Boris Johnson "ist eine komische Figur, die den Unterschied zwischen Sein und Schein verwischt", schreibt der irische Journalist Fintan O’Toole.

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Kurz nach seinem Antritt als Premier ging im Sommer 2019 ein Video mit Boris Johnson um die Welt: Ein Youtuber hatte seine Unterhausrede als Premier mit einem Dialog aus Monty Pythons "Das Leben des Brian" unterlegt. Es klang perfekt, denn Johnson scheint tatsächlich einem Sketch der berühmten britischen Komikergruppe entsprungen zu sein.

Der Mann, der Großbritannien nun aus der EU und in eine un gewisse Zukunft führen wird, "ist eine komische Figur, die den Unterschied zwischen Sein und Schein verwischt", schrieb der irische Journalist und Autor Fintan O’Toole zur gleichen Zeit in einem Johnson-Porträt in der New York Review of Books.

Situationselastisch

Nur Margaret Thatcher und Tony Blair hatten vergleichbare Wahlsiege erzielt, und beide waren politische Überzeugungstäter. Johnson ist das Gegenteil: Er könnte jede Position einnehmen, solange sie seinem Sinn für Humor und seinem Machtstreben entspricht. Das bewies er an jenem Sonntag im Februar 2016, als er sich nicht entscheiden konnte, ob er für oder gegen den Brexit eintreten soll.

Johnson schrieb zwei konträre Kolumnen für den "Daily Telegraph" und ließ die Redaktion erst kurz vor Andruck wissen, dass sie das Plädoyer für "Leave" verwenden soll. Der Schwenk des bis dahin so weltoffenen Ex-Bürgermeisters von London gab beim Referendum wohl den Ausschlag.

Exzentrisch, gescheit und chaotisch

Johnson ist in New York geboren und in Brüssel aufgewachsen und dennoch zutiefst britisch, ein Produkt der exzentrischen und selbstbewussten Upperclass. Er ist blitzgescheit und völlig chaotisch, oft zögerlich und dann wieder verwegen, er kann charmant, grob und rücksichtslos sein. Er verbindet den Akzent von Eton mit der Sprache aus den Pubs. Er handelt instinktiv, macht schlimme Fehler und steigt am Ende doch meist als Gewinner aus.

Nach dem Studium in Oxford heuerte Johnson bei der "Times" an, die ihn allerdings bald feuerte, weil er Zitate erfand. Für den "Daily Telegraph" ging er dann nach Brüssel, wo er ein Bild der EU als bösartig-absurder Moloch zeichnete. Als Vorbild nennt er Winston Churchill, über den er ein Schmeichelbuch schrieb, aber er wirkt oft wie dessen Karikatur.

Der 55-Jährige hat zwei Ehen hinter sich und mindestens fünf Kinder gezeugt. Er könne nicht treu sein, sagte er einst, dafür sei sein Eroberungsdrang zu groß. Was der Herr der Downing Street mit dieser Eroberung tun wird, kann niemand sagen. Er weiß es wahrscheinlich selbst nicht. (Eric Frey, 13.12.2019)