Frage:

Lieber Familienrat, wir haben zwei Söhne im Alter von neun und zwölf Jahren. Beide sind eigentlich liebe Kinder und angenehm. Es gibt nur ein Problem, das mir und auch dem Vater der Kinder langsam wirklich auf den Wecker geht: Sie sind schusselig. Mal verlieren sie ein Schulbuch, mal vergessen sie die Turnschuhe. Neulich ist der Ältere einfach ohne Jacke nach Hause gekommen. Bei der Nachfrage, wo diese geblieben sei, kommt nur ein großer Blick mit Fragezeichen. Das nervt natürlich irrsinnig, denn zum einen kosten all diese Dinge Geld, und zum anderen ist es auch eine Zeitfrage, denn ich habe nicht die Kapazitäten, regelmäßig nach irgendwelchen Gegenständen der Jungs zu suchen. In dem genannten Fall frage ich mich auch, ob man wirklich so zerstreut sein kann, dass man bei Minusgraden ohne Jacke nach Hause geht und es nicht einmal merkt … oder etwas anderes dahintersteckt? Der Größere vergisst natürlich auch, dass er Hausaufgaben hat oder einen Test. Wenn die Noten dementsprechend aussehen, dann kommt als Entschuldigung immer: "Ich habe vergessen, dass wir einen Test haben."

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Wenn Kinder schusselig sind, muss es nichts Schlimmes bedeuten.
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Sind wir als Eltern vielleicht zu locker? Ist unseren Söhnen die Sache nicht ernst genug? Sollten wir etwa strenger werden, damit das nicht dauernd passiert? Oder gibt es Hilfsmittel gegen diese Vergesslichkeit – und für unsere Nerven?

Antwort von Hans-Otto Thomashoff

Die nervige Vergesslichkeit ihrer beiden Jüngsten ist keineswegs ungewöhnlich. Die Kapazität des menschlichen Gehirns ist begrenzt, in jedem Alter. In der Jugend gibt es besonders viel zu lernen, und der Ältere trottelt bereits in seine Pubertät hinein. Die Aufmerksamkeit gilt dem, was unser Gehirn als wichtig bewertet. Und das sind für Kinder auf dem langen Weg ins Erwachsenendasein andere Dinge als für Eltern. Das lässt sich schlichtweg nicht ändern. Dennoch lässt sich etwas tun.

Wie in vielen Aspekten der Erziehung gilt auch bei der Ordnung, dass Eltern ihre eigene bewusste Steuerung leihweise ihren Kindern zur Verfügung stellen müssen. Ein Zweijähriger, der auf die Straße rennen will, muss von seinen Eltern gebremst werden. Und so müssen Eltern auch ihren schusseligen Neun- oder Zwölfjährigen beim Aufbau von Ordnung unterstützen. Es geht hierbei nicht um Strenge, sondern um Struktur. In der Praxis bedeutet das, Sie müssen Ihren beiden Söhnen dabei helfen, ihre Sachen zusammenzuhalten. Indem Sie ihnen vorleben, wie man Ordnung hält, indem Sie ihnen Eselsbrücken bauen ("Heute hast du fünf Sachen mit, die bringst du auch bitte wieder mit: Jacke, Schal, Mütze, Tasche, Schlüssel"). Vor dem Weggehen empfiehlt es sich, alles im Detail durchgehen, bis es sich eingeprägt hat. Schlüssel und Ähnliches lässt sich zudem mit einer Schnur festbinden. Sachen gehören möglichst immer an denselben Ort, der eingeübt werden kann. Wenn dennoch etwas verlorengeht, können Namensschilder helfen, es wiederzufinden, wobei die Kinder in die Suche miteinbezogen werden sollten.

Das Problem an all dem ist, dass Sie dafür Geduld brauchen und Zeit. Beides ist zwischen Beruf und Haushalt leider oft schwierig zu finden. Aber keine Sorge, es geht vorbei. (Hans-Otto Thomashoff, 13.12.2019)

Hans-Otto Thomashoff ist Psychiater, Psychoanalytiker, zweifacher Vater und Autor. Zuletzt veröffentlichte Bücher: "Das gelungene Ich" (2017) und "Damit aus kleinen Ärschen keine großen werden" (2018).
Foto: Alexandra Diemand

Antwort von Linda Syllaba

"Vergesslichkeit" kann verschiedene Ursachen haben:

Wenn das Hirn überlastet ist, werden Dinge, die weniger wichtig erscheinen, ausgeblendet. Überlastet kann das Hirn von vielerlei sein, zum Beispiel durch einen klassischen, aber harmlosen Anforderungsstau oder durch ein Trauma, durch starke Ablenkungsfaktoren oder dauerhafte Belastungssituationen in Schule oder Familie und vieles mehr. Es erfordert eine umfassendere Betrachtung der Gesamtsituation, um hier eine sinnvolle Antwort geben zu können.

Wenn Kinder von klein auf in ihrer Eigenständigkeit unterstützt werden, lernen sie, neben der eigentlichen Aufgabe, die sie zu erfüllen haben, auch Verantwortung für ihre Sachen zu übernehmen. Wenn ihnen viel abgenommen wird – aus welchen Gründen auch immer –, gewöhnen sie sich daran, dass sie es nicht selbst tun müssen und sehen irgendwann auch keine Veranlassung mehr dazu, weil es ja ohnehin immer jemanden gibt, der es für sie regelt. Der mitgelieferte Subtext kann sein "Du kannst es selbst nicht", "Du brauchst mich dazu" oder Ähnliches. Das wirkt sich ungünstig auf das Selbstbild der Kinder aus, weil sie zum Beispiel davon überzeugt sind, es selbst ohnehin nicht draufzuhaben.

Unterstützen Sie Ihre Söhne darin, Eigenverantwortung stärker und selbst wahrzunehmen. Langfristig ist es das Wichtigste, was unsere Kinder für ihr eigenes Leben zu lernen haben. Lassen Sie sie möglichst viel selbst machen (nicht unbedingt allein), geben Sie ihnen Verantwortung, übertragen Sie ihnen altersgerechte Aufgaben, lassen Sie Ihre Söhne an Herausforderungen wachsen – egal ob in der Schule oder außerhalb.

Es gibt unterschiedlich chaotische Charaktere. Chaoten brauchen Strukturen, die für sie verständlich und nachvollziehbar sind. Und viele (freundliche) Erinnerungen/Wiederholungen. Strenge hilft da nicht, die erzeugt höchstens Ängste, negative Glaubenssätze und stresst nur zusätzlich!

Die eigenen Nerven stärken Sie, indem Sie gut für sich selbst sorgen, sich körperlich, geistig und psychisch gut "pflegen" – damit leben Sie übrigens Eigenverantwortlichkeit auch gleich vor. (Linda Syllaba, 13.12.2019)

Linda Syllaba ist diplomierte psychologische Beraterin, Familiencoach nach Jesper Juul und Mutter. Aktuelles Buch: "Die Schimpf-Diät" (2019).
Foto: Bianca Kübler Photography