Wham!: Andrew Ridgeley und George Michael feiern 1984 Weihnachten.

Foto: Epic

Möglicherweise haben Marktuntersuchungen in Shoppingmalls und auf Christkindlmärkten eines ergeben. Der Einsatz von ruhigen, getragenen Weihnachtsliedern wie "Stille Nacht", "Es wird scho glei dumpa" oder "Es ist ein Ros’ entsprungen" wirkt sich nicht unbedingt positiv auf den Kaufrausch oder den Punschwunsch aus. Und auch der Weihnachtsmann in der Coca-Cola-Werbung tschingelbellt das Christkind nicht etwa mit dem an Rudolf das Rentier geschnallten Schlitten nieder. Er bringt den bladen Kindern das Zuckerwasser lieber mit fetziger Popmusik auf einem roten Monstertruck.

Die wunderbare Stille Nacht mag zwar auf der ganzen Welt zu Weihnachten von Abermillionen Menschen jährlich gesungen werden. Wenn man nicht gerade als Donkosake in diversen heimischen Pfarrkirchen professionell aktiv ist oder mit irgendeinem Freizeitchor beim Adventsingen mitmacht (Singen ist gesund und macht fröhlich!), sieht die Realität allerdings anders aus. Man singt die Stille Nacht meist nur einmal. Zwischen Anfang November und der Osterwoche wird man dafür aber mit "Last Christmas" von Wham! beschallt. Der heiter-melancholische Schlittenfahrtrhythmus und das stimmungsaufhellende Gebimmel der Pferdeglöckchen sorgen in den Einkaufsstraßen einfach für bessere Stimmung. Und geht es der Wirtschaft gut, geht es uns allen gut.

Schulterpolster ...

Anfang Dezember 1984, also ungefähr ziemlich genau heute vor 35 Jahren, kam das Lied in England über die BBC in die Welt, in Deutschland Mitte des Monats. Es dürfte sich dabei um das meistgespielte Weihnachtslied des uns bekannten Universums handeln. Den Erben des 2016 verstorbenen Komponisten George Michael spült es jährlich geschätzte neun Millionen Euro in die Portokassa. Im Gegensatz zur "Stillen Nacht", in der man vor dem Christbaum zumindest die ersten zwei Strophen schafft, weil man sie irgendwann als Kind gelernt hat, verhält es sich bei "Last Christmas" ein wenig anders. Dieses Lied kommt nicht vom aktiven Gebrauch, es kommt vom passiven Hören.

WhamVEVO

Das ist ganz wichtig. Es heißt im Lied zwar: "Last Christmas, I gave you my heart / But the very next day you gave it away / This year, to save me from tears / I’ll give it to someone special ..." George Michael, der sich dazu nie öffentlich geäußert hat, plante das Erscheinungsdatum der Single aber sehr wahrscheinlich erst für das Frühjahr 1985. Ursprünglich wurde der Song dementsprechend als "Last Easter" konzipiert. Weil allerdings die Konkurrenz niemals schläft und damals Mercury Records mit Band Aid und ihrem Benefizlied "Do they know it’s Christmas?" die internationalen Charts dominierten, wollten die Leute bei Epic Records unbedingt kommerziell dagegenhalten.

Sie konnten George Michael, der damals mit Wham! Hits wie "Careless Whisper" am Fließband schrieb, davon überzeugen, dass eine große Liebe auf einem Weihnachtsfest und nicht beim Osterhasen erblühte – um gleich darauf angesichts eines Nebenbuhlers wieder zu vergehen. Der Nebenbuhler nannte sich Andrew Ridgeley und war hauptsächlich aus optischen Gründen bei Wham!. 1986 war Schluss. George Michael startete eine unglaublich erfolgreiche Solokarriere mit schmerzensreichen Babyboomerballaden ("Jesus To A Child") und anlassig-tanzbaren Hits wie "I Want Your Sex" für die Afterwork-Clubbings der Nuller- und frühen Zehnerjahre.

SRF 3

"Last Christmas" floppte damals in den 1980er-Jahren außerhalb Großbritanniens gnadenlos im mittleren Chartsbereich. Zur richtig tollen Bescherung wurde das Lied erst vor gut zehn Jahren und speziell nach George Michaels Tod 2016. Auch die Tatsache, dass bei allen Formatradiosendern der Welt heute nicht mehr auf Abwechslung, sondern auf stumpfe Wiederholung der ewiggleichen Hits gesetzt wird, die auch der DJ auf der Betriebsweihnachtsfeier Jahr für Jahr herunternudelt, hat dabei geholfen: "Kiss", "Sex Bomb", "It’s Raining Men", Abba, Michael Jackson, Prince, dead people.

... und Haarspray

Vor allem auch das zu "Last Christmas" gehörige, in der Schweiz auf einer Luxusalm gedrehte Video wurde zum Sinnbild einer glücklichen, unschuldigen Zeit voller Schulterpolster und Haarspray, die man sich zumindest auf der Firmenfeier heute zurückwünscht. Die überzogene Ablehnung, die das Lied allerdings aufgrund seiner übermächtigen Präsenz jedes Jahr wieder erfährt, bleibt unverständlich.

Man kann zu "Last Christmas" lachen und singen, tanzen und springen. Man kann dazu eine Schneeballschlacht veranstalten, unter dem Mistelzweig schmusen oder am Kamin mit einer Flasche Wein die Zukunft von der Vergangenheit dekantieren. Das Lied macht auch weinen. "Last Christmas" handelt von einer verflossenen Liebe und dem Vertrauen darauf, dass das Leben weitergeht und auch irgendwann wieder gut wird. Es handelt vom Glück im Unglück. Davon handeln wir. (Christian Schachinger, 12.12.2019)