Die Autorin Daniela Emminger schlüpfte zum Schreiben von "Zirkus.Braunau" täglich in ein Gorilla-Kostüm.

Foto: Nina Keinrath

STANDARD: Sie haben ein Faible für abseitige Orte, waren zweimal sechs Monate lang in Kirgistan …

Daniela Emminger: … und zwar irgendwo oben in den Bergen in einer Jurte, wo man ein paar Meter zur Kackstelle gehen muss. Da klopft man immer mit einem Stock auf den Boden, wenn man in der Nacht dorthin geht, um die giftigen Schlangen zu vertreiben. Einmal hat mich trotzdem fast eine gebissen. Da war ich so erschrocken, dass ich wieder zum Rauchen angefangen habe, nachdem ich zuvor jahrelang nicht geraucht hatte.

STANDARD: Was zieht man sich rein in den Bergen Kirgistans?

Emminger: Die Männer rauchen dort die russischen Papirossa-Rakete, richtig harte Tschick. Und dann haben die dort noch diese bunten mit den goldenen Filtern, die es bei uns nicht mehr gibt, die Sobranie. Von denen habe ich ein paar Packerln mit nach Hause genommen, die kamen sehr gut an.

STANDARD: Nächster abseitiger Ort, an dem Sie dann für viele Wochen lebten: Braunau am Inn, wo Hitlers Geburtshaus steht …

Emminger: Den Braunauern und -innen hängt, glaube ich, die Gegenwart mit ihrem Hitlerhaus – die Vergangenheit mit Hitler betrifft uns ja alle – wirklich zum Hals heraus. Egal, wo man ist, egal, wer über Braunau redet: Braunau=Hitler! Dabei leben in Braunau ganz normale, oft sehr nette Menschen, und wenn man in einer provinziellen Stadt leben mag, ist es dort genauso nett wie in Vöcklabruck oder Grieskirchen.

STANDARD: Wie bewerten Sie den Umgang des offiziellen Österreich mit dem Hitler-Geburtshaus?

Emminger: Der gestaltete sich in dieser typisch heimischen Wurschtelzipfelmanier. Es dauerte alles ewig, es wurde herumgezerrt, herumgedreht, mal war es so, dann war wieder alles anders. Innenminister Sobotka wollte es ja mal abreißen lassen, drei Monate später wieder nicht. Das Haus ist ein schweres Erbe, aber man kann es nicht auslöschen. Die Einheimischen dort wollen nach vorne schauen, es hätte also etwas nach vorne Gerichtetes hineingehört, etwas, das der Moral dient, dem Altruismus.

STANDARD: Hat die Politik so herumgewurschtelt, weil man die Wählerzielgruppe "Nazi" nicht verlieren wollte?

Emminger: Ich glaube, es war einfach Unfähigkeit.

STANDARD: Sie schrieben dann dort Ihr Stück "Zirkus.Braunau".

Emminger: Ich war gerade in Kirgistan, als 2017 dieser "Harald Hitler" als Hitler verkleidet durch Braunau lief, ich habe mir gedacht: Ich spinne! Der war auf den Titelseiten sogar von sämtlichen kirgisischen und russischen Zeitungen, immer mit der Schlagzeile: Braunau – Hitler alive? Zuvor gab es diese Norbert-Hofer-Sätze im Präsidentschaftswahlkampf, die mir Angst machten. Die BVT-Affäre. Die FPÖ-Aussage: "Das Recht muss der Politik folgen, nicht die Politik dem Recht." Das war so eine Erschütterung von Recht und Moral! Man kann diesem Kasperltheater zuschauen und sich ärgern. Aber hoffentlich kommt bei jedem irgendwann der Punkt, wo es heißt: Aufstehen, zur Tat schreiten, irgendwas machen! Darum mein "Glamourstück" als Zeichen meines Widerstandes.

STANDARD: Warum schlüpften Sie während des Schreibens täglich in ein Affenkostüm?

Emminger: Ich bin Schriftstellerin. Meine Aufgabe ist es nicht, die politischen Ereignisse so zu erzählen, wie sie tatsächlich passieren, ich muss sie literarisch verfremden. Das ist ja das Schöne an der Fiktion: Sie muss nicht wahr sein, aber wahrhaftig. Dafür habe ich ein Werkzeug gebraucht: Wie ein Arzt in seinen Kittel bin ich also jeden Tag in mein Gorillakostüm geschlüpft, als ich dort wochenlang in einem Zimmer im Kolpinghaus nahe der Lebenshilfe gesessen bin, die ja mal im Geburtshaus untergebracht war. Ich bin zwar kein Fan von Verkleiden, weil ich ein sehr ernsthafter Mensch bin, aber das Affenkostüm war dann einfach mein Arbeitsfell, meine Montur. Und während des Schreibens ergaben sich dann Assoziationen wie "GorillaGuerilla" oder "Affen-Menschwerdung". Auch begann ich, über diesen Harald zu recherchieren, der ja eigentlich harmlos ist, kein Hardcore-Rechtsextremer. Der ist mehr oder weniger in diese Kreise gerutscht, weil er unbedingt berühmt werden wollte – was ihn jetzt nicht von seinen Taten freispricht!

STANDARD: Hat das ständige Tragen des Kostüms etwas mit Ihnen gemacht?

