Der Zufall ist ein ausgschamstes Luder. Aber echt. Es ist ein Dutzend Journalisten, die gemeinsam mit mir die erste Elektro-Harley testen dürfen. Den meisten spritzt die Skepsis regelrecht aus den Ohren. Und grad ich, der einzige in der Bande, der dem Radl mit einer gewissen Begeisterung gegenübertritt, sitz auf dem Bock, der sofort nach dem Starten im Display um einen fachkundigen Techniker bittet, und sonst genau gar nichts macht.

Die LiveWire hat schon viel von einer Harley. Aber auch viel anderes.
Foto: Harley-Davidson

Was bei den Benzinerautos nie, bei E-Autos und Computern schon ein paar Mal geholfen hat – Aussteigen – Einsteigen – will hier nicht weiterhelfen. Ich dreh die Harley ab, noch einmal auf. Nix. Service! In der Zwischenzeit steht nicht nur schon ein Techniker neben der zickigen LiveWire, sondern auch ein weiteres Motorrad. Sie startet. Zeigt mit vollen Akkus eine Reichweite von 172 Kilometer an. Ich überschlage im Kopf. Das ist zweikommairgendwas Mal meine Nachmittagsrunde. Aber wir wissen ja, gerade bei E-Mobilen hängt die Reichweite stark von der Art der eigenen Motivation ab. Und ich bin motiviert. Aber wie ich gerade meinen Vorsatz festige: "Wenn der Grip nicht reicht, reicht hoffentlich der Gips", schaltet mir der Harley-Techniker den Regenmodus rein.

Kalt und feucht

Der Grund ist schnell erklärt. Auch wenn wir Mitte Dezember im Hinterland von Barcelona sind, und es im Vergleich zu daheim angenehm warm ist, ist es den Reifen saukalt. Den Straßen auch. Die trocknen tagsüber im Schatten gar nicht auf. Weil es vor allem auf der ersten Etappe besonders rutschig sein soll, der Antritt von der E-Harley im Sportmodus aber außerordentlich sportlich, und die Anzahl der Ersatzbikes nicht mit der Liste der noch erwarteten Testern korreliert, will man weitere Ausfälle lieber hint anstellen. Jo, eh. Mein Verdacht ist da eher ein anderer. Im gedrosselten Regenmodus geht es sich aus, dass die Akkuladung, für die mit drei Stunden anberaumte Runde über ein paar Bergstraßerl und ein Stück Autobahn, sicher reicht. Oder – auch eine Möglichkeit – die großen Motorradhersteller reden ein wenig zu viel miteinander, und jemand hat den Amis meine Historie devastierter Motorräder geschickt, was deren Vertrauen in meine Fahrkünste nach unten schraubte.

Modernes Motorrad trifft auf historisches Leder.
Foto: Harley-Davidson

Wenn ich eh schon so ausschweifend mehr von meinen persönlichen Erlebnissen als von der LiveWire erzähle, kann ich auch gleich erklären, warum ich den Regenmodus nicht gleich nach dem Wegfahren wieder gegen den Sportmodus getauscht habe. Während nämlich alle Kollegen sehr fein in edles und wärmendes Textil gekleidet sind, bin ich in einem Leder aus den 90er-Jahren angereist. Kollege Sigi Palz, von der Kleinen Zeitung, hat es mir geschenkt, nachdem ich ihm vor einiger Zeit ein Bild von meiner Letztanschaffung, einer 96er Suzuki GSX 750 F gezeigt habe. "Ich hab eine Lederkombi", sagte der Sigi, "die ist genau so schirch." Zwei Tage später hatte ich die Dainese-Daggn in der Post. Die wäre ein schöner Kontrapunkt zur modernen E-Harley, hab ich mir gedacht, und sie eingepackt. Nur sie war ein unschöner Kontrapunkt zu den Dezember-Temperaturen auf den Bergen hinter Barcelona. Und weil weniger Fahrtwind weniger Körperwärme verzaht, war der aufgezwungene Regenmodus eine willkommene Ausrede.

Die erste Kurve

Ein bisserl gezwungen wollte auch die LiveWire werden. Im ersten Kreisverkehr nämlich. So recht wollte sie nicht in die Kurve fallen. "Also eh eine echte Harley", denk ich mir noch. Weil die kriegt man ja durch die Bank nicht so einfach ums Eck, was meist schon allein dem Lenkkopfwinkel geschuldet ist. 24,5 Grad sind es bei der LiveWire. 30 Grad sind es bei der Softtail Street Bob King. Nur so zum Vergleich. 25,5 sind es bei der alten Suzuki. 23,1 bei der BMW RR 1000.

