Brigitte Zarfl ist seit 3. Juni Sozial-, Arbeits- und Gesundheitsministerin im Kabinett Bierlein.
Foto: Christian Fischer

Seit Juni ist Brigitte Zarfl Gesundheits-, Sozial- und Arbeitsministerin. Für sie ist Verwalten und Gestalten kein Widerspruch. Die 56-Jährige verweist auf zahlreiche Maßnahmen, die sie in sechs Monaten auf den Weg gebracht hat. Eine davon ist eine Impfpflicht für Gesundheitsberufe, auch Kinder sollen künftig einen Nachweis über Impfungen bringen, bevor sie eine öffentliche Einrichtung besuchen. Bei der Beurteilung der Vorhaben ihrer Vorgängerin Beate Hartinger-Klein gibt sich die die frühere Sektionschefin betont zurückhaltend.

STANDARD: In den vergangenen Tagen wurde eine Masern-Impfpflicht intensiv diskutiert. Allein 2019 gab es in Österreich 149 Erkrankungen. Eine Impfung ist die einzige Möglichkeit, die Krankheit zu verhindern. Warum sind Sie gegen eine Pflicht?

Zarfl: Für eine Impfpflicht braucht es eine breite gesellschaftliche Debatte. Als Übergangsministerin kann ich nur einen ersten Schritt setzen. Künftig müssen Kinder vor Eintritt in eine öffentliche Einrichtung einen Nachweis für alle empfohlenen Impfungen bringen – nicht nur für Masern. Wird der Nachweis nicht erbracht, werden die Eltern zu einem ärztlichen Gespräch geladen. Impfen ist eine gesellschaftliche Verpflichtung, daran möchte ich die Menschen erinnern. Wir können nicht noch weiter gehen, das muss die nächste Regierung behandeln, es gilt, Grundrechte abzuwägen.

STANDARD: Trotzdem ist die Durchimpfungsrate bei Masern viel zu niedrig. Es bräuchte laut Weltgesundheitsorganisation 95 Prozent, in Österreich liegt sie aber bei etwa 80 Prozent.

Zarfl: Oft sind die Rahmenbedingungen dafür verantwortlich, dass auf Impfungen vergessen wird. Wir brauchen daher Angebote, damit es eben nicht an den Hürden des Alltags scheitert. Bei Masern fehlt häufig die Folgeimpfung, um den umfassenden Schutz zu erzielen. In Österreich gibt es seit 1997 ein kostenloses Impfprogramm. Ich habe eine Verordnung erlassen, damit Schulärzte wieder impfen dürfen. Dieses Setting müssen wir besser nutzen.

STANDARD: Sind Sanktionen geplant, wenn auch nach dem ärztlichen Gespräch die Impfungen nicht nachgeholt werden?

Zarfl: Nein. Ich kann nicht mit wehenden Fahnen nach einer Impfpflicht rufen. Es gibt ein Grundrecht auf Bildung, das ist in der Verfassung dank Maria Theresia verankert. Es ist schwierig, Impfpflicht gegen Ausbildungspflicht aufzuwiegen. Wie wir das künftig in Österreich handhaben, muss daher die künftige Regierung entscheiden. Wir haben in Deutschland und Frankreich gesehen, wie unterschiedlich und emotional das Thema wahrgenommen wird. Mir war es wichtig, einen Schritt weiter als meine Vorgängerinnen zu gehen, die auf Aufklärung gesetzt haben. Ich will deutlich mehr Verbindlichkeit, in bestimmten Bereichen wie beim Gesundheitspersonal will ich auch eine Verpflichtung. Sie soll bereits bei der Ausbildung beginnen. Wer in einer Gesundheitseinrichtung zu arbeiten beginnt, muss einen Impfnachweis bringen.

STANDARD: Soll diese Pflicht auch auf Lehrer oder Kindergartenpädagogen ausgeweitet werden?

Zarfl: Darüber nachzudenken wäre die nächste Konsequenz. Gerade diese Multiplikatorengruppen wie Lehrer und Kindergartenpädagogen sind jetzt schon in vertiefte Information miteinbezogen. Bisher gibt es dort auch kaum Probleme. Der nächste Schritt ist der elektronische Impfpass. Wir gehen davon aus, dass wir dadurch einen deutlich besseren Schutz in der Bevölkerung haben werden.

STANDARD: Der elektronische Impfpass wird erst nächstes Jahr in Wien, Niederösterreich und der Steiermark getestet. Bis er flächendeckend umgesetzt wird, dauert es.

