Kurz nachdem Tebboune zum Sieger der algerischen Präsidentschaftswahl erklärt worden war, gingen die Menschen erneut auf die Straße.

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Die seit Februar gegen die Staatsführung aufbegehrende Protestbewegung wird rauer. Schon am Wahlabend waren Polizei und die vom Militär kontrollierte Gendarmerie am Donnerstag in Algier und der Berberregion Kabylei äußerst aggressiv gegen die Proteste vorgegangen. Dutzende Menschen wurden verletzt, unzählige verhaftet.

Am Freitag waren landesweit abermals Hunderttausende gegen die immer autoritärer agierende Staatsführung auf die Straße gezogen und hatten ihrem Ärger über den von Manipulationsvorwürfen überschatteten Urnengang Luft gemacht. Auch hier kam es zu teils offener Gewaltanwendung des Sicherheitsapparates gegen Protestierende, in der westalgerischen Stadt Oran jedoch zu einer bisher beispiellosen Prügelkampagne.

Prügelorgie

Mit Knüppeln und Tränengas gingen Beamte gegen die konsequent friedlichen Proteste in der Stadt vor. Videoaufnahmen zeigen, wie Polizisten auf am Boden liegende Menschen einschlagen und massiv Tränengas versprühen. Allein in Oran sollen 400 Menschen verhaftet worden sein, erklärte der Vizepräsident der algerischen Menschenrechtsliga LADDH, Said Salhi, gegenüber algerischen Medien. In den Nachbarprovinzen Mostaganem, Aïn Témouchent und Tlemcen zählte das Komitee zur Befreiung der Gefangenen CNLD rund 100 Verhaftungen.

Die Staatsführung unter De-facto-Machthaber und Armeechef Ahmed Gaïd Salah scheint dem Spuk auf den Straßen endgültig den Garaus machen zu wollen.

Dabei beginnt sie mit jener Region im Land, bei der die seit 43 Wochen ununterbrochen anhaltenden Proteste den geringsten Zulauf erhalten – in Westalgerien. Während in den kommenden Tagen und Wochen mit einem zunehmend auf Eskalation setzenden Gebären des Sicherheitsapparates zu rechnen ist, reagierte die Protestbewegung auf die Wahl des ehemaligen Premierministers und Vertrauten Gaïd Salahs, Abdelmajid Tebboune, zum neuen Staatschef mit Sarkasmus und humorvollen Polemiken, mit denen sie Tebboune den Amtsantritt nicht unbedingt versüßen dürfte.

Neuer Protesttrend

Neuester Trend bei den Demonstrationen ist seit Freitag, Mehltüten aufzureißen und deren Inhalt über den Köpfen von Protestierenden zu verteilen – eine unmissverständliche Anspielung auf die angebliche Verwicklung von Tebbounes Sohn Khaled in die sogenannte "Kokain-Affäre". Ende Mai 2018 hatten algerische Zollbehörden im Hafen Orans 701 Kilogramm Kokain beschlagnahmt. Auf die Verhaftung von Kamel Chikhi, dem die Einfuhr des Kokains zur Last gelegt wird, folgte eine Verhaftungswelle gegen Politiker und Politikerinnen und Kinder hochrangiger Offizieller. Auch Khaled Tebboune wurde inhaftiert und sitzt seit Juni 2018 in Algier in Haft. Er wird beschuldigt, den Einfluss seines Vaters genutzt zu haben, um Chikhi eine Baugenehmigung zu verschaffen. Auch Geldwäschevorwürfe stehen im Raum.

Ausgelöst wurde die Protestwelle durch die Kandidatur des seit 1999 amtierenden Expräsidenten Abdelaziz Bouteflika. Nachdem sich dieser im April dem Druck der Straße gebeugt hatte und zurücktrat, übernahm de facto Armeechef Gaïd Salah das Ruder. Die Präsidentschaftswahl gilt als Versuch, Protestbewegung und Opposition vor vollendete Tatsachen zu stellen und die geforderten politischen Reformen zu verhindern. Der Urnengang war massiv boykottiert worden. (Sofian Philip Naceur, 15.12.2019)