Im Gastkommentar erläutert der Historiker Lothar Höbelt, warum endemische Streitereien dem "dritten Lager" mehr schaden als die Tradition "Parteispaltungen".

Illustration: Michael Murschetz

"Alles Unglück kommt vom Reden!" So hat ein Großer der österreichischen Wirtschaft, der auf diese Weise auch alle Umbrüche von 1938 und 1945 unbeschadet überlebt hat, seine Lebensweisheit einmal knapp zusammengefasst. In den Führungsetagen von Rot und Blau wird man ihm da momentan nur zustimmen können. Dabei hat die SPÖ natürlich immer die Einheit der Arbeiterklasse hochgehalten: besser mit den Massen zu irren, als gegen sie recht zu behalten. Bei den Blauen zählen "Parteispaltungen" hingegen fast schon zur Tradition. Freilich: Genau genommen haben die Spaltungen der Partei – oder dem "dritten Lager" – meist weniger geschadet als die endemischen Streitereien, die oft an die Stelle einer Spaltung getreten sind, frei nach dem Muster: besser ein Ende mit Schrecken als ein Schrecken ohne Ende.

Endemische Streitereien

Der wortgewaltige Fritz Stüber spaltete sich 1953/54 vom VdU ab, der Vorgängerpartei der FPÖ; seine Auftritte sorgten in Wien für überfüllte Säle. Der offizielle VdU sah dagegen vergleichsweise blass aus. Bloß bei der Wahl ging Stüber mit nur knapp über einem Prozent der Stimmen sang- und klanglos unter. 1966/67 zitterte Friedrich Peter dann kurzfristig vor der NDP, die sich in der Bundesrepublik gerade im Aufwind befand. Doch in Österreich bekam Norbert Burger dann nicht einmal genügend Unterschriften für eine bundesweite Kandidatur zusammen. Nun gut: Jörg Haider und Heinz-Christian Strache waren und sind als jahrzehntelange populäre Obleute ganz andere Kaliber. Aber auch da überwiegen die Unterschiede: Haider startete mit dem BZÖ als regierender Landeshauptmann und Chef einer Regierungspartei. Der Einzug ins Parlament gelang ihm 2006 trotzdem nur ganz knapp. Und die meisten seiner Wähler hatten beim letzten Mal schon gar nicht mehr FPÖ gewählt, sondern ÖVP.

Natürlich: Der Großteil der Funktionäre (aller Parteien) fürchtet Parteispaltungen oder auch nur Kampfabstimmungen wie der Teufel das Weihwasser. Denn da lauert selbstverständlich immer das Risiko eines Karriereknicks, wenn man sich für die falsche Seite entschieden haben sollte. Den Wähler treiben derlei Sorgen schon weit weniger um. Klare Verhältnisse imponieren ihm in der Regel mehr als sogenannte faule Kompromisse. Die drei Parteiobleute, die im Laufe der Zweiten Republik über Kampfabstimmungen an die Spitze ihrer jeweiligen Parteien gelangten, Josef Klaus (1963), Bruno Kreisky (1967) und Haider (1986), erwiesen sich vielleicht nicht zufällig auch als die mit Abstand erfolgreichsten.

Überschätzte Vereinsmeierei

Blau und Grün verfügen nicht über das Korsett der großen Interessenverbände, Kammern und Gewerkschaften, die Parteispaltungen bei Rot und Schwarz meist schon im Ansatz verhindert haben. Die Grünen sind vor kurzem wegen einer solchen Abspaltung sogar aus dem Nationalrat geflogen. Aber nur, weil es wirklich nur um ganz wenige Stimmen ging. De gustibus non est disputandum: In Wirklichkeit haben die Grünen 2017 viel mehr Wähler an Christian Kern verloren als an Peter Pilz. Ähnlich sähe es wohl auch aus, sollte Strache mit einer eigenen Liste demnächst zu den Wiener Wahlen antreten, bei denen für die FPÖ so oder so nicht allzu viele Blumentöpfe zu gewinnen sind. Die Minderheit der 150-prozentigen, eingefleischten Strache-Groupies würde ansonsten wohl eher daheimbleiben, wenn ihr Idol nicht mehr zur Wahl steht. In einem ähnlichen Fall, bei der Sonderkandidatur von Karl Schnell in Salzburg, hat die FPÖ deshalb wohl beim letzten Mal Platz zwei knapp verfehlt. Wohlgemerkt: bei der Landtagswahl – bei der Nationalratswahl, wo es auch wirklich um Inhalte ging, blieb Schnells Liste im Null-Komma-Bereich hängen.

Das Fazit kann nur lauten: Strategisch werden derlei Vereinsmeiereien meist überschätzt. Der eigentliche große Konkurrent – für alle Parteien – sind nicht die "Verräter", "Fraktionierer" oder "Dissidenten", die man ruhig ihrer Wege ziehen lassen kann, sondern die stärkste "Bewegung" von allen, nämlich die Nichtwähler. Im Fall der FPÖ kommt noch dazu: Ihr Hoffnungsgebiet ist das Drittel der ÖVP-Wähler, die Schwarz-Grün nicht mögen. Mit Strache, der zwar nicht absichtlich, aber in aller Tollpatschigkeit den Startschuss zur Auflösung der erfolgreichen türkis-blauen Koalition gegeben hat, würde man gerade auf diesem Terrain wohl kaum punkten. (Lothar Höbelt, 14.12.2019)