Die LiveWire hat Voll-LED-Scheinwerfer.
Foto: Harley-Davidson

Der Lenkkopfwinkel kann es also nicht sein. Der ist sehr sportlich. Obwohl einem das auf den ersten Blick gar nicht auffällt. Optisch passt die LiveWire gut zu ihren konventionellen V2-Geschwistern. Sie wirkt zierlicher. Aber nicht einmal, dass da kein Auspuff dran ist, merkt man sofort. Wenn man stutzt, dann eher wegen der eher hohen und verdammt kurzen Sitzbank. Die schaut sehr stark aus. Und der Kniewinkel ist so eng, dass das alte Leder sogar ein wenig knirscht, wenn man die langen Haxen mit den Fußballen auf die Rasten pflanzt.

Geometrischer Firlefanz

Schon zwei Kurven später, war das Bockige wie verschwunden. Gut, drei Ecken zum daran gewöhnen, das ist jetzt eigentlich nix. Vermutlich lag also der Grund, warum ich den ersten Kreisverkehr so eckig nahm, nicht am Lenkkopfwinkel, dem Nachlauf, der Felgengröße oder sonst einem geometrischen Firlefanz, über den man seine eigene Unfähigkeit gerne rechtfertigt, sondern allein daran, dass die Rekuperation im Rain-Mode so gering ist, wenn man den Gashahn schließt, dass allein die geringe Motorbremswirkung ungewohnt beim Einlenken war. Och ja, "Gas geben" am E-Bike. Was glauben Sie, wie sich die benzinvernarrten Kollegen stundenlang darüber ereifern konnten, dass man nicht Gasgriff sagen darf, weil man ja nicht Gs gibt, sondern Strom. Den Zenit erreichte die Diskussion, als ein ganz schlauer Kerl den Nik – ein Amerikaner, Gesandter vom Werk, Harley-Davidson-Kapazunder, was die Live Wire angeht – auf das so heiße Problem ansprach und fragte: "How do you call the throttle?" Nik kann von Glück reden, dass ihm das Gesicht nicht stecken geblieben ist. Daheim hätte ihn so niemand mehr erkannt.

Das kurze Heck sticht sofort ins Auge.
Foto: Harley-Davidson

Ich hätt mich selber fast nicht mehr kennt, als ich nach sicher einer halben Stunde drauf kam, dass ich immer noch im Rain-Mode unterwegs war. Für jene, die schon länger nimmer auf einem modernen Motorrad gesessen sind und die typischen Fahrmodi nicht kennen: Der Regen-Modus ist nix, in dem man ein Motorrad bewegt. Da liegt nur ein Teil der Maximalleistung an, die Traktionskontrolle ist so sensibel, dass sie sogar in einer ausgetrockneten Wasserlacke zu regeln beginnt, und die Gasannahme ist so sanft, dass man für gewöhnlich das Gefühl hat, den Gasgriff einmal um sich selbst drehen zu müssen, damit überhaupt was weiter geht. Jetzt ist das Vergessen auf den Modus aber nur darauf zurück zu führen, dass die Harley schon in der schaumgebremsten Betriebsart so gut fährt, dass man gar nicht glaubt, auf Baldrian unterwegs zu sein.

