Premier Boris Johnson habe nun das Mandat, England aus der EU zu lösen, sagte am Freitag die schottische Ministerpräsidentin und SNP-Chefin Nicola Sturgeon. "Schottland aber hat erneut Nein zum Brexit gesagt."

Foto: APA/AFP/ANDY BUCHANAN

Edinburgh/Dublin – Im Schatten des triumphalen Wahlsiegs von Boris Johnson gab es am Donnerstag auch Ergebnisse, die dem Premier schon bald Kopfzerbrechen bereiten werden. Dazu zählt das gute Abschneiden der Befürworter schottischer Unabhängigkeit. Die Nationalpartei SNP holte 45 Prozent der Stimmen und 48 der 59 schottischen Mandate, und bleibt so mit deutlichem Abstand zu den Liberaldemokraten drittstärkste Kraft im Unterhaus.

Zwar habe der Premier in London nun das Mandat, England aus der EU zu lösen, sagte am Freitag die schottische Ministerpräsidentin und SNP-Chefin Nicola Sturgeon. "Schottland aber hat erneut Nein zum Brexit gesagt." Bereits kommende Woche werde ihre Regierung einen detaillierten Plan für das zweite Unabhängigkeitsreferendum binnen sechs Jahren vorlegen. Sie stelle keine Forderung, fügte Sturgeon hinzu: "Ich mache unser Recht geltend."

Nein zu Referendum

Johnson hingegen erteilte einem neuen Unabhängigkeitsreferendum in Schottland eine klare Absage. Johnson habe der schottischen Regierungschefin Nicola Sturgeon erklärt, das Ergebnis der Abstimmung von 2014 müsse respektiert werden, hieß am Freitag in einer Erklärung seines Büros. Damals hatten die Schotten gegen eine Unabhängigkeit gestimmt.

In der Downing Street sieht man das anders. Bei seinem Amtsantritt verlieh sich Johnson den Titel des "Unionsministers", um sein Festhalten am gesamten Vereinigten Königreich zu demonstrieren. Einem neuerlichen Referendum könne sein Parteifreund schon deshalb nicht zustimmen, "weil er Gefahr läuft, es zu verlieren", analysiert Ex-Finanzminister George Osborne in schöner Offenheit. Tatsächlich gab es bei einer Umfrage im Sommer erstmals eine Mehrheit für die Unabhängigkeit von London, die bei der Volksabstimmung 2014 noch mit 55:45 Prozent abgelehnt worden war.

Niederlage für Loyalisten

Ausdrücklich wandte sich Sturgeon am Freitag an die EU-Bürger in ihrem Land, sprach von einem "schwierigen Tag" und lobte die Zuwanderer für ihren Beitrag zu Wirtschaft und Gesellschaft. Ähnlich verstehen sich auch jene Parteien Nordirlands, die sich eigentlich das Label von Nationalisten angeheftet haben. Sinn Féin, einst das europafeindliche Vehikel der republikanischen Terrortruppe IRA, hat sich längst in eine moderne, die Irlands EU-Mitgliedschaft lobende Partei gewandelt. Am Donnerstag gewann sie das wichtigste Duell in der britischen Provinz: In Nord-Belfast jagte John Finucane, Sohn eines von loyalistischen Terroristen erschossenen IRA-Anwalts, dem Fraktionschef der Unionistenpartei DUP, Nigel Dodds, das Mandat ab. Erstmals ergatterten mehr der nach Dublin orientierten katholischen Nationalisten Sitze im Unterhaus als die protestantischen Unionisten.

Allerdings werden nur die beiden Vertreter der gemäßigten SDLP in Westminster einziehen, Sinn Féin will bei der traditionellen Blockade bleiben. Bei der nächsten Gesprächsrunde über die Wiederherstellung der nordirischen Regionalregierung stehen SF und DUP wegen ihrer Stimmverluste unter Druck, nach drei Jahren endlich zu einer Einigung zu kommen. Antreiber dürfte die überkonfessionelle liberale Allianzpartei sein, die 8,8 Prozent hinzugewann und nach vierjähriger Pause wieder einen Vertreter nach London entsendet. Johnson persönlich wird Zeit und Energie investieren müssen, um die Streithähne zu ermutigen. Sonst dürften auch die Forderungen nach einer Volksabstimmung über die Wiedervereinigung mit der Republik im Süden lauter werden. (Sebastian Borger aus London, 13.12.2019)