Eigentlich hätte Gernot Wagner bei der Weltklimakonferenz in Santiago de Chile dabei sein sollen. Da diese wegen anhaltender sozialer Unruhen nach Madrid verlegt wurde, blieb der Klimaökonom zu Hause in New York. Im Videogespräch mit dem STANDARD erklärt der Austro-Amerikaner, wieso Klimapolitik auf lokaler Ebene so wichtig ist, was Frankreichs Präsident Emmanuel Macron bei seiner Ökoreform falsch gemacht hat – und wieso die Politik von US-Präsident Donald Trump letztlich gut fürs Klima sein könnte. Wagner ist Co-Autor von Klimaschock, Österreichs Wissenschaftsbuch des Jahres 2017. Der Klimaexperte ist überzeugt von der Wirksamkeit einer CO2-Bepreisung. Es brauche aber auch andere radikale Maßnahmen wie ein Autoverbot und öffentliche Verkehrsmittel im Minutentakt.

STANDARD: Zwei Wochen wurde hier in Madrid verhandelt, Lösungen wurden kaum präsentiert. Warum geht in der Klimapolitik so wenig weiter?

Wagner: Ein großer Teil des Problems kann gar nicht auf internationaler Ebene gelöst werden, sondern muss lokal und regional in Angriff genommen werden. Viele große Emittenten wie die USA, Indien, Australien und einige Länder Europas gehen derzeit in die falsche Richtung. Daher hängt viel von einzelnen Staaten oder Bundesländern ab.

STANDARD: Die USA haben angekündigt, aus dem Pariser Abkommen auszutreten. Wie wird sich das auswirken?

Donald Trump gut für das Klima? Die Zukunft könnte zeigen, dass es so ist.
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Wagner: Bei der US-Wahl im nächsten November könnte sich herausstellen, dass Donald Trump eigentlich gut für das Klima war. Natürlich spreche ich da nicht von der Politik der vergangenen drei Jahre, sondern von den Reaktionen darauf. Wäre Hillary Clinton Präsidentin geworden, hätten die USA jetzt wahrscheinlich einen etwas geringeren Emissionsausstoß – aber das wär’s auch schon. Trumps Politik war natürlich schlecht für das Klima. Aber: ohne Trump keine Greta Thunberg, keine 80-seitigen Klimapläne der Demokraten, vielleicht auch keine 1,7 Milliarden Dollar Investitionen in Fahrradwege in New York.

STANDARD: Braucht es den Tief- vor dem Wendepunkt beim Klimaschutz?

Wagner: Ohne diesen Pendelumschwung hätte es jedenfalls keine Klimamärsche mit Millionen Menschen gegeben. Vor fünf Jahren wäre das undenkbar gewesen. Und was die Kehrseite von Trumps Politik betrifft: Klima ist ein so langfristiges Problem – was sich von einem Jahr auf das andere tut, hat fast keine Auswirkung auf das Weltklima. Der langfristige Pfad zählt.

STANDARD: Waren es nicht auch die bereits spürbaren Klimafolgen, die diese Bewegung in Gang gesetzt haben?

Wagner: Sicher auch, aber Greta Thunberg wäre ohne den US-Präsidenten nicht innerhalb von 13 Monaten von null auf drei Millionen Follower gekommen. Die Vengaboys hätten ja auch nicht tausende Leute auf den Ballhausplatz gebracht, wenn Ibiza nicht passiert wäre.

STANDARD: Sie sagen, was gegen umfassende Klimagesetze spricht, ist die Unmöglichkeit eines klaren Sieges. Wie meinen Sie das?

Wagner: Das Problem ist, dass das Klimaproblem so groß ist. Wir können es nicht einfach lösen und sagen: "Fertig, wir kümmern uns um andere Dinge." Bis die CO2-Emissionen auf null gesenkt werden können, dauert es aber Jahrzehnte. Da gibt es keinen einfachen Erfolg. Da kann kein Politiker behaupten, er habe es geschafft. Hier geht es um ein so massives, globales, perfektes Problem – das macht es so schwer lösbar.

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Die Verkehrspolitik ist einer der großen Hebel in Sachen Klimaschutz.
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STANDARD: Angenommen, es findet sich doch eine Regierung, die willens ist – wo sollte sie ansetzen?

