Irgendwann passiert alles zum letzten Mal. Im Fall von Dirk Nowitzki war es der letzte Wurf, das letzte Spiel, der letzte große Applaus für einen Sieg. "Eine Halle kämpft mit seinen Tränen." Das Publikum lässt sich den Spiegel vorhalten, leidet mit und sieht, was es nicht nur, aber auch für einen Spitzensportler bedeutet, wenn die eigenen Fähigkeiten langsam schwinden. Warum muss etwas Großartiges zu Ende gehen? Schon nach den ersten Seiten kann man zum Weinen anfangen.

Kein deutscher Sportler, mit Ausnahme der Fußballer, ist so populär wie Basketballer Dirk Nowitzki. Er war die tragende Säule der NBA-Meistermannschaft der Dallas Mavericks im Jahr 2011, in seiner texanischen Wahlheimat wurde bereits eine Straße nach ihm benannt. Dort ist er eine lebende Legende. Im April des Vorjahres beendete er seine 21-jährige Profikarriere.

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Mikro in der Hand, Scheinwerferlicht an, Tränen in den Augen: Dirk Nowitzki nahm Abschied bei seinem letzten Heimspiel in Dallas.
Foto: APA/AFP/GETTY IMAGES/RONALD MART

Dass sich anhand des Sports das Leben beschreiben lässt, ist ein im deutschsprachigen Raum nicht besonders populärer Zugang. Man denke nur an die zahlreichen affirmativen Sportlerbiografien hierzulande, die gedanklich den Stangenwald auf der Skipiste oder den Rasen im Fußballstadion nie verlassen. Dass Sport auch wunderbare Literatur hervorbringen kann, beweist Autor Thomas Pletzinger. Pletzinger hat Nowitzki sieben Jahre begleitet, sie haben geredet – in stickigen Trainingshallen, in Restaurants, auf einer Kuhweide in den slowenischen Alpen. So ein Buch schreibt man nicht im Vorbeigehen. Nowitzki hat sich gut gemacht auf den großen Bühnen, "aber man weiß immer, dass er weiß, dass das alles im Grunde ein absurdes Theater ist", schreibt Pletzinger.

"Die Summe meiner Unfähigkeiten hat es nicht geschafft, Dirks Talent zu ruinieren."

Sport ist auch ein ästhetischer Gegenstand, und so ist es wenig verwunderlich, dass Pletzinger Anleihen bei David Foster Wallace nimmt, der geniale Texte über den Tennisspieler Roger Federer, die Schönheit des Sports, die Schönheit der Bewegung und über den perfekten Schlag schrieb. Im Fall Nowitzkis ist es bei Pletzinger der Sound, den der Ball produziert, wenn er durchs Netz fliegt ohne den Ring zu berühren. Swish.

Die Geschichte von Dirk Nowitzki fängt im bayrischen Würzburg an, von dort erobert er die Welt. 1978 geboren, wuchs Nowitzki in einer sportbegeisterten Mittelstandsfamilie auf. Das kann nicht schaden, will das Kind Bewegung zum Brotberuf machen. Der Vater war Handballer und Unternehmer, die Mutter und die Schwester spielten Basketball. Dirk spielt erst Tennis, dann Basketball.

Mentor Holger Geschwindner verhalf Dirk Nowitzki zu einer Weltkarriere in einem von Amerikanern dominierten Beruf.
Foto: imago images / Camera 4

Es begann ein faszinierender Weg, den der anfangs spindeldürre – in der Schule war sein Spitzname "Skeletor" –, später 2,13 Meter große Sympathieträger auf höchst ungewöhnliche Weise ging und der eng verbunden ist mit seiner speziellen Beziehung zu seinem Entdecker, Trainer und Mentor Holger Geschwindner. Der ehemalige deutsche Basketballnationalteamspieler, Olympia-Teilnehmer 1972 und Physiker sah den damals 16-jährigen Nowitzki zufällig bei einem Spiel. Geschwinder erkannte das Talent und begann Nowitzki mit Wagemut und eigenwilligen Trainingsmethoden für die größte Basketball-Bühne der Welt fit zu machen.

Highlights einer unfassbaren Karriere.
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Geschwinder trainierte Nowitzki mit Musik und Tanz, ließ ihn Yoga machen, bevor Yoga hip war. Und er ging noch weiter: Mit mathematischer Wissenschaft berechnete der Mann, dessen Visitenkarte eine Zeichnung von Albert Einstein sowie der Schriftzug "Institut für angewandten Unfug" zieren, Parameter für den perfekten Wurf. "Ich habe mir damals ein Stück Papier genommen und mich gefragt: ‚Gibt es einen Wurf, bei dem ich Fehler machen darf und der Ball trotzdem durch den Ring fällt?‘", erinnerte sich Geschwindner in einem Gespräch mit der Zeit.

"Und dann habe ich eine Skizze gezeichnet: Der Ball muss mindestens einen Einfallswinkel von 32 Grad haben, Dirk ist 2,13 Meter groß, seine Arme haben eine bestimmte Länge, und wenn man dann noch die Gesetze der Physik kennt, kommt man schnell zu einer Problemlösung."

Für manche ist Geschwindner ein Verrückter, dessen Methodik unausgegoren. "Der Holger war immer schon ein bisschen anders", sagte Nowitzki einmal. "Die Summe meiner Unfähigkeiten hat es nicht geschafft, Dirks Talent zu ruinieren", sagt Geschwindner, der Nowitzki nicht nur Korbleger und Würfe üben ließ, sondern auch Froschsprünge, Spaziergänge im Handstand und ihm zwischendurch Lektüre in Hand drückte, etwa Carl Friedrich von Weizsäckers Die Geschichte der Natur.

