Andreas Hammer blättert in einem dicken Ordner und zeigt bunte Visualisierungen eines Stadtteils inmitten brauner Felder. Die Häuser sind dicht gebaut, die meisten haben fünf bis sieben Stockwerke, manche auch 15. Nesto heißt der Stadtteil, den Hammers Nachbargemeinde ab 2021 errichten will. Hammer ist Bürgermeister der niederösterreichischen Gemeinde Berg, er sitzt in seinem Büro und ist alles andere als erfreut über das neue Prestigeprojekt der Nachbargemeinde.

Städtebaulich sei das neue Viertel ja okay, sagt Bergs Bürgermeister Andreas Hammer. Mit der Lage hat er aber ein Problem
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Diese heißt Bratislava und ist die slowakische Hauptstadt, mit 432.000 Einwohnern. Berg, gleich um die Ecke in Österreich, zählt bescheidene 1281 Gemeindebürger.

Nesto, ein Wortspiel aus dem englisch-deutschen Nest und dem slowakischen Wort "mesto" ("Stadt"), soll im Endausbau 15.000 Bewohner beherbergen und direkt an der Grenze zu Österreich errichtet werden. Mitte kommenden Jahres sollen die ersten Straßen gebaut werden. Ein gut durchmischtes Viertel mit Wohnungen, Sport- und Gewerbeflächen sowie öffentlichen Einrichtungen ist geplant.

Grüngürtel verbaut

"Städtebaulich ist das durchaus verständlich", sagt Hammer. Aber ebenso verständlich seien die Bedenken auf österreichischer Seite. Seine Bedenken. Der Autoverkehr werde weiter zunehmen, dabei sei er schon jetzt unerträglich. Wichtige Informationen fehlen, etwa zu den exakten Bauhöhen. Erstmals werde der Grüngürtel am einstigen Eisernen Vorhang verbaut – dabei sollte der doch grün bleiben, "100 bis 150 Meter links und rechts der Grenze". Und: Es gab keine grenzüberschreitende Umweltverträglichkeitsprüfung (UVP).

Berg wird an die erste Bauphase von Nesto (4000 Bewohner) noch nicht direkt angrenzen, doch auch die Flächen hinter der Staatsgrenze bei Berg sind schon gewidmet. Direktes Gegenüber Nestos wird als Erstes die burgenländische Gemeinde Kittsee sein (3300 Einwohner). Fährt man dort auf slowakischer Seite die alte Grenzstraße ab, sieht man weite Ackerflächen, durchbrochen von militärischen Bunkern. Der größte ist ein kleines Freilichtmuseum, es soll in das Projekt Nesto integriert werden. Kittsees Bürgermeister Johannes Hornek hält das Stadtviertel theoretisch auch für durchaus "toll" – "nur der Platz ist halt ein bisschen ungeeignet".

Das Bunkermuseum auf dem Areal der ersten Bauphase von Nesto soll in den neuen Stadtteil integriert werden.
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Auf der anderen Seite der Grenze steht Marek Dinka, Stadtplanungschef von Bratislava, in einem Besprechungsraum seines Büros in der Altstadt vor einem riesigen Stadtplan. Viele bereits als Bauland gewidmete Flächen sind darauf zu sehen, wo sich heute, wie bei Nesto, noch Äcker erstrecken. "Die Nachfrage nach neuen Wohnungen ist extrem groß", sagt er zum STANDARD.

Dass die Österreicher über Nesto nicht restlos begeistert sind, kann er schwer nachvollziehen. "Die Nesto-Flächen wie auch viele andere sind schon lange gewidmet, seit 2007." Seit damals seien die Widmungen online abrufbar. Dass die Nachbargemeinden darüber informiert werden wollen, was hinter der Grenze passiert, sei verständlich, aber: "Wir wurden bisher auch nicht darüber informiert, was in den österreichischen Gemeinden passiert." Ein Grund dafür könnte die Sprachbarriere sein.