Leistungsdaten

Klar, es liegt nur ein Bruchteil der 106 PS Spitzenleistung an – das sind 78 kW – die Dauerleistung liegt bei 60 kW, 82 PS. Aber im Vergleich zu anderen E-Motorrädern ist die Fahrerei auf der LiveWire echt eine Wucht. Da fehlt es an nix. Da passt die Sitzposition, die E-Harley fährt sich sogar viel agiler als jeder andere Bock der Firma. Viel, viel agiler. Das 4,3 Zoll große Farbdisplay nervt nicht, ganz im Gegenteil, alle Infos sind gut abzulesen, und man kann es via Touch oder noch einfacher über die Tasten am Lenkerende bedienen. Voll-LED bei der Beleuchtung ist eh klar, weil die Birndln einfach weniger Strom brauchen. Und nicht einmal der Sound geht einem ab. Die LiveWire surrt frech vor sich hin. Je schneller man fährt, desto eindringlicher wird das Geräusch, aber es ist nie nervend. Der Sound ist nicht künstlich, man hört einfach die Zahnderln im Getriebe ineinander greifen. Eine Schaltung samt Kupplung gibt es nicht. Braucht es auch nicht. Mit 116 Newtonmeter, die quasi ab dem Stand anliegen, ist man sowieso immer im richtigen Gang. Nur der richtige Modus für die kleine Erlebnisrunde fehlt jetzt noch. Sieben Modi bietet Harley-Davidson, wovon drei frei zu programmieren sind. Da stellt man sich dann Leistung, Rekuperation und die Traktionskontrolle selbst von 0 bis 100 Prozent, via Schiebereglern am Touchdisplay selbst ein, und speichert das Setting. Den braucht man aber eigentlich gar nicht, den Tand. Es gibt ja eh den Sportmodus. Einmal alles mit scharf. Und genau den hab ich natürlich bei einem kurzen Halt aktiviert.

Der Endantrieb funktioniert über einen Riemen.
Foto: Harley-Davidson

Sport-Mode

Was dann passierte, ist schwer in Worte zu fassen. Sagen wir so, um ein Haar wäre es im Schritt für ein paar Minuten warm und dann kalt geworden. Der Helm erzählt davon, dass er ein wimmerndes "Sakrament" vernommen habe. Jedenfalls, mit dem Regen-Modus-Gefühl in der rechten Hand, sollte man im Sport-Modus nicht losfahren. In der Regel sprintet die LiveWire dann in drei Sekunden von 0 auf 100 km/h. Wenn es aber kalt ist, dem Asphalt und den Gummis, dann reißt das Hinterrad einfach durch und das Heck der LiveWire beginnt zu wedeln wie der Schwanz von einem Hund vor der Knackwurst. Ohne das gestörte Training in der Karthalle mit dem Roland Resch, hätte ich in drei Sekunden einen neuen Helm gebraucht, und noch im Straßengraben das Entschuldigungsschreiben an den Sigi aufsetzen können, dass sein Leder zwar 30 Jahre ohne Kratzer überstanden hat, man jetzt aus den Fransen aber höchstens noch a Peitscherl bauen kann, mit dem er mich natürlich entsprechend geisseln dürfte, wenn die aktuellen Wunden verheilt sind. Aber dank des Roland war statt der Angst die Hetz groß.

Steinigt mich, aber die LiveWire ist das beste E-Motorrad, das derzeit am Markt ist. Also demnächst kommen die ersten Radln zum Zündwerk in Wien. Das ist vorerst der einzige Händler, der die LiveWire verkaufen und servicieren wird. Da ist schon einiges an Schulung für die Mitarbeiter notwendig. Das mit dem Strom ist ja eine ganz andere Geschichte als mit einem V2, den man einfach abstellt, und gut ist es. Außerdem baut Harley-Davidson bei jedem LiveWire-Händler eine Schnellladestation auf – gehen wir davon aus, dass bald alle Harley-Händler eine haben werden. An der kann man den 15,5 kWh-Akku der LiveWire dann mit Gleichstrom in 40 Minuten zu 80 Prozent, in einer Stunde komplett voll laden. Abseits der Schnellladung mit Gleichstrom tut sich Harley-Davidson ein bisserl eine Flanke auf. Denn die LiveWire hat zwar einen CCS2-Typ-2-Ladestecker, nimmt über den aber Wechselstrom nur in Haushaltsdosen auf. Damit steht man an einer Ladestation ohne Gleichstrom also genau so lange wie daheim an der Steckdose mit Lichtstrom. Rund elf Stunden dauert es, die leere LiveWire dann komplett voll zu laden. Ein gefundenes Fressen für die E-Verweigerer.

Im Sport-Modus reißt die LiveWire an, dass es einem ein Jodeln ins Gesicht zaubert. Das wird beim Blick auf den Preis aber schnell zum Gewinsel.
Foto: Harley-Davidson

