Der Cha-Cha-Cha startet in 30 Sekunden. Andrea Evangelista und Antonella Canturi, Startnummer 64, begeben sich in Position. So wie die anderen fünf Paare auch. Dramatisches Scheinwerferlicht in Weiß und Grün, auf dem Boden der Glitzerstaub von Stunden. Ehe der erste lateinamerikanische Takt ertönt, setzen die beiden ein professionelles Lächeln auf, die Finger gespreizt, die Muskeln im Angriffsmodus, die Swarovski-Steinchen in funkelnder Pracht. Entspannung sieht anders aus. Aber darum geht’s ja nicht. In den nächsten zweieinhalb Minuten entscheidet sich, ob Andrea mit Schnurrbart und Antonella mit Wasserwelle die Session gewinnen oder nicht. Am Ende reicht es immerhin für Platz zwei.

Im Gegensatz zu klassischen Tanzwettbewerben, bei denen hauptberufliche Turniertänzer und -tänzerinnen gegeneinander antreten, ist dies hier eine semiprofessionelle Veranstaltung. Andrea ist Tanzlehrer in Rom, Antonella seine Schülerin. Im Alltag geht sie einem anderen Beruf nach, möchte dies aber nicht an die große Glocke hängen. Zumindest nicht heute. "Denn jetzt", sagt sie, "jetzt bin ich Tänzerin." Die Kombination aus "Professionals" und "Amateurs" hat seinen Ursprung in den USA der 1920er-Jahre. Vor rund 15 Jahren ist die Pro-Am-Bewegung nach Asien und Europa übergeschwappt.

Er Profitänzer, sie Amateurin: Andrea Evangelista und Antonella Canturi sind eines von immer mehr Pro-Am-Paaren, die von Turnier zu Turnier reisen.
Foto: Tanz Leben/florianalbert.net

"Seit kurzem gibt es Pro-Am endlich auch in Österreich", sagt Elisabeth Smagin-Melloni. "Die Anfangsjahre, wenn man ein neues Format in einem neuen Land etablieren möchte, sind nie einfach, wie wir wissen. In der Zwischenzeit aber hat sich Pro-Am zu einem wichtigen Wiener Nischenprodukt entwickelt." Smagin-Melloni ist Eventmanagerin und organisiert seit vielen Jahren Bälle und Tanzveranstaltungen in Wien, London, Moskau, Karlsbad, Almaty und Peking. Darunter auch das Wiener Pro-Am-Festival Amazing Vienna, das heuer zum bereits fünften Mal stattfindet.

"In den letzten Jahren", sagt Smagin-Melloni, "hatten wir meist um die hundert Paare, doch mit 180 Pro-Am-Paaren, die heuer an den Start gehen, sprengen wir alle Rekorde. Damit zählen wir zu den fünf größten Pro-Am-Turnieren Europas!" Am Samstag geht Amazing Vienna im Ballsaal im Grand Hotel Wien über die Bühne, da, wo schon Johann Strauss sein 50-jähriges Bühnenjubiläum gefeiert hat. Morgen, Sonntag, gipfelt die Pro-Am-Chose im World Dance Championship (WDC) in der Wiener Hofburg.

Jenny liebt das Tanzen

"Warum ich teilnehme? Na, weil ich das Tanzen liebe, mein Mann zwei linke Füße hat – und das ein linker Fuß zu viel ist." Jenny Reitten ist eigens aus Israel angereist. Die 64-Jährige arbeitet im Außenwirtschaftscenter der Wirtschaftskammer in Tel Aviv. "Ich bin nach Israel ausgewandert, habe gearbeitet, geheiratet und drei Kinder großgezogen. Mit 55 habe ich mir gedacht, das kann doch nicht alles gewesen sein!"

Seit neun Jahren nimmt Jenny Tanzunterricht, fünf bis sechs Stunden pro Woche, manchmal, wenn Wettbewerbe nahen, auch mehr. Gemeinsam mit ihrem Tanzlehrer Oron Dahan ist sie, wie schon letztes Jahr, für ein paar Tage nach Wien angereist, um in 14 Tänzen und Kategorien anzutreten und (hoffentlich) auch heuer mit Urkunden und Pokalen im Gepäck zurückzufliegen.

Auch Margareta Diringer aus Wien, die letztes Jahr bei Rumba, Samba und Cha-Cha-Cha abgeräumt und drei erste Plätze belegt hat, begeisterte Amateurin von der ersten Stunde an, nimmt immer wieder an Pro-Am-Turnieren statt. "Das Tanzen an sich macht mich schon glücklich", sagt sie. "Aber mit dem Wettbewerb vor Augen habe ich ein Ziel, auf das ich hinarbeite. Damit lerne ich viel intensiver und effizienter. Und das ist gut, denn Tanzen ist Sport, Freude, Kondition, Konzentration und natürlich auch ein bisschen Romantik. Der perfekte Ausgleich zum Berufsleben!"

"Wie Dancing Stars"

Und wie sehen das die Professionisten? Geld? Freude? Horizonterweiterung? "Von allem ein bisschen", meint Danilo Campisi, Trainer im Ersten Wiener Tanzsportklub Schwarz-Weiss. Vor allem aber kennt man den 31-Jährigen aus Dancing Stars, wo er mit TV-Moderatorin Eser Ari-Akbaba und Managerin Melanie Binder das Tanzbein schwang. "Eigentlich ist Pro-Am nichts anderes als Dancing Stars, wo ja auch Profis mit Amateuren tanzen, nur halt ohne Promis und ORF-Übertragung."

Mit Peter Erlbeck und Claudia Kreuzer gründete er vor zwei Jahren die Plattform Pro-Am Austria, die sich auf Training, Vermittlung und Wettbewerbsteilnahme zwischen Pros und Ams spezialisiert hat. "Die Nachfrage ist da, und sie wird immer größer", meint Kreuzer. "Für uns Profis ist das ein neues Einkommensstandbein und eine schöne Abwechslung zum Turniertanzen oder Unterrichten in der Tanzschule. Außerdem macht es mich glücklich, einen guten Amateur pushen zu können."

Doch genau diese Konstellation gibt es nur selten. Zu weit über 90 Prozent sind es männliche Profis, die sich als Trainer und Showtänzer für Frauen zur Verfügung stellen. Für oft reifere Damen, die entsprechend Freizeit und das nötige Kleingeld mitbringen, denn das Training ist intensiv und teuer. Hinzu kommt die Gage für den Profitänzer, die sich für ein zwei- bis dreitägiges Pro-Am-Turnier auf ein paar Hundert bis paar Tausend Euro beläuft. "Wir bieten den Frauen die Möglichkeit zu strahlen", sagt Elisabeth Smagin-Melloni. "Die älteste Teilnehmerin ist über 80, und auch einige andere Damen entsprechen nicht unbedingt den engstirnigen KörperStandards, die die Gesellschaft uns aufoktroyiert. Aber das ist mir egal. An diesen zwei, drei Tagen im Jahr sind sie richtige Vollprofis."

(Wojciech Czaja, 14.12.2019)