Das klassische "Licht ins Dunkel"-Bild: Bundespräsident Alexander van der Bellen nebst Soldaten am Spendentelefon.

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Das Gegenteil von gut ist gut gemeint. Menschen mit Behinderung können davon ein Lied singen. Es ist ein Ohrwurm in Dauerschleife und, ähnlich dem ewigen Last Christmas, ertönt die Melodie rund um die Weihnachtszeit besonders penetrant. Mitschuld trägt daran die Kampagne "Licht ins Dunkel" (LiD) des ORF. Seit 1973 ist die mediale Spendensammlung eine TV-Institution und prägt damit das Bild von Menschen mit Behinderung in der österreichischen Öffentlichkeit.

Fast so traditionell wie die inszenierte Wohltätigkeit erfolgt mittlerweile die Kritik am Format. Seit Jahren fordern Selbstvertretungsorganisationen aus dem Behindertenbereich vom ORF, die Art der Darstellung von Menschen mit Behinderung im Rahmen von LiD zu ändern. "Sie werden meist nur als Dekoration oder Kulisse vorgeführt", ärgert sich Bernadette Feuerstein, Vorsitzende von Selbstbestimmt Leben Österreich (SLIÖ). Feuerstein ist auch Mitglied des Monitoringausschusses zur Umsetzung der von Österreich ratifizierten UN-Konvention über die Rechte von Menschen mit Behinderung.

Mangel ist politischer Zustand

Sie sagt: Das Bild der behinderten Almosen- und Spendenempfänger, das in einer der quotenstärksten TV-Sendungen des Landes tradiert wird, verdecke den Blick auf die wahren, ungelösten Probleme. Denn der Mangel, unter dem viele Menschen mit Behinderung in Österreich leiden, sei in erster Linie ein politischer Zustand. "Wir leben in einem der reichsten Länder der Welt. Wieso sorgt nicht der Staat für eine ausreichende Grundversorgung?_Es ist beschämend, wenn im Fernsehen um Geld für Rollstühle oder Heilbehelfe gebettelt werden muss", sagt Feuerstein.

In Deutschland wurde diese Diskussion schon vor 20 Jahren geführt. Damals wurde nach ähnlicher Kritik aus der "Aktion Sorgenkind" die "Aktion Mensch", die seither neben dem Spendensammeln vor allem Bewusstseinsbildung im Sinne von Menschen mit Behinderung betreibt. Angesichts der Reichweite, die LiD hat, könnte man die Kampagne nutzen, um die Barrieren in den Köpfen hierzulande abzubauen, ist Medienanalytikerin Maria Pernegger überzeugt.

Berichterstattung zum Alltag fehlt

Sie hat in einer Media-Affairs-Studie die Darstellung von Menschen mit Behinderung in den österreichischen Massenmedien untersucht. Ihr Resümee ist ernüchternd: "Sie werden entweder bewundernd als Helden, vor allem im Sportkontext, oder aber als bemitleidenswerte Opfer präsentiert. Fast gänzlich fehlt die Berichterstattung über gewöhnliche Menschen mit Behinderung." Dadurch fehle auch das Bewusstsein für alltägliche Probleme oder Anliegen dieser Bevölkerungsgruppe.

Die Exklusion von Menschen mit Behinderung beginne in Österreich schon im Kindesalter durch Sonderschulen und Heime, kritisiert Pernegger. Dadurch festigt sich in der Gesellschaft das Bild, es handle sich dabei um eine getrennte Lebenswelt. Dieses Denken spiegelt sich in der medialen Darstellung wider, wo behinderte Menschen zum Objekt der Berichterstattung werden, ohne echte Teilhabe. Ein Teufelskreis, den es endlich zu durchbrechen gelte, sagt Pernegger.

Umdenken findet anderswo schon statt

Martin Ladstätter, Obmann des Zentrums für Selbstbestimmtes Leben (BIZEPS), ist selbst Journalist und kann zumindest Anzeichen für eine Trendwende erkennen:_"Das eine mediale Bild von Menschen mit Behinderung gibt es nicht mehr. In den letzten Jahren haben viele Journalistinnen und Journalisten handwerklich sehr ansprechende Beiträge verfasst." Neben der Frage, wie berichtet wird, sei auch der barrierefreie Zugang zu Nachrichten wichtig – etwa News in einfacher Sprache, Kommentare für Blinde, et cetera. Ladstätter fordert dahingehend "größere Umbrüche".

Feuerstein und Pernegger empfinden es als positiv, dass es etwa im ORF eine Vielzahl an bemerkenswerten Formaten gebe, die Inklusion fördern. Umso wichtiger sei es daher, dass dieses Umdenken auch beim Flaggschiff LiD ankomme. Denn in der jetzigen Form diene das Format vor allem der Politik und Unternehmen als PR-Plattform. Jene, die mit behinderten Kindern in Kameras lächeln, sollten bei dieser Gelegenheit befragt werden, wie sie zu den Themen Schulinklusion oder Zugang zum Arbeitsmarkt stehen, empfehlen die Expertinnen.

Das gute Geschäft

Momentan bleibt nur der schale Beigeschmack des guten Geschäftes für alle nichtbehinderten Beteiligten. So ist eine "Platin-Partnerschaft" bei "Licht ins Dunkel" als "Social-Responsibility-Investment" für 10.000 Euro zu haben. Inkludiert sind ein "eigens produzierter Imagespot mit persönlichem Dankeschön im Abspann", "das LiD-Platin-Spendensiegel als Zeichen Ihres sozialen Engagements", ein E-Mail-Banner, eine gerahmte Urkunde sowie öffentlichkeitswirksame Berichterstattung.

Allein die vergangene Woche hat gezeigt, wie viele wichtige Themen medial zu kommunizieren wären, die den Alltag von Menschen mit Behinderung betreffen. Die Volksanwaltschaft wies darauf hin, dass rund 22.000 Menschen in Behindertenwerkstätten noch immer in die Rolle von Kindern gedrängt werden, die Taschengeld beziehen. Eine Studie des Sozialministeriums belegt, dass Menschen mit Behinderung in Österreich überproportional häufig Gewalterfahrungen machen mussten. Doch diese Bereiche bleiben weiter im Dunkeln.

Reaktion des ORF

STANDARD-Anfragen an den ORF um eine Stellungnahme blieben im Zuge der Recherchen unbeantwortet. Nach Veröffentlichung des Artikels hat sich Pius Strobl, der für "Licht ins Dunkel" zuständige ORF-Hauptabteilungsleiter, schriftlich zu Wort gemeldet. In dem Schreiben verteidigt er die Kampagne, deren zentrales Anliegen es ist, "die reale Lebenssituation von Menschen mit Behinderungen sowohl zu verbessern als auch deren selbstbestimmte Teilhabe an der Gesellschaft zu unterstützen".

Grundsätzlich, so Strobl, sei der ORF "auf einem sehr guten Weg in Richtung Inklusion und gleichberechtigte Teilhabe von Menschen mit Behinderungen". Mehrere Schritte nennt er dabei als Positivbeispiele, unter anderem, dass ORF-Generaldirektor Alexander Wrabetz Franz-Joseph Huainigg 2019 als Experten für Barrierefreiheit in den ORF geholt hat. (Steffen Arora, 14.12.2019)