Rachel Kushner führt in ihrem neuen Roman in den Mikrokosmos eines Frauengefängnisses.

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Wer ein Fan von Orange Is the New Black ist, hat wahrscheinlich seine Freude mit dem neuen Buch von Rachel Kushner. Schließlich spielt Ich bin ein Schicksal, mit dem Originaltitel The Mars Room auf der Shortlist des Man Booker Prize 2018 gelandet, in einem Frauengefängnis.

Schon in ihrem letzten, 2015 auf Deutsch erschienenen Bestseller Flammenwerfer berichtete Kushner aus Milieus, die die breite Masse für gewöhnlich eher nicht so gut kennt: Der vielgelobte Roman erzählte von einer Motorradrennfahrerin, die nach einem Rekordversuch in der exzentrischen Künstlerszene von Manhattan landet.

Nicht minder spektakulär der neue Roman, der in den Mikrokosmos eines Frauengefängnisses führt. Hauptfigur ist eine junge Frau: die Kalifornierin Romy Hall, verurteilt zu zweimal lebenslänglich. Aus der gewöhnlichen Mittelschicht kommt Hall nicht gerade – aber man kann davon ausgehen, dass ihr Leben für viele Menschen in den USA die Normalität darstellt.

Über ihren Freund sagt sie einmal: "Er wirkte behütet, wie die meisten Menschen, die von irgendwo anders her in die Stadt kommen. Normal, gebildet, fest angestellt, glaubte, sein Leben habe einen Sinn, und er verstand die Leute nicht, die in der Stadt aufgewachsen waren, den Nihilismus, die Unfähigkeit, aufs College zu gehen oder sich der normalen Welt anzuschließen, einen regulären Job anzunehmen oder an die Zukunft zu glauben. Für ihn passte ich in ein bestimmtes Narrativ."

Es sind solche Sätze und Wendungen, über die man manchmal stolpert in diesem Buch – weil es zum einen schwer erklärlich ist, woher diese Figur eine solche Sprache haben sollte. Und weil es Kushner ist, die stark in einem "bestimmten Narrativ" bleibt.

Alleinerziehende Mutter

Romy Halls Leben ist eine einzige Tristesse: die Erziehung der Mutter geprägt von "Schweigen, Gereiztheit, Missbilligung". Auf dem College war sie nicht, weil sie nach eigener Aussage zu deprimiert dazu war. Sie ist alleinerziehende Mutter eines Sohns.

"Als ich feststellte, dass ich schwanger war, hörte ich auf, Drogen zu nehmen, aber das sehe ich auch nicht als Leistung an, damit habe ich eher die Katastrophe abgewendet." Sicherlich entspricht das in vielem (nicht nur) dem amerikanischen Alltag. So, wie Kushner das in diesem Roman zeichnet, ist es aber auch stereotyp.

Ihr Geld verdient Romy Hall mit Lap-Dances im Striplokal Mars Room, das auch der Originalausgabe den Titel gab. Einer ihrer Kunden dort entwickelt eine Obsession für sie und beginnt, sie zu stalken.

Als sie den Wohnort wechselt, er ihre neue Adresse herausfindet und plötzlich auf ihrer Veranda sitzt, als sie abends mit ihrem kleinen Sohn nach Hause kommt, erschlägt sie ihn. Im Affekt, würde man hierzulande wohl sagen, vielleicht sogar aus Notwehr, aber in den USA der Gegenwart gibt es für so etwas zweimal lebenslänglich.

Brutale Gleichförmigkeit der Sprache

Auch im Frauengefängnis geht es recht generisch zu, es tummelt sich dort die übliche bunte Mischung aus diversen Ethnien, Schichten, sexuellen Orientierungen und Delinquenzen. Die Sprache ist derb und hart, die Eintönigkeit der Leben spiegelt sich in der brutalen Gleichförmigkeit der Sprache.

Auch wenn man sich manchmal fragt, ob Menschen in diesen Milieus wirklich so sprechen oder ob da nur jemand versucht, eine authentische Atmosphäre zu erzeugen. In der deutschen Übersetzung von Bettina Abarbanell erzählt Kushner von korrupten "Bullen", desillusioniertem und teils offen sadistischem Gefängnispersonal – daneben aber auch von Figuren wie dem Lehrer Gordon, der den Frauen Literatur ins Gefängnis bringt.

Von gescheiterten Biografien und auch von Hoffnung, Loyalität und Freundschaft im Gefängnis. Und sie mutet Romy Hall noch ein wenig mehr zu: Ihre Mutter stirbt, der Sohn wird zur Adoption freigegeben, und sie hat keinerlei Rechte mehr, etwas über seinen Verbleib zu erfahren. Selber schuld, hätte sie sich überlegen müssen, bevor sie jemanden umbringt.

Persönliche Erkenntnis

Das ist alles detailreich erzählt, man erfährt mehr über das Strafvollzugs- und Fürsorgesystem in den USA, als man will. Nur diese Romy Hall, immerhin die Ich-Erzählerin, kriegt man nicht richtig zu fassen. Der Roman zerfasert zunehmend.

Da sind Bezüge zur gesellschaftlichen und politischen Situation der Vereinigten Staaten, etwa wenn die tausenden zivilen Opfer im Irakkrieg in Relation zu den Fällen im Frauengefängnis gesetzt werden. Dazwischen Auszüge aus den verschlüsselten Tagebüchern von Ted Kaczynski und Walden von H. D. Thoreau. Dostojewski kommt auch vor.

Schließlich findet Romy Hall zu einer ganz persönlichen Erkenntnis, einem Weg, mit ihrem Schicksal zu leben. Alles hat irgendwie mit Verbrechen, Schuld, Strafe zu tun. Es liest sich durchaus unterhaltsam. Zu einem stimmigen Ganzen wird es aber nicht. So ist es ein wenig wie ein Kessel Buntes aus dem Frauenknast. (Andrea Heinz, 14.12.2019)

Rachel Kushner, "Ich bin ein Schicksal". Übersetzt aus dem Amerikansichen von Bettina Abarbanell. 24,– Euro / 400 Seiten. Rowohlt-Verlag, 2019