Die Behandlung von Krebspatientinnen hat sich massiv verbessert, allerdings überfordern die Möglichkeiten die personellen und finanziellen Ressourcen der bestehenden Versorgungsstrukturen.

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Krebsmediziner und Krebsmedizinerinnen schlagen Alarm: "Die Versorgung der Patienten in Österreich ist in Gefahr", sagt Wolfgang Hilbe, Präsident der Österreichischen Gesellschaft für Hämatologie. Dabei spricht er nicht nur für seinen Fachbereich, also die Hämatologie. Insgesamt haben sich sieben onkologische Fachgesellschaften zusammengeschlossen, um für die "Agenda Krebs 2030" Stimmung zu machen.

"Wir brauchen zwei Eurofighter, um die Versorgung der Patienten in den nächsten 20 Jahren sicherzustellen", sagt Christian Schauer, der die Arbeitsgemeinschaft für Gynäkologische Onkologie vertritt. Damit meint er: Insgesamt würden zwei Milliarden Euro gebraucht, um tatsächlich jeden Österreicher und jede Österreicherin, die mit der Diagnose Krebs konfrontiert sind, nach dem neuesten Stand des Wissens behandeln zu können, und das auch in Zukunft.

Explosion von Wissen

Derzeit werden alle Krebspatienten und -patientinnen in Österreich nach dem neuesten Status quo des Wissens behandelt. Wenn aber nicht rasch entsprechende Ressourcen zur Verfügung gestellt würden, so Schauer, sei das schon bald nicht mehr möglich. Was dann passieren könnte, ist unklar. Möglicherweise würden nur mehr wohlhabende Krebskranke die neuesten Therapien bekommen. Oder das Alter würde entscheiden: Wer zu alt ist, kommt nicht mehr für eine Behandlung infrage. Schon jetzt merke man hier und da die Versorgungsengpässe. Für eine Reihe wichtiger Behandlungen sind die Wartezeiten massiv gestiegen.

Dafür gibt es ein Reihe von Gründen, der vielleicht wichtigste: Die Menschen in Österreich werden immer älter, und Krebs ist eine Erkrankung des Alters. Derzeit sind jedes Jahr 140.000 Menschen neu mit der Diagnose Krebs konfrontiert. Bis zum Jahr 2030 wird die Anzahl der Menschen mit Krebs um 40 bis 50 Prozent gestiegen sein. "Allein aus dem Zuwachs der Patientenzahlen ergibt sich ein Handlungsbedarf, wir brauchen mehr Personal in den Krankenhäusern", betont Renate Kain, Präsidentin der Österreichischen Gesellschaft für Klinische Pathologie und Molekularbiologie.

Genetisches Wissen

Besonders auch ihr Fachbereich ist gefordert, denn die molekularbiologischen Labors stellen durch genetische Analysen fest, ob ein Krebskranker von einer neuen Therapie profitieren könnte. Ein eindrückliches Beispiel seien etwa Lymphome, also Krebserkrankungen der Lymphknoten. Durch die genetische Typisierung hat man herausgefunden, dass es sich bei einem Lymphom um 20 bis 30 verschiedene Erkrankungen handeln kann, die jeweils auch unterschiedliche Therapien erfordern.

"Der Wissenszuwachs in der Onkologie ist enorm, und das ist eigentlich eine gute Nachricht", betont der Molekularbiologe Sigurd Lax. Allerdings müssten Mediziner auch die Zeit haben, sich mit den neuen Erkenntnissen vertraut zu machen und sie anzuwenden.

Das immer detailliertere Wissen über die Erkrankung hat auch die Behandlung verändert. Durch die personalisierten Therapien haben sich die Überlebenschancen massiv verbessert. Krebs ist kein Todesurteil mehr, sondern in vielen Fällen eine Erkrankung, die sich gut in Schach halten lässt. Auch diese überaus positive Nachricht hat die Patientenzahlen steigen lassen.

Neue Geräte und Methoden

Der Fortschritt in der Krebsmedizin findet auch in der Radioonkologie statt, also dort, wo Tumoren durch Strahlen zerstört werden. "Dafür brauchen wir aber die entsprechenden Geräte", betont Annemarie Schratter-Sehn, die die Fachgruppe der Radioonkologen vertritt. Sie räumt auch ein, dass sich die Zusammenarbeit der unterschiedlichen Fachbereiche noch besser etablieren muss. Zwar gibt es heute in allen großen Behandlungszentren Tumorboards, bei denen Ärzte verschiedener Fachrichtungen Behandlungsmöglichkeiten diskutieren. Allerdings könnten diese noch besser werden.

Große Chancen sehen die Krebsmediziner in der Digitalisierung, mit der neue, gemeinsame Kommunikationsplattformen zur besseren interdisziplinären Zusammenarbeit geschaffen werden können. Ein anderer Vorschlag, um die Versorgung zu verbessern: Administrativ tätige Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen könnten Entlastung für die Spitalsärzte bringen und ihnen die bürokratische Arbeit abnehmen.

Mehr Geld

Zudem sollte auch die Psychoonkologie, die Patienten und ihre Angehörigen begleitet, ausgebaut werden. Außerdem braucht es neue, höhere Budgets für die vielen neuen Medikamente, die im letzten Jahr auf den Markt gekommen sind. Denn wenn das Geld für Therapien fehlt, nehmen die Krebskranken Schaden.

"Die Herausforderungen für die Zukunft sind immens, die Perspektiven für eine adäquate Versorgung bedrohlich", so die Quintessenz. Österreichs Krebsmediziner und -medizinerinnen hoffen daher für die Menschen, die sie behandeln, dass die "Agenda Krebs 2030" von den politisch Verantwortlichen bald Gehör findet. (Karin Pollack, 13.12.2019)