Mir hingegen passert das gut. Die Hausrunde schaff ich zweimal mit einem Akku – und die bin ich mit der Suzuki auch nie öfter gefahren. Über Nacht ist der Akku dann eh wieder voll. Der Weg in die Arbeit und zurück geht sich auch locker aus, obwohl ich wirklich weit weg vom Tempel der Arbeit wohne. Zudem habe ich das Glück, in der Redaktion laden zu können. Blöderweise müsste ich halt relativ früh wegfahren. Weil die Diretissima ist mit dem Bock keine Option. Außerdem müsst ich immer das Leder mit den Schleifern anlegen. Weil die Harley, die will aufs Knie. Und da sind wir mit den Problemchen noch gar nicht fertig. Denn die LiveWire wird 33.390 Euro kosten. Da werden die vier Jahre, die Harley-Davidson Garantie auf die LiveWire gibt, nicht zum Sparen ausreichen, da werden es eher die fünf Jahre werden, die sie Garantie auf das RESS geben, wie sie die Einheit aus Akkus und Computerklumpert nennen, das in den Brückenrahmen aus Aludruckgussprofilteilen geschraubt ist. Alles zusammen ist das übrigens eine recht steife Konstruktion, wie mir scheint. Der die Showa-Teile übrigens nicht nachstehen wollen. Denn die Fuhre ist hart wie ein Betonpfeiler.

Abstimmungssache

Aber vielleicht ist das Testrad auch nur auf 160 statt 80 Kilogramm abgestimmt. Was aber unter dem Strich egal ist, denn wir reden hier immer noch von einer Harley-Davidson. Also einem Motorrad, das es sonst mit dem Feedback nicht so genau nimmt. Das ist bei der LiveWire anders. Wie auch die Bremsen. Wie die zupacken war im Regen-Modus noch eine Überraschung. Im Sportmode wäre alles andere tödlich. Vielleicht haben sie auch deshalb das Kurven-ABS noch einmal überarbeitet.

Getankt wird wie bei anderen Motorrädern auch, über den Zugang am Tankdeckel.
Foto: Harley-Davidson

Es wäre jetzt pure Flunkerei, elegisch von der Tour im Sportmodus zu erzählen. Da waren kaum Kapazitäten zum Speichern frei, fast alle Ressourcen brauchte das Fahren auf. Ich erinnere mich an fette Grinser, gedemütigte Verbrenner-Motorräder. Dass ein Autofahrer an der Ampel das Fenster runter gekurbelt hat und Drehbewegungen mit dem Ärmel machte, weil er den fetten Harley-Sound hören wollte, hab ich nur erzählt und selbst nicht mitbekommen. Vermutlich war ich zu sehr mit dem Pulsieren der LiveWire beschäftigt. Damit man am Stand merkt, wann sie eingeschalten ist – man hört es ja nicht – schebbert die nämlich ein wenig. Wenn man weiß, dass es ein imitierter Herzschlag ist, dann versteht man das auch so. Das Herz war mir nach der halben Tour aber sowieso schon in die Hose gerutscht – kann also sein, dass ich was anderes gespürt habe. Nein, es war nicht die Reichweitenangst. Eher basiert das auf der Tatsache, dass die drei Stunden-Tour trotz Pausen keine zwei gedauert hat.

Reicht weit

Kälte und Presserei konnten den Akkus aber erstaunlich wenig anhaben. Nach dem rund 80 Kilometer langen Runderl waren die Batterien noch mehr als halb voll. Und auch die sich mir verweigerte LiveWire war bei meiner Rückkehr wieder auf der Höhe. Nik meinte, es war vermutlich ein Schluckauf in einem der Steuerelemente. Weil, als sie eine Viertelstunde nach meiner Abfahrt dazu kamen, sich um die Krezen zu kümmern, war wieder alles in Ordnung. Es dauert ein paar Minuten, erklärte Nik, bis alle Elemente wirklich stromfrei geschalten werden können. Runter- und Hochfahren war also doch die Lösung.

Fünf Jahre gibt Harley-Davidson Garantie auf den Akku und die Steuereinheit.
Foto: Harley-Davidson

Der Nik Elwood – was für ein Name – verriet aber noch mehr. Nämlich, dass noch eine ganze Reihe von E-Fahrzeugen bei Harley in der Pipeline stehen. Wenn eines davon am ehesten die bestehende Kundenschicht anspricht, ist das die LiveWire. Aber schon allein dafür ist ein ziemlicher Spagat notwendig. Weil der Sound passt nicht, die Reichweite passt höchsten zu einem Peanut-Tank, und dann bleibt noch das sportliche Setting. Harley-Davidson wird also neue Kunden finden müssen, die nur eines mit den bestehenden gemeinsam haben: Eine dicke Brieftasche und die Lust, etwas Besonderes zu besitzen. (Guido Gluschitsch, 16.12.2019)