"Wir sind in einem Wahn, der vom internationalen Druck ausgeht, immer mehr und mehr zu machen", sagt Veronica Kaup-Hasler über die Wiener Kulturszene.

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Plus zehn Prozent, 26 Millionen Euro mehr – mit einer derart stolzen Erhöhung des Wiener Kulturbudgets hatte kaum jemand gerechnet. Für Kulturstadträtin Veronica Kaup-Hasler (SPÖ) war es ein Akt der Vernunft: Beim angeschlagenen Volkstheater soll damit ein Desaster wie beim Negativbeispiel Burg abgewendet werden, der freien Kulturszene will sie zu besserer sozialer Absicherung verhelfen.

STANDARD: Wird die Erhöhung des Kulturbudgets ein Einmaleffekt vor der kommenden Wien-Wahl bleiben, oder soll es in der Tonart auch danach weitergehen?

Kaup-Hasler: Es ist eine großartige Erhöhung und gleichzeitig eine Notwendigkeit, wenn man Strukturen gesund erhalten will und sich die soziale Lage der Künstler anschaut. Wir haben jetzt zwei Studien dazu gehabt, über deren Ergebnis alle entsetzt waren. Da will ich etwas verbessern.

STANDARD: Das Ziel der Erhöhungen ist ein sozialpolitisches?

Kaup-Hasler: Diese Stadt produziert unheimlich viel Kunst. Dabei sind wir aber in einem Wahn, der vom internationalen Druck ausgeht, immer mehr und mehr zu machen. Es gibt die paradoxe Situation, dass Initiativen mit einem gesellschaftskritischen, linken Programm zugleich selbst unter armutsgefährdenden Bedingungen produzieren. Das ist ein Widerspruch. Die Erhöhungen sollten wir also nicht für immer mehr zusätzliches Programm verwenden, sondern dafür, besser zu bezahlen. Ich sage: Macht weniger oder gleich viel, aber: Macht es besser, habt mehr Zeit dafür, engagiert die Leute adäquat, stellt sie an!

STANDARD: Qualität vor Quantität, Spitze statt Breite, so hat sinngemäß auch der letzte ÖVP-Kulturminister argumentiert.

Kaup-Hasler: Da muss ich in einem wesentlichen Punkt widersprechen. Es geht eben nicht darum, aus neoliberalen Überlegenen das Angebot zu reduzieren. Die Breite, die Vielfalt der kulturellen Landschaft ist mir enorm wichtig. Aber wir müssen die Qualität von künstlerischer Arbeit adäquat fördern. Daher meine Forderung auch an den Bund: Mehr Geld für die Kultur!

STANDARD: Ein ewiges Problem ist die fehlende ständige Inflationsanpassung der Kulturbudgets. Wollen Sie diese Valorisierung?

Kaup-Hasler: Absolut, ja. Aber das ist auch immer mit dem Finanzgebaren der Stadt zu akkordieren. Es ist aktuell mit dem Finanzstadtrat abgesprochen, dass man alle zwei bis drei Jahre valorisiert. Das bedeutet ein stetig wachsendes Kulturbudget.

STANDARD: Kommen wir zum Sorgenkind Volkstheater. Der Künstler Julius Deutschbauer hat Ihnen einen Schmähpreis für die turbulente Bestellung von Kay Voges als Volkstheater-Direktor verliehen. Warum dieses Chaos?

Kaup-Hasler: Ich kenne Julius Deutschbauer gut und schätze ihn, aber das würde ich dann doch unter der Kategorie abgestandener Altherrenwitz einordnen. Ihm fehlt da die Kenntnis der Hintergründe. Sowohl Minister Blümel als auch ich waren neu im Amt, der Bund hat zunächst einmal die Finanzierung der Sanierung infrage gestellt. Dann hat das Hearing der Bewerber nicht das gebracht, was wir erhofft hatten. Also haben wir eine Nachdenkpause verordnet und sind selbst an Kandidaten herangetreten. Kay Voges war einer der Kandidaten, die von der Jury ins Spiel gebracht wurden und der in zahlreichen Bewerbungen als Referenz angeführt wurde.

STANDARD: Ex-Kulturminister Gernot Blümel hat Ihnen eine zusätzliche Million für das Volkstheater abgesagt, fordern Sie diese Million weiter vom Bund?

Kaup-Hasler: Ja, denn ich glaube, das ist eine Frage von Analyse, Expertise und Verstand. Die Wahrheit ist: Es bräuchte wahrscheinlich noch mehr Geld, wenn man wirklich im Wettbewerb der relevanten Theater im deutschsprachigen Raum mithalten will. Das gilt im Übrigen auch für die Josefstadt.

STANDARD: Kay Voges hat vorgerechnet, dass das Hamburger Schauspielhaus, mit dem man sich misst, 26 Millionen hat, das Volkstheater muss mit 14 auskommen.

Kaup-Hasler: Ja. Deswegen sage ich: Schaut ein bisschen über den Tellerrand hinaus und reden wir dann weiter.

STANDARD: Wie wollen Sie mit dem desaströsen Rechnungshofbericht zum Volkstheater umgehen? Den überbordenden Sonderzulagen, den fragwürdigen Zusatzpensionen?