Zarfl: Das größte Problem sind Folgeimpfungen und Auffrischungen. Oft gelingt es gut, die Erstimpfung durchzuführen. Die zweite Impfung wird aus vielfältigen Gründen häufig versäumt. Das gilt nicht nur für Kinder, sondern auch für Erwachsene. Ab 2022/23 soll jeder einen elektronischen Impfpass haben, über den Impferinnerungen automatisch durchgeführt werden. Es soll auch eine lückenlose Information für Ärzte und Patienten geben, welche Impfungen vorhanden sind. Das wird an die Elektronische Gesundheitsakte (Elga) gekoppelt.

STANDARD: Der Haken am elektronischen Impfpass ist: Wahlärzte müssen laut Gesetz nicht an Elga teilnehmen. Es gibt aber mehr Wahlärzte als Kassenärzte. Sind die Hoffnungen dann nicht überzogen?

Zarfl: Wir wollen Elga und den elektronischen Impfpass so attraktiv gestalten, dass Wahlärzte von sich aus daran teilnehmen wollen. Beim elektronischen Impfpass wird es keine Opt-out-Möglichkeit geben, das kann kein Patient abwählen. Dazu adaptieren wir das Gesundheitstelematikgesetz, das gerade in Begutachtung ist. Auch die E-Medikation hat einen hohen Deckungsgrad im niedergelassenen Bereich. Hier hat sich der Nutzen für alle gezeigt, da unter anderem Nebenwirkungen mit anderen verordneten Medikamenten ausgeschlossen werden können. Wichtig ist also, die impfenden Ärzte mit einzubeziehen, sie müssen Teil des E-Impfpass-Systems sein.

Für die Übergangsministerin ist es schwierig, eine Impfpflicht gegen die Ausbildungspflicht aufzuwiegen.
Foto: Christian Fischer

STANDARD: Sie mussten sich in den vergangenen Monaten mit einem türkis-blauen Prestigeprojekt auseinandersetzen: der Sozialversicherungsreform. Sie wurde vom Höchstgericht in weiten Teilen bestätigt, die Kontrolle und Aufsicht durch das Sozialministerium aber beschränkt. War die Reform überhaupt notwendig?

Zarfl: Der VfGH hat am Freitag eine Klarstellung für die Zukunft getroffen. Falls Anpassungen erforderlich sein sollten, werden wir diese nach Vorliegen der schriftlichen Ausfertigung des Urteils vorbereiten.

STANDARD: Es gab jüngst das Bestreben aus der Wirtschaft, dass Dienstgeber Krankenkassen den Auftrag erteilen dürfen, Krankenstände zu überprüfen. Sind solche Maßnahmen gerechtfertigt?

Zarfl: Das steht nicht auf der Tagesordnung des Überleitungsausschusses. Es war bloß eine Forderung der Wirtschaft. Von unserer Seite gibt es keine Veranlassung, das Thema aufzugreifen. Laut Krankenstandsstatistik gibt es auch keine Steigerung der Krankenstände.

STANDARD: Auch wenn das Vorhaben jetzt nicht auf der Tagesordnung steht, ist dadurch sichtbar, welche Konsequenzen die paritätische Besetzung von Dienstgeber und Dienstnehmer in der Österreichischen Gesundheitskasse haben kann.

Zarfl: Das ist richtig.

STANDARD: Seit kurzem gibt es E-Cards mit Fotos, obwohl die Kosten den Nutzen übersteigen. Jetzt gibt es das Bestreben, Krankenstände – ohne Anzeichen auf Anstieg – zu überprüfen. Warum ist das Misstrauen so groß?

Zarfl: Bestimmte Kontrollhandlungen setzen nicht unbedingt Misstrauen voraus. Es geht um öffentliche Gelder, und bei der Sozialversicherung geht es um Beiträge von Arbeitnehmern und Arbeitgebern. Sie müssen sorgsam verwaltet werden.

STANDARD: Auch ein anderes türkis-blaues Prestigeprojekt wird vom Höchstgericht geprüft, das Sozialhilfegesetz. Die frühere Regierung befürchtete, dass das Sozialsystem ausgenützt werde. Haben Sie Daten über die Durchschummler?

Zarfl: Die damaligen Entscheidungsträger haben die Situation so wahrgenommen. Die meisten Bundesländer warten aber das Erkenntnis des Höchstgerichts ab, bevor sie in die Ausführung gehen. Wir haben in Abstimmung mit den Ländern die erforderlichen Änderungen für die Meldung in die Sozialhilfestatistik vorbereitet. (Marie-Theres Egyed, 13.12.2019)