Emminger: Das Kostüm war viel zu groß, unter der Maske schnaubst du dich selbst ständig an, es ist kalt an der Haut, unbequem. Aber es wird normaler, je länger man es trägt, und am Schluss war es unvorstellbar, ohne Affenkopf zu schreiben. Die Haltung verändert sich, die Arme sind ja länger, die Beine kürzer, man sitzt buckliger da. Und ich habe sogar Affenlaute ausgestoßen und jede Menge Bananen gegessen.

STANDARD: Es musste unbedingt ein Gorillakostüm sein?

Emminger: Ich finde, hominide Affen wie Gorillas sind einfach die besseren Menschen. Sie haben ein extrem ausgeprägtes Sozialverhalten, sind sehr friedlich, und es fehlt ihnen jegliche Verschlagenheit, sie kennen weder Hinterlist noch Tücke. Da kann es dann ja nicht schaden, wenn ich während des Schreibens in diesem Kostüm drinstecke, habe ich mir gedacht. Kleines Detail zu den Affen übrigens: Hitler …

STANDARD: … für den Sie in Ihrem Stück sehr schöne Worte finden …

Emminger: Ja, also Hitler, der Aprilscherz, das Inzestzwutschgerl, die Kackwurst selbst war ja ein totaler Fan von King Kong. Den 1933 gemachten Film hat er sich in seinem privaten Kinosaal am Obersalzberg zigmal angeschaut und richtiggehend studiert, die Spezialeffekte faszinierten ihn. King Kong muss ihn wohl ein bisschen inspiriert haben, wofür jetzt King Kong wiederum nichts kann.

STANDARD: Im Stück begegnen sich dann die Gorilla-Guerillas in ihren Affenkostümen und die Nazis an realen Schauplätzen in Braunau wie z. B. in jenem Café, in dem sich am 20. April (Hitlers Geburtstag) immer ein paar Nazis zum Eiernockerlessen treffen.

Emminger: Eiernockerln waren ja Hitlers Lieblingsspeise. Wahrscheinlich musste er sich deswegen mit Dr. Kösters Antigastabletten zuschießen, er hat ja ganz furchtbar aus dem Mund gestunken.

STANDARD: Ist die manchmal grausliche Sprache Ihres Stück Hitlers Mundgeruch geschuldet?

Emminger: Ich habe das Stück als Persiflage auf die NLP-Techniken der FPÖ-Sprache angelegt: das ständig Wiederholen, das Provozieren, das Themen-Wechseln, das Attackieren. Mit diesen sprachlichen Mitteln lasse ich die Guerilla-Gorillas und die Rechtsradikalen aufeinander los, das ist oft eine ziemliche Drecksschlacht. Ich nenne es auch ein "poetisches Rumpelgedicht".

Daniela Emminger mit Manfred Rebhandl beim Interview.

STANDARD: Sie entwerfen auch die Idee, auf dem Hauptplatz in Braunau einen Bananenbrunnen zu installieren. Oder die Nazis auf Flixbus-Fahrten nach Paris zu entnazifizieren.

Emminger: Vom Kolpinghaus in Braunau, wo ich geschrieben habe, schaute ich jeden Tag auf eine Bushaltestelle hinunter, wo stand: Nonstop-Verbindung "Braunau Haltestelle Kolpinghaus" nach "Disneyland Paris". Und ganz ehrlich: Das ist doch genial! Einmal werde ich das machen, von einem Wahnsinnsort zum nächsten. Auf der Fahrt kriegen die Nazis Zuckerbrot und Peitsche, sie werden in Affenkostüme gesteckt und mit Bananen und Ocydicin, diesem Kuschelhormon, bearbeitet, bis sie sich am Schluss überhaupt nicht mehr auskennen.

STANDARD: Und irgendwann freiwillig auf Eiernockerln verzichten?

Emminger: Genau.

STANDARD: Im Stück heißt es: "Trachten sind für alle da. Nicht nur für kleingeistige, aalglattrasierte, zahnpastagrinsende Irre-Führer." Haben Sie also selbst eine?

Emminger: Ich habe ein einziges Dirndl von meiner Oma, aus einfachem Leinenstoff. Darin fühle ich mich aber mehr verkleidet als im Gorillakostüm.

STANDARD: Man sieht Sie darin nicht auf der Wiener Wiesn?

Emminger: Oh Gott, nein! Ich habe einen großen Respekt vor "der Masse", bin mehr die Einzelgängerin. Die Dynamik, die da schnell mal entsteht, ist nicht so meines. Für mich ist diese Wiesn wie Fasching, ein Aufmarsch Kostümierter.

STANDARD: "Im Krieg und ironischerweise in der Liebe ist alles erlaubt", heißt es im Stück auch. Könnte "Liebe" eine Antwort sein auf rechte "Aggression"?

Emminger: Humor und Liebe sind natürlich immer eine Antwort, wenn die Umstände normal sind. Aber wenn die Exekutive nicht mehr dein Freund und Helfer ist, sondern sich in eine andere Richtung bewegt, dann ist Liebe eine zu softe Waffe.

STANDARD: Ist Gewalt eine Möglichkeit, den Stopp-Knopf zu drücken, bevor echt Schlimmes passiert, Stichwort: Hitler-Attentate?

Emminger: Die Figur der Gorilla-Guerilla-Autorin im Stück überlegt sich ja in einem schwachen Moment, zu den Mitteln des Gegners zu greifen, also zu Gewalt. Aber im Sinne der Moral geht das nicht. Eine intelligente Gesellschaft muss sich an der Moral orientieren, das macht sie menschlich. (Manfred Rebhandl, 14.12.2019)