Proteste auf den Straßen von Algier. Die Demonstrantinnen und Demonstranten fordern einen echten politischen Wandel.

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Zwanzig Jahre Haft für den flüchtigen Ex-Energieminister Abdessalem Bouchouareb, 15 und zwölf Jahre für die beiden ehemaligen Premierminister Algeriens Ahmed Ouyahia und Abdelmalek Sellal, sieben Jahre für den Ex-Chef des Unternehmerverbandes FCE, Ali Haddad. Die am Dienstag in Algier verkündeten Urteile gegen 14 Angeklagte schlugen ein wie eine Bombe. Sie mussten sich wegen Korruptionsvorwürfen und der nebulösen Finanzierung der Wahlkampagne des im April aus dem Amt gejagten Ex-Präsidenten Abdelaziz Bouteflika verantworten.

Vor allem die hohe Haftstrafe für den in Algerien verhassten und als hochgradig korrupt geltenden Ouyahia wurde mit Genugtuung, aber auch mit Skepsis aufgenommen. Schließlich ist das für den aufsehenerregenden Mammutprozess verantwortliche Gericht in Sidi M'Hamed jenes, das seit Monaten politisch motivierte Urteile gegen Demonstranten, Oppositionelle und Aktivisten am Fließband fällt und als von der Exekutive gelenkt gilt.

Kampfansage an Korruption

Der Zeitpunkt der Urteilsverkündung in dem eilig zusammengeschusterten Verfahren ist kein Zufall. Algeriens Staatsspitze um De-facto-Machthaber und Armeechef Ahmed Gaïd Salah will mit der öffentlichkeitswirksamen Verurteilung früherer Spitzenpolitiker den Eindruck erwecken, dass sie es mit ihrer Kampfansage an die im Machtapparat weitverbreitete Korruption ernst meint. Kurzfristiges Ziel des Manövers dürfte es aber sein, die Bevölkerung bei der am Donnerstag stattfindenden Präsidentschaftswahl an die Urnen zu locken. Ein schwieriges Unterfangen. Opposition, Zivilgesellschaft und die landesweit mobilisierende Protestbewegung boykottieren die Abstimmung, die angesichts eines von den alten Eliten kontrollierten, intransparenten Wahlprozesses weder frei noch fair ablaufen dürfte.

Die weitverbreitete Ablehnung der Wahl ist kaum verwunderlich, ließ die von der Regierung kontrollierte Wahlbehörde doch nur Kandidaten zu, die als Repräsentanten der "Mafia" – wie Algeriens herrschende Elite auch genannt wird – gelten. Neben den ehemaligen Premierministern Abdelmajid Tebboune und Ali Benflis treten zwei unter Bouteflika amtierende Ex-Minister und der Chef der bis April von Ouyahia geführten früheren Regierungspartei RND, Azzedine Mihoubi, an.

Proteste seit Februar

Während Gaïd Salah mit dem Urnengang die Legitimität der politischen Führung erneuern will, gehen die im Februar ausgebrochenen Massenproteste auch nach 43 Wochen ungemindert weiter. Die Rücktritte Bouteflikas und Ouyahias im Frühjahr reichen der hartnäckig aufbegehrenden Protestbewegung nicht. Sie fordert einen echten Wandel und gibt sich mit kosmetischen Personalwechseln an der Staatsspitze und der als inkonsequent geltenden Antikorruptionskampagne Gaïd Salahs nicht zufrieden.

"Keine Wahlen mit der Bande" oder "Die Generäle in den Müll", hallt es täglich durch Algeriens Straßen. Seit Beginn des Wahlkampfes Mitte November bekommen die Proteste erneut massiven Zulauf. Ein am Sonntag begonnener Generalstreik soll den Druck auf die Regierung erhöhen. Zudem werden Wahlveranstaltungen der fünf Kandidaten regelmäßig gestört, Wahllokale zugemauert und Wahlurnen entwendet.

Unklar ist dennoch, wie es nach dem Urnengang weitergehen wird. Algeriens neuer Staatschef wird keine Legitimität im Land haben und daher den Protesten nicht den Wind aus den Segeln nehmen können. Gaïd Salahs Aussitzen der Protestwelle hat nicht funktioniert, sein Festhalten am Status quo wird ebenfalls scheitern. In der festgefahrenen aktuellen Gemengelage bleiben ihm nur zwei Optionen: endlich einen echten Dialog mit Protestbewegung und Opposition zulassen oder eine gewaltsame Konfrontation mit der Bewegung provozieren. (Sofian Philip Naceur, 12.12.2019)