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Boris Johnson beim Verlassen der Parteizentrale Freitagfrüh nach der Wahl.

Foto: AP

Boris Johnsons Plan ist aufgegangen. Von Beginn seiner Amtszeit an zielte der einstige Vormann der Brexit-Kampagne auf eine Neuwahl ab. Er brauchte ein eigenes Mandat, um den EU-Austritt tatsächlich zu bewerkstelligen. Er wollte sich aber auch deutlich distanzieren von seinen beiden konservativen Vorgängern: von der knallharten Sparpolitik David Camerons, von der Entschlusslosigkeit und dem Verliererimage Theresa Mays.

Die Wähler nahmen dem Premier nicht übel, dass er sie in der Vorweihnachtszeit an die Wahlurnen bat. Allzu lang hatten sie dem parlamentarischen Gezerre zuschauen müssen. Allzu lang hatten sich die quälenden Brexit-Debatten hingezogen. Allzu lang weigerten sich die gewählten Abgeordneten, Kompromisse zu machen und das knappe, aber eindeutige Ergebnis des EU-Referendums von 2016 in die Tat umzusetzen.

Sozial verträglicher Brexit?

Mag man auch Großbritanniens Austritt für einen schwerwiegenden innen-, außen- und wirtschaftspolitischen Fehler halten – der Demokratie hätte eine weitere Verweigerungshaltung des Unterhauses nicht gutgetan. Die gleiche Clique, die den Bruch mit Jahrzehnten britischer Innen- und Außenpolitik durchgesetzt hat, ist nun für die Umsetzung des Brexits verantwortlich. Man wird Johnson und seine Regierung daran messen, ob ihm dies in sozial verträglicher Weise gelingt.

Dabei wird es auf zwei Dinge ankommen. Im Vorfeld der Wahl hat Johnson den liberal-konservativen Flügel, dem er doch eigentlich selbst angehört, brutal beschnitten und dutzende hervorragende Politiker in die Wüste des vorzeitigen Ruhestands geschickt. Das satte Wahlergebnis erlaubt ihm nun, die nationalistischen Fanatiker der sogenannten Europäischen Forschungsgruppe zu isolieren. Sobald der EU-Austrittsvertrag das Unterhaus passiert hat, beginnen die schwierigen Verhandlungen über die zukünftige wirtschaftliche und politische Zusammenarbeit mit Brüssel. Dafür hat Johnson willkommene Bewegungsfreiheit erhalten.

Zum anderen zwingen ihn innenpolitische Faktoren zu erneutem Nachdenken über die zukünftige Positionierung Großbritanniens in der Welt. Viele angestammte Labour-Wähler in der Mitte und im Norden Englands haben den Torys diesmal ihre Stimme geliehen. Um sie dauerhaft an seine Partei zu binden, muss Johnson umsetzen, was er versprochen hat: ein umfassendes Investitionsprogramm für die vernachlässigten Regionen des Landes; dauerhaftes Detailinteresse an den öffentlichen Institutionen, an Schulen, Krankenhäusern und Altenheimen, auf die der Großteil der Bevölkerung angewiesen ist. Das läuft seinen Ideen von größerer Distanz zu Brüssel und großer Nähe zu Donald Trumps Washington zuwider und könnte einem weicheren Brexit den Weg bereiten. Brüssel sollte sehr genau auf Signale aus London achten und dem neuen Randstaat großzügiger als bisher entgegentreten.

Starke Schotten

Dass die Nationalpartei SNP erneut Schottland beinahe unangefochten dominiert, wird dem wiedergewählten Premier schon bald zu schaffen machen. Eisern peilt die Edinburgher Ministerpräsidentin Nicola Sturgeon ein zweites Referendum über die Unabhängigkeit ihrer stolzen Nation an. Ebenso eisern wird Johnson das Votum zu hintertreiben suchen. Ein weicherer Brexit als bisher geplant wäre dafür gewiss hilfreich.

Möglich gemacht hat Johnsons Triumph außer der eigenen Disziplin und Rücksichtslosigkeit auch das Unvermögen seiner Gegner. Die Rede des Oppositionsführers in der Wahlnacht verdeutlichte erneut, warum die Labour Party beim Volk derzeit keinen Stich macht. Der Brexit sei schuld gewesen, behauptete Jeremy Corbyn, klagte die Medien an und pries sein soeben von den Wählern in die Tonne getretenes Programm als Blaupause für Hoffnung und Gerechtigkeit. In der Realität ließ Corbyns unklare Brexit-Haltung die Menschen ratlos zurück, trauten ihm die Menschen die Führung des Landes nicht zu, schreckten sie zurück vor der fiskalischen Inkontinenz des Labour-Programms. Wer auch immer dem 70-Jährigen nachfolgt, dürfte zehn Jahre mit der Rückführung der Partei in die politische Mitte – dorthin, wo Wahlen gewonnen werden – zu tun haben.

Als überfordert erwies sich auch die liberaldemokratische Vorsitzende Joanne Swinson. Vor drei Monaten stellte sie allen Ernstes Ansprüche aufs Amt der Premierministerin, in der Nacht auf Freitag musste sie den Verlust ihres Mandats im Unterhaus hinnehmen. Die Kraft der Mitte ist keinen Schritt vorangekommen, widmete sich albernen Prestigezielen, anstatt konsequent die eigenen Sitze zu verteidigen. (Sebastian Borger aus London, 13.12.2019)