Wagner: Auf jeder Ebene, zum Beispiel bei der Verkehrspolitik. Das Zillertal etwa beschwert sich jeden Sommer und Winter über permanenten Stau. Wie wär’s mit Autos verbieten und Elektrobusse im Dreiminutentakt durchs gesamte Tal schicken? Klar, das kostet Geld, würde eine massive Umstellung bedeuten. Aber genau darum geht es: um zukunftsweisende, radikalste Veränderungen in der lokalsten Politik.

STANDARD: Diese Radikalität bekommt Politikern oft aber nicht so gut. Der französische Präsident Macron musste zurückrudern, nachdem er angekündigt hatte, die Treibstoffpreise zu erhöhen. Was hat er falsch gemacht?

Wagner: Macron hat mit einer Steueranhebung auf fossile Kraftstoffe begonnen. Das war ungeschickt, denn es fehlten die Gegenleistungen dafür.

STANDARD: Wie macht man es richtig?

Wagner: British Columbia etwa hat eine CO2-Steuer eingeführt und die gesamten Einnahmen mittels Scheck an die Bevölkerung zurückgegeben. Besonders geschickt war, dass die Schecks schon gekommen sind, noch bevor die Steuer überhaupt eingehoben wurde. Die Reichen mit zwei, drei Autos bezahlen dadurch mehr, als sie zurückbekommen. Die Ärmeren bezahlen teils viel weniger, als sie an Geld wieder zurückbekommen. Das macht die Maßnahme auch so populär.

STANDARD: Nach diesem Modell hätte man ja politisch wenig zu befürchten, oder?

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In Kopenhagen fahren die meisten Menschen mit dem Fahrrad zur Arbeit.
Foto: Reuters/Fabian Bimmer

Wagner: Nehmen wir das Beispiel Kopenhagen. Dort fährt die Mehrheit der Menschen mit dem Rad zur Arbeit. Warum geht das dort? Es ist auch nicht über Nacht gewachsen, sondern nach und nach. Immer mehr Radwege haben immer mehr Radfahrer motiviert. Irgendwann hat sich herausgestellt, dass es in einer Stadt wie Kopenhagen um einiges leichter, bequemer und billiger ist, mit dem Rad unterwegs zu sein als mit dem Auto. Heute sind in Kopenhagen fast alle Politiker für mehr Radwege. Sie übertrumpfen sich förmlich mit ihren Angeboten, weil sie nur so gewählt werden.

STANDARD: Vielleicht ist das ein Spezifikum von Kopenhagen?

Wagner: Hier in New York wurden im vergangenen Monat in der 14th Street die Privatautos verboten. Busse sind erlaubt, die fahren jetzt pünktlich im Fünf- oder Zehn-Minuten-Takt. Und ja, man kommt auch mit dem Rad oder Scooter inmitten der jetzt fast leeren, vierspurigen Straße um einiges besser und schneller voran, als es mit dem Auto je möglich gewesen wäre. Ab nächstem Jahr muss jeder eine Gebühr bezahlen, der ins südliche Manhattan reinfahren will. Es gilt das Prinzip, dass klimaschädliche Verhaltensweisen so teuer wie nötig sein müssen.

Gernot Wagner (39) ist Klimaökonom an der New York University. Der gebürtige Amstettner studierte in Harvard und Stanford. Zusammen mit anderen hat er am Emissionshandelsbuch der Weltbank mitgeschrieben.
Foto: Rose Lincoln

STANDARD: Sie haben jetzt von einigen Beispielen auf nationaler Ebene gesprochen. In Österreich schiebt man heikle Themen gerne auf die nächste Ebene, jene der Europäischen Union. Darf man es sich so leicht machen?

Wagner: Gegenfrage: Wo sonst verstecken wir uns hinter anderen und sagen: "Wir können leider unsere Lipizzaner und Sängerknaben nicht subventionieren, weil, schau, die anderen machen das ja auch nicht." Das ist eine gern verwendete Ausrede. Natürlich wären einheitliche Maßnahmen besser. Aber leider gibt es keine Weltregierung, die das einfach global regeln kann. (14.12.2019)