Vor dem am Donnerstag beginnenden Untersuchungsausschuss zur gescheiterten deutschen Pkw-Maut hat Verkehrsminister Andreas Scheuer (CSU) Kritik an der Vergabe der Betreiberverträge erneut zurückgewiesen. "Es war kein Fehler", sagte Scheuer am Mittwoch, "zum Zeitpunkt der Vergabe lagen alle Argumente auf dem Tisch, jetzt abzuschließen." Christian Jung, FDP-Obmann im U-Ausschuss, sieht das vollkommen anders. Er erhofft sich auch vom österreichischen Anbieter Kapsch Aufklärung.

STANDARD: Heute nimmt der U-Ausschuss zur Ausländermaut im Bundestag seine Arbeit auf. Wo sehen Sie Fehler von Verkehrsminister Andreas Scheuer?

Jung: Noch während der EuGH prüfte, ob die Maut mit EU-Recht konform geht, hat Bundesminister Scheuer die Mautverträge mit den Betreiberfirmen Kapsch und Eventim scharf gestellt. Das war Ende Dezember 2018. Er hätte das Urteil in Ruhe abwarten müssen, hat aber stattdessen gezockt. Also wie im Kasino alles auf Schwarz gesetzt. Und dann kam Rot, als im Juni 2019 das Urteil fiel. All-in geht in der Politik nicht.

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Das Prestigeprojekt der CSU, die Maut für Ausländer, endete im Debakel. Die Maut ist nicht mit EU-Recht konform, auf Deutschland kommen Schadenersatzzahlungen der Betreiberfirmen zu.
Foto: DPA / Jan Woitas

STANDARD: Scheuer sagt, die Politik könne sich nicht an den Terminen von Gerichten orientieren.

Jung: Solche Aussagen sind ziemlich unseriös. Andreas Scheuer kann gern sein eigenes Vermögen verspielen, aber im Fall der Maut geht es um sehr viele Steuergelder. Er hätte abwägen müssen, es gab ja auch im Ministerium massive interne Bedenken, ob die Maut überhaupt mit EU-Recht vereinbar ist. Warum hat Scheuer nicht Vorverträge gemacht und das Urteil abgewartet?

STANDARD: Das werden Sie ihn vermutlich im Ausschuss fragen.

Jung: Die Fragen sind noch ein Staatsgeheimnis, Herr Scheuer ist ohnehin schon sehr nervös, wie eine etwas wirre Pressekonferenz von ihm gestern in Berlin gezeigt hat. Bei dieser hat er auch falsche Angaben zu verschiedenen Sachverhalten gemacht.

STANDARD: Worauf werden Sie noch den Fokus legen?

Jung: Wir werden auch das Ende des Mautdebakels im Frühsommer 2019 untersuchen. Nach dem Urteil hatte Andreas Scheuer sofort die Verträge mit den Betreiberfirmen gekündigt. Er hätte aber in Ruhe andere Optionen analysieren müssen – ob man etwa die Maut in veränderter Form einführen hätte können. Das tat er nicht. Offenbar ist er der Auffassung, er sei ein sehr kluger Mann. Nun kommen hohe Schadenersatzforderungen auf den Bund zu, man spricht von bis zu 500 Millionen Euro oder mehr. Das ist auch in Österreich sehr viel Geld.

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Der deutsche Verkehrsminister Andreas Scheuer kann keine Fehler erkennen.
Foto: Reuters/HANNIBAL HANSCHKE

STANDARD: Scheuer hat sogenannte "Geheimgespräche" mit den Betreiberfirmen geführt. Können Sie sich das erklären?

Jung: Nein. Das ist eines der wirklich großen Mysterien. Jedes Mitglied der Jungen Union, aus der Herr Scheuer selbst kommt, weiß, dass man sich als Exekutive während eines Vergabeverfahrens mit Bietern im Geheimen nicht trifft. Scheuer konnte bisher den Eindruck des Konspirativen nicht ausräumen. Es stellt sich die Frage, ob der Minister vielleicht gar nicht die größte strategische Kapazität in seinem Ministerium ist, sondern dass andere die Fäden im Hintergrund spinnen. Das wäre noch schlimmer.

STANDARD: Fordern Sie den Rücktritt von Minister Scheuer?

Jung: Das ist jetzt nicht mehr relevant. Wir wollen die massiven Vorwürfe aufklären. Möglicherweise stellt sich ja heraus, dass Scheuer alles korrekt gemacht hat. Allerdings haben wir sehr viele Indizien, die in die gegenteilige Richtung weisen. Und ein Minister ist letztendlich immer austauschbar. Es geht darum, das ganze System zu durchleuchten. Aber natürlich kann Scheuer nach Ende des U-Ausschusses immer noch zurücktreten oder entlassen werden. Nach der nächsten Wahl wird er wohl ohnehin nicht mehr Minister sein.

STANDARD: Es gab schon U-Ausschüsse, die mit weniger Material starten mussten. Sie können sich auf den Bundesrechnungshof berufen, der Scheuer schwer gerügt hat.

Jung: Der unabhängige Rechnungshof hat geprüft und den Finger in die Wunde gelegt. Wir vermuten zudem, dass – wenn der Ausschuss seine Arbeit aufnimmt – noch mehr Material an die Öffentlichkeit gelangt.

Christian Jung, FDP-Obmann im Maut-U-Ausschuss, will das ganze System beleuchten.
Foto: Bundestag

STANDARD: Scheuer hat zunächst ja Transparenz versprochen.

Jung: Er hat die Unterlagen in den Verkehrsausschuss des Bundestages bringen lassen und die Aktenwagen die letzten fünf Meter medienwirksam selbst gerollt. Aber wir haben gestaunt. In einen Ordner passen 400 Blätter, doch die Ordner waren nicht vollständig gefüllt. Das sind ja aktenmäßig potemkinsche Dörfer. Die wirklich interessanten Unterlagen aus der Leitungsebene des Ministeriums werden wir uns via Beweisantrag aushändigen lassen.

STANDARD: Welche Erkenntnisse erhoffen Sie sich von den Betreiberfirmen? Diese könnten sich auf Geschäftsgeheimnisse berufen.

Jung: Es ist wichtig zu erfahren, was bei diesen "Geheimtreffen" besprochen wurde – eventuell am Vergabe- und Haushaltsrecht vorbei. Wir wollen diejenigen anhören, die noch nicht in der Öffentlichkeit waren. Vielleicht ist ihre Sichtweise anders als die des Verkehrsministers. (Birgit Baumann, 12.12.2019)