Kaup-Hasler: Das sind historisch gewachsene Strukturen, die längst nicht mehr der Zeit entsprechen. Davon muss man sich selbstverständlich verabschieden. Es liegt eine falsche Grundstruktur vor: In vielen Bereichen wird so unterirdisch schlecht bezahlt, dass man erst über ein Arsenal an allen möglichen Zulagen zu einem anständigen Gehalt kommt. Das gehört überarbeitet. Da muss man auch in den Kollektivvertrag hinein.

STANDARD: Wie?

Kaup-Hasler: Zunächst müssen wir als Subventionsgeber dafür sorgen, dass es ein vernünftiges finanzielles Grundkonzept gibt, auch mit einer Valorisierung. Wenn das erfüllt ist, muss auch die andere Seite bereit sein, in einem sozialpartnerschaftlichen Denken die Kollektivverträge neu aufzusetzen. Und da geht es eben nicht um versteckte neoliberale Maßnahmen, sondern um die Etablierung nachvollziehbarer und fairer Gehaltsstrukturen.

STANDARD: Eigentümer des Volkstheaters ist eine gemeinnützige Stiftung des ÖGB. Dort scheint man gewillt zu sein, sich zurückzuziehen. Stimmt das?

Kaup-Hasler: Früher saßen im Stiftungsbeirat zehn Mitglieder des ÖGB und je ein Vertreter von Stadt und Bund. Mittlerweile sind es nur noch sechs vom ÖGB und je drei von Stadt und Bund. Es dürfte nun tatsächlich so kommen, dass sich der ÖGB ganz zurückzieht. Allerdings ist uns durch die Regierungskrise der Bund abhandengekommen. In vielen Dingen warte ich auf ein neues, kompetentes Gegenüber im Bund.

STANDARD: Wird man das Volx/Margareten und die Bezirketournee infrage stellen?

Kaup-Hasler: Es wird von mir keine Vorgabe geben. Voges muss man jetzt Luft lassen, dass er sich alles in Ruhe anschauen kann. Er wird das Thema Bezirke aber sicher anders handhaben, als es bisher der Fall war.

STANDARD: Der Rechnungshof lobt das einstige Sanierungskonzept des Josefstadt-Theaters und empfiehlt es als Vorbild für das Volkstheater. Für Sie nachvollziehbar?

Kaup-Hasler: Jedes Theater hat ganz eigene Parameter. Der Rechnungshof schlägt zum Beispiel vor, dass man bei den Tantiemen spart. Das hieße aber, dass man keine zeitgenössischen Produktionen mehr spielt. Und das kann es doch nicht sein! Kay Voges sagt, dass man nicht jeden Tag spielen muss. Das sehe ich auch so. Lieber weniger und dafür voll als jeden Tag halbleer.

STANDARD: Leidet das Volkstheater unter einem Überangebot an Bühnen? Das junge Publikum geht zu kleinen Off-Theatern, das ältere in die Josefstadt und ins Burgtheater.

Kaup-Hasler: Da ist schon etwas dran. Es ist dem Volkstheater nicht gelungen, dass man ein eigenständiges Profil bildet und das Publikum ausreichend animiert. Irgendwann gibt es dann auch eine Abwärtsspirale, in der selbst Dinge, die gut sind, nicht mehr als solche wahrgenommen werden.

STANDARD: Warum ist es nicht gelungen, das Brut im Künstlerhaus zu halten?

Kaup-Hasler: Ich habe alles getan, um das doch zu ermöglichen. Allerdings gab es dann Kostenerhöhungen bei der Sanierung, die auf die Miete des Brut zurückgefallen wären. Dann hat das Brut selbst nach Alternativen Ausschau gehalten und gesehen, dass es im Augarten noch bessere Bedingungen vorfinden würde. Hans Peter Haselsteiner wäre sogar bereit, das Brut im Augarten oder woanders finanziell zu unterstützen. Auch hier warten wir aber auf den Bund, der über die Vergabe entscheidet.

STANDARD: Ein Teil der Budgeterhöhungen fließt auch in die kleinen, historischen Programmkinos. Wird sich die Branche "gesundschrumpfen"?

Kaup-Hasler: Es stimmt, dass man heute nur noch das öffentlich erhalten kann, das sich abseits des Mainstreams bewegt und sich als Träger einer Kinokultur beweist. Das Bellaria-Kino hinter dem Volkstheater zum Beispiel, das dieser Tage angekündigt hat zuzusperren, hat eine große Geschichte. Es hat sich bei uns zwar nie jemand gemeldet, wie mir aber mitgeteilt wurde, gibt es viele Interessenten, die diesen Standort weiterführen wollen.

STANDARD: Derzeit ressortieren nicht alle Kulturbetriebe der Stadt Wien bei Ihnen, sondern auch einige in der Wien Holding und somit beim Finanzstadtrat. Sie haben bei Ihrem Amtsantritt über die Idee einer eigenständigen Wiener Kulturholding nachgedacht, in der man alle Kulturbetriebe bündeln könnte. Ist das nach einem ersten Realitätscheck wieder vom Tisch?

Kaup-Hasler: Es ist eine Idee, die überlegenswert ist. Es funktioniert zwar auch so, wie es jetzt ist, aber natürlich würde es Sinn machen, alle Kulturbetriebe zu bündeln. Das braucht aber Zeit und hat jetzt sicher nicht Priorität. Und man sollte es nur machen, wenn es zu einer Verbesserung der Situation beiträgt. (Stefan Weiss, 16.12.2019)