BBC-World-Service-Group-Chef Jamie Angus sieht der Konkurrenz aus zahlreichen Ländern relativ entspannt entgegen.

Foto: Rena Gashumba / BBC

London/Wien – Wenn in Großbritannien gewählt wird, ist das auch international einer der wichtigsten Nachrichten-Tage des Jahres. Und auch wenn der englischsprachige Nachrichtenmarkt immer umkämpfter wird – für deutlich mehr als hundert Millionen Menschen ist noch immer die BBC jene Quelle, die in solchen Fällen via TV, Radio oder Internet zum Pflichtprogramm wird. Für den internationalen Zweig des staatlichen britischen Fernsehens mit seinen zahlreichen mehrsprachigen Ablegern zählt der Wahltag daher zu den wichtigsten des Jahres. Besondere Herausforderung: Nach wenigen Stunden ist alles wieder vorbei, dazwischen gilt es, richtig zu liegen – und möglichst viel Hintergrund zu liefern. Denn, sagt Jamie Angus, der Chef der BBC World Service Group zum STANDARD, viel Vorwissen kann man nicht unbedingt voraussetzen: Das weltweite Publikum schaltet bei den Wahlen "erst ziemlich gegen Ende zu".

"Vor allem interessieren sich die Leute für den Wahlausgang selbst", sagt er, die Kampagne spiele nur eine untergeordnete Rolle. "Die Leute sind schon auch an ein paar wichtigen Momenten interessiert, etwa den TV-Duellen oder den Vorstellungen der Wahlprogramme, aber im Wesentlichen wollen die Menschen wissen, wie das Votum ausgeht." Das unterscheide die Wahl in einem gewissen Sinne auch von der Brexit-Diskussion, wo sich viele durchaus für die Parlamentsdebatten und zu einem gewissen Maße auch für das Brimborium rundherum interessiert hätten: "Wir haben davon viel mehr gezeigt, als das normalerweise der Fall wäre", sagt Angus, vor allem Zuseherinnen und Zuseher in Nordamerika seien vom Geschehen im Unterhaus "in einem gewissen Sinne fasziniert". Ob das immer ein positives Bild der britischen Demokratie abgegeben habe? "Im Wesentlichen glaube ich schon. Die Demokratie in Großbritannien ist nicht perfekt, keine Demokratie ist perfekt, aber es war spannend, dramatisch und lebhaft."

Das Bild in der Welt beeinflussen

Für die BBC sei es dabei wichtig, nicht nur an das Publikum in der EU zu denken, dem das Vereinigte Königreich abhanden zu kommen droht, sondern auch an jene, die im Brexit eine Chance sehen. "Es gibt in einigen Regionen großes Interesse an den Chancen, die der Brexit bringt, und weniger an den Gefahren." Das betreffe vor allem jene Staaten, die nach Vorschlägen der Regierung danach eine engere (Handels-)Beziehung mit London haben könnten: die Länder des Commonwealth, Staaten im Subsahara-Afrika, Teile Asiens und Indiens. "Sie interessieren sich sehr dafür, was der Brexit für den Handel bedeuten würde." Ähnliches gelte für das Publikum in Nordamerika.

Würde ein "Global Britain", wie es Ex-Premierministerin Theresa May immer versprochen hat und wie es Premier Johnson etwas schüchterner noch immer anstrebt, auch für die Ausrichtung der BBC etwas ändern? "Nicht, was den redaktionellen Inhalt betrifft", betont Angus, man sie immerhin auf die Unabhängigkeit von der Politik stolz. Aber doch gewissermaßen als Image-Instrument: "Wenn man annimmt, dass das Vereinigte Königreich im kommenden Jahr wirklich die EU verlassen würde, dann wäre das World Service eine der wenigen einflussreichen Formen, wie Menschen in diesem Land die internationale Einschätzung des Vereinigten Königreichs beim internationalen Publikum beeinflussen können." Nicht, freilich, "weil das unsere Agenda wäre, sondern weil die BBC eine mit unfassbar viel Vertrauen ausgestattete britische Marke ist, für die jede Woche 400 Millionen Menschen zu uns kommen".

Zweifel an Finanzierung – ab 2027

Eine internationale Marke allerdings, die unter Druck aus anderen Staaten steht. Russland, China, Frankreich, Deutschland, die Türkei, der Iran, Saudi-Arabien und Katar: Sie alle haben in den vergangenen Jahren englischsprachige TV-Nachrichtensender gegründet, in vielen Fällen findet man sie in großen Hotelketten mittlerweile vor der BBC gereiht – sie zahlen nämlich Hotelunternehmen für einen guten Platz auf der Fernbedienung. Angus sieht das als Teil eines internationalen Wettrüstens, sein eigenes Unternehmen sei darin aber gut positioniert – immerhin könne man klar darlegen, dass man unabhängig sei: "Die BBC wird nicht von der Regierung, sondern von der Lizenzabgabe bezahlt. Es gibt eine elfjährige Charta, die von der Queen unterzeichnet und vom Parlament beschlossen wird, es gibt unabhängige Prüfungen, wir gehen transparent mit Fehlern um." Das sei in seinen Augen der große Unterschied. Dass andere Sender versuchen, die BBC als eine Art Gegenpropaganda darzustellen, die auch eine bestimmte Meinung vertrete, sieht Angus entspannt: Die Menschen könnten sich davon selbst ein Bild machen.

Völlig verstummt ist freilich die Kritik an der BBC nicht, auch deshalb, weil diese zwar unabhängig von der Politik sein mag, ihre Finanzierung aber doch auf Geheiß politischer Beschlüsse bezieht. Premier Boris Johnson forderte in den letzten Tagen des Wahlkampfes, über die Finanzierung des staatlichen britischen Fernsehens nachzudenken. Allzu viel Druck empfindet Angus deshalb aber nicht: Solche Debatten gebe in immer wieder, vor allem im Wahlkampf. "Es ist gut, dass es eine öffentliche Diskussion über die Finanzierung der BBC gibt, das ist auch nicht neu. Aber die Leute sollten im Hinterkopf behalten, dass die BBC-Charta, die aktuell läuft, noch bis 2027 gültig und die Gruppe bis dahin klar finanziert ist." Überhaupt, so Angus, politischen Druck gebe es bei der internationalen Berichterstattung kaum: "Ich habe vorher ja in der nationalen BBC gearbeitet, und dort war der Druck bedeutend größer, weil Politiker sich ja darum kümmern, was Wählerinnen und Wähler hier während des Wahlkampfes mitbekommen, und etwas entspannter damit umgehen, wie der Rest der Welt informiert wird." (Manuel Escher, 12.12.2019)