"Er hat sich etwas genommen, was ihnen gehörte."

Über 30.000 Punkte hat Nowitzki im Lauf seines Basketballerlebens geworfen. Damit sicherte er sich Platz sechs auf der ewigen Scorerliste der NBA. Das ist eine unglaubliche Leistung. Noch viel unglaublicher ist aber, dass Nowitzki das Spiel an sich revolutioniert hat. Er war der erste bewegliche Riese, der den Dreipunktewurf aus großer Distanz beherrschte und seinen Körper nicht nur unter dem Korb parkte. "Basketball seit Nowitzki war anders als Basketball vor ihm: beweglicher, variabler, weniger erwartbar, feiner, raffinierter. Das Spiel war internationaler und weltgewandter", heißt es bei Pletzinger. "Er hat sich etwas genommen, was ihnen gehörte." Basketball, das war lange die Domäne der Amerikaner. Mittlerweile dominieren immer mehr Spieler aus dem Rest der Welt die NBA. Das Spiel ist nicht mehr wiederzuerkennen im Vergleich zu früher, viel schneller, viel mehr Würfe, viel mehr Talent, viel mehr Treffer.

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"Nowitzki way" heißt die Straße in Dallas, die nach ihm benannt wurde.
Foto: AP/Otero

Pletzinger hat mit vielen Wegbegleitern Nowitzkis gesprochen. Mit seinem genialem Mitspieler Steve Nash über Dirks Anpassungsschwierigkeiten in Dallas, sein Heimweh zu Beginn seiner Karriere. Mit alten Jugendfreunden und späteren Nationalteamkollegen aus Deutschland, die sich wehmütig von ihm verabschieden mussten, als Nowitzki nach Amerika auswanderte. Mit Geschwindners Mentor, dem Jazzsaxofonisten Ernie Butler, einem Amerikaner, der als Lehrer nach Deutschland kam und Basketball mitbrachte. "Basketball is Jazz", sagt Butler, fünf Spieler improvisieren auf dem Feld. "Selbst wenn du Leute in ein System presst, am Ende braucht es schnelle überraschende Entscheidungen, um zum Erfolg zu kommen."

"Basketball is Jazz. Selbst wenn du Leute in ein System presst, am Ende braucht es schnelle überraschende Entscheidungen um zum Erfolg zu kommen."

Pletzinger hat auf das geschaut, was zwischen den Zeilen des Lebensliedes passiert, schildert die Freuden, das Absurde und auch die Anstrengungen einer solchen Karriere. Die Reisen in Städte, von denen man nichts mitbekommt, weil der Weg immer der gleiche ist: Flughafen, Hotel, Halle, Hotel, Flughafen. Das Warten, die langweiligen Routinen, Knöchel tapen, Physiotherapie, der zweistündige Nachmittagsschlaf vor jedem Spiel, kein rotes Fleisch, kein Alkohol, kein Zucker.

Und er war in der Halle im emotionalsten Augenblick in der Karriere Nowitzkis, in den Sekunden nach dem Gewinn der Meisterschaft, als Nowitzki in die Umkleidekabine flüchtete, um diesen Moment, für den er gefühlt sein ganzes Leben gearbeitet hatte, für sich allein zu haben. Sein Pressesprecher holte den heulenden Nowitzki aus der Dusche zurück zu den Feierlichkeiten auf dem Parkett: "Du würdest es für dein Leben bereuen, wenn du auf den Siegerfotos mit deinem Team nicht drauf bist." Nowitzki behielt immer Bodenhaftung, war nie der Typ Superstar, der sich selbst zelebrierte. Und er blieb stets loyal. Auf einem Foto im Buch trägt er ein T-Shirt mit dem Schriftzug "Only in Dallas". Nowitzki ist der einzige Spieler in der Geschichte der NBA, der 21 Spielzeiten beim selben Verein absolviert hat. Und verzichtete dafür auf Millionen von Dollar.

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Der Wurf, der für seine Gegner nicht zu verteidigen war.
Foto: Reuters/Inn

Pletzingers Buch ist streckenweise wie ein Roman geschrieben, nur manchmal trägt er zu dick auf, wenn sich etwa "riesige Palmen gegen den Himmel abzeichnen wie Scherenschnitte" und "auf den Dächern heisere Raben hocken". Es ist jedenfalls kein Zufall, dass der Autor sich an F. Scott Fitzgeralds The Great Gatsby orientiert hatte. Der Titel des Nowitzki-Buchs spielt darauf an. Pletzinger schreibt mit einer Prise Wehmut, weil er selbst einst Basketballer war, bevor er Schriftsteller wurde. Den Sprung zum Profi hat er nie geschafft, weil er nicht diese "mental toughness" von Nowitzki hatte, diese Bereitschaft, alles zu geben und an die Grenzen des Menschenmöglichen zu gelangen. Thomas Pletzinger macht sich in diesem Buch wohl nicht nur zur Stellvertreterfigur des Autors dieser Zeilen. In der Nähe der Tanzfläche, aber nicht auf der Tanzfläche. In dieser Tragik der verpassten Chancen erkennen sich viele Menschen wieder. Aber alles hat irgendwann ein Ende. Aus einem gelenkigen Bewegungswunder ist ein steifer Herr geworden.

Man muss kein Basketball-Fan sein um dieses Buch richtig gut zu finden. (Florian Vetter, 19.1.2020)