Wien – Die Grippewelle steht bevor. Für gewöhnlich meldet sich rund jeder sechste Arbeitnehmer in Österreich im Jänner krank. Verschnupft reagierte zuletzt die Gewerkschaft auf den Vorstoß der Wirtschaftskammer, Krankenstände strenger kontrollieren zu wollen. Experten sehen dafür keinen Bedarf.

Es gebe einiges zu verbessern, aber mehr Kontrolle sei so ziemlich das Letzte, was Österreich brauche, sagt OECD-Experte Christopher Prinz. Unabhängige Kontrollen von Krankenständen seien in Österreich ohnehin möglich und üblich, "und dass Arbeitgeber eine Kontrolle anregen können, reicht völlig aus".

Bettruhe und Ausgehzeiten

Zur Erinnerung: Arbeitgeber wollen, dass Ärzte bei Krankschreibungen die erwartete Dauer und etwaige Bettruhe oder Ausgehzeiten angeben müssen, wie es in einem Positionspapier der Wirtschaftskammer heißt. Bislang müssen Krankenstandsbestätigungen lediglich eine Dauer anführen, nicht aber Details zum Gebrechen. Außerdem wünscht sich die Kammer, dass Unternehmen Kontrollen ihrer Mitarbeiter bei der Krankenkasse in Auftrag geben können, um Simulanten zu erwischen.

Wer krank ist, geht zum Arzt. Nicht alle müssen wie Beamte den Weg gleich am ersten Tag antreten.
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Derzeit führen einzelne Kassen selbstständig Überprüfungen durch. Wünschen sei ja nicht verboten, sagt Arno Melitopulos, nötig sei mehr Überwachung jedoch nicht: "Wir haben alles, was wir brauchen", so der Chef der Krankenkasse in Tirol. Dort gibt es ein besonders engmaschiges Netz, auch wenn laut Melitopulos die Vorgangsweise österreichweit ähnlich ist. 150.000 Vorladungen und Kontrollen von Patienten vor Ort gab es 2017. "Damit wird jeder dritte Krankenstand überprüft", so Melitopulos. Ausgesucht werden die Kontrollierten nach klaren Indikatoren wie Art der Erkrankung und Verlauf.

Gut überwacht

Ganz grundsätzlich sind die Patienten ohnehin bestens überwacht. Alle Krankenkassen haben eine Software im Einsatz, die zusätzlich zu allen anderen Maßnahmen Missbrauch aufdecken soll. Die elektronisch basierte Prüfung von Krankenständen basiert auf gleichen Grundparametern. Wird eine Patientin wegen eines grippalen Infekts für drei Wochen krankgeschrieben, schlägt das System Alarm. Dann ergeht ein Brieflein an den Patienten mit der Aufforderung, vorstellig zu werden. Das System erkennt auch Häufigkeiten bei Krankenständen.

Ob der Arbeitnehmer wirklich krank ist, interessiert auch die Krankenkassen.
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Beim Wirtschaftsbund hält man die Kritik für überzogen. Derzeit würden die Länder sehr unterschiedlich kontrollieren, sagt ein Sprecher zum STANDARD. Man wolle lediglich eine Analyse anregen und schauen, was sich bewährt hat. Zwar werde in Tirol streng vorgegangen, im Burgenland oder Niederösterreich jedoch gar nicht kontrolliert. Eine einheitliche Kasse müsse sich schließlich für einen Weg entscheiden. OECD-Experte Prinz findet, die Debatte gehe an den entscheidenden Fragen vollkommen vorbei. "Es ist ein Jammer, dass sie zu einer Missbrauchsdebatte verkommt."

Das Problem Missbrauch sei verschwindend gering, sagt Prinz. Tatsächlich sei es aber durchaus "im Sinne des Arbeitgebers, sehr frühzeitig das Gespräch und mögliche Lösungen zu suchen". In den skandinavischen Ländern gebe es klare Regeln, ab welchem Zeitpunkt wer informiert werden müsse und welche Gespräche stattfinden müssen.

Rückkehr

Arbeitgeber hätten sehr wohl eine wichtige Rolle, so Prinz, "aber nicht im Sinne verstärkter Kontrolle, sondern im Sinne rascher und zielgerichteter Maßnahmen, um eine rasche Rückkehr an den Arbeitsplatz zu ermöglichen und/oder Anpassungen am Arbeitsplatz oder in der Jobfunktion durchzuführen".

Kontrollen sind möglich und üblich.
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Mehr Krankenstandstage

Hintergrund der Auseinandersetzung ist der Start der Österreichischen Gesundheitskasse (ÖGK) im Jahr 2020, die von ÖVP und FPÖ aus den neun Landeskassen fusioniert wurde. Kommende Woche tagt ihr Überleitungsausschuss. Darin sitzen jeweils sechs Vertreter von Arbeitnehmern und Arbeitgebern. Sie sollen sich auf ein Regelwerk einigen, damit die neue Kasse in Betrieb gehen kann. Die Gewerkschafter befürchten, überstimmt zu werden.

Im Vorjahr ist die Zahl der Krankenstandstage merklich gestiegen. Im Durchschnitt war jeder Arbeitnehmer 13,1 Kalendertage krankgemeldet, geht aus dem aktuellen Fehlzeitenreport von Wirtschaftskammer, Arbeiterkammer und Hauptverband der Sozialversicherungsträger hervor. (Leopold Stefan, Regina Bruckner, 13.12.2019)