemissionen müssen bis 2050 um 90 bis 95 Prozent gesenkt werden und die restlichen fünf bis zehn Prozent durch Maßnahmen wie Humusanreicherungen oder Aufforstungen, die Kohlenstoffdioxid (CO2) aus der Luft entziehen, kompensiert werden.

Frage der Klimagerechtigkeit

Wir dürfen als Menschheit ab dem Jahr 2020 nur noch 500 Gigatonnen (GT) an Treibhausgasen ausstoßen, um mit 50 Prozent Wahrscheinlichkeit das Pariser 1,5-Grad-Ziel einzuhalten. Würden Sie in ein Flugzeug steigen, das mit 50-prozentiger Wahrscheinlichkeit abstürzt? Mit dem 2050-Kurs der Kommission wird ein Reduktionspfad gewählt, durch den die EU das ihr zustehende Budget deutlich überschreiten würde.

Foto: Fridays for Future

Doch wer entscheidet, welcher Anteil der verbleibenden 500 GT welchem Land zusteht? Dieser Verteilungsaspekt ist eine Frage der Klimagerechtigkeit. Der Per-Capita-Ansatz teilt zum Beispiel die verbleibenden Treibhausgasemissionen durch Einwohner. So wird zur Verfügung stehende Menge für die jeweiligen Region ermittelt. Die grüne Fläche im Diagramm gibt die der EU zustehenden 33,3 GT an und zeigt, dass die EU spätestens 2040 klimaneutral werden muss, um nicht zu viel zu emittieren. Die EU-Kommission hat am Mittwoch ihr Strukturpapier des Green Deal veröffentlicht, mit einer Klimaneutralität erst für 2050 und ohne Erwähnung des 1,5-Grad-Ziels. Das ist ein klares "Nicht genügend".

Wie werden Historikerinnen und Historiker in 200 Jahren auf die Zwanziger des 21. Jahrhunderts zurückblicken? Die Warnungen der Wissenschaft waren alle ausgesprochen, die Innovationen vorhanden – aber es scheiterte am Lobbying der fossilen Industrie und an Entscheidungsträgern, die versuchten, Klimapolitik mit Kompromissen anzugehen, anstatt der Jugend die Vision einer lebenswerten Welt zu geben. Von dieser Vision können wir momentan nur träumen. (Adrian Hiss, Anna Lindorfer, 12.12.2019)