Erste Infos erst 2018

Dass der Informationsaustausch ab jetzt besser funktioniert, darum kümmert sich Christian Berger. Er ist österreichischer Vertreter im "Bratislava Umland Management", kurz "Baum", das es seit 2017 gibt und von der EU und den Ländern Niederösterreich und Burgenland finanziert wird. 15 österreichische Gemeinden, darunter Berg und Kittsee, sind hier mit Bratislava vernetzt. Berger teilt sich mit einer slowakischen Kollegin Büros in Bratislava und Katzelsdorf. Sie organisieren unter anderem "Border Walks" zu historischen Plätzen wie der ehemaligen, schon stark verwachsenen Trasse der Pressburger Bahn von Wolfsthal nach Petržalka.

Derzeit ist es noch ein Acker, bald sollen hier, zwischen der österreichischen Grenze und der Stadtautobahn von Bratislava, die Bagger auffahren.
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Aber auch Nesto beschäftigt Berger naturgemäß sehr. In einem von ihm organisierten Treffen wurden die österreichischen Bürgermeister 2018 erstmals offiziell über das Projekt informiert. Mehrere weitere Treffen gab es bisher, bei denen auch Vertreter des Nesto-Entwicklers Lucron (dahinter steckt ein Luxemburger Investor) teilnahmen. Erst Freitag wieder gab es einen Austausch über Bauvorhaben im Grenzraum.

Von Berg oder Kittsee aus gelangt man schneller in die Altstadt von Bratislava als von einigen Stadtteilen der slowakischen Hauptstadt. Deshalb sind in den beiden Gemeinden ein Viertel bis knapp die Hälfte der Einwohner gebürtige Slowaken. Bürgermeister Hornek nennt sie "Neu-Kittseer". Viele sind hierhergezogen, weil das Bauland billiger ist und sie "lieber in einem Dorf als in einer Großstadt wohnen wollen". Kittsee will seinen dörflichen Charakter daher auch behalten. Dafür gebe es eine Absichtserklärung des Gemeinderats, sagt Hornek.

Grenzüberschreitende UVP

Dass der Informationsfluss über die Baufortschritte in Nesto nun verbessert wurde, findet er gut. "Jetzt bekommen sie drüben unsere Bedenken zu Ohren." Bedenken, die sich auch gegen ein noch weiter südlich geplantes Stadtviertel namens Nové Pole richten. Dort könnten später einmal bis zu 25.000 Menschen direkt an der Grenze wohnen.

Grafik: Standard

Bei Nesto drängt Österreich nun darauf, dass wenigstens für die zweite Etappe des Baus, wo Wohnungen für 11.000 Bewohner gebaut werden sollen, eine grenzüberschreitende UVP durchgeführt wird. "Von burgenländischer Seite wäre das schon bei Phase 1 der Wunsch gewesen. Wir bemühen uns, dass das jetzt passiert", sagt Berger. Diesmal sende Bratislava positive Signale.

Erster Erfolg des gegenseitigen Gedankenaustauschs über Nesto war der Beschluss Bratislavas, einen Windschutzgürtel entlang der Grenze anzulegen. Berg und Kittsee wünschen sich auch eine Mautbefreiung auf der A6 von der Abfahrt Kittsee bis zur Staatsgrenze. "Dann würde auch die slowakische Seite auf die Autobahnmaut zwischen der Staatsgrenze und dem Knoten Jarovce verzichten", sagt Bergs Bürgermeister Hammer. Das sei stets signalisiert worden und wäre eine große verkehrstechnische Erleichterung in Sachen Mautflüchtlinge.

Die Stadt Bratislava kann da freilich wenig tun Eine Teilbefreiung von der Maut ist Sache der österreichischen Gesetzgeber. Am Ende liegt damit die slowakisch-niederösterreichisch-burgenländische Nachbarschaftsharmonie in Wiener Hand. (Martin Putschögl, 14.12.2019)