Es beginnt alles mit einem Schnupfen rund um die Weihnachtszeit, darunter leiden derzeit ziemlich viele Leute. Die schniefende Nase taucht oft zeitgleich mit den Christbaumständen in der Stadt auf. Allergisch auf Tannen? Könnte man vermuten. Der eine oder andere erinnert sich vielleicht dann an einen Waldspaziergang im Mai, als die Kiefern und Fichten blühten und alles mit einem gelblichen Pollenstaub überzogen war. Allein: Allergologisch relevant ist das nicht. Pollen sind mit 60 bis 120 Mikrometern zu groß, um sich ihren Weg durch die Nasenschleimhaut zu bahnen.
Im Vergleich: Gräserpollen sind mit 20 bis 40 Mikrometern wesentlich kleiner und schaffen das spielend. Während sie im Körper eine Reaktion auslösen und die Produktion von antikörperproduzierenden Abwehrzellen in Gang setzen, schaffen das die Nadelhölzerpollen nicht.
Pollen vom Baum?
Ob Allergie oder Schnupfen, ist für medizinische Laien aber nicht immer so leicht zu unterscheiden. Ein Tipp: Ein begleitendes Jucken wäre ein Hinweis auf eine Allergie. So viel vorneweg: Der Weihnachtsbaum wird meist fälschlich als Urheber einer Übersensibilität verdächtigt. Grund, lieber einen Baum aus Plastik aufzustellen, wie es 16 Prozent der Österreicher im vergangenen Jahr gemacht haben, bietet er selten. "Aus medizinischer Sicht ist eine Baumkarenz in den meisten Fällen überzogen", sagt Uwe Berger, Leiter der Forschungsgruppe Aerobiologie und Polleninformation der Medizinischen Universität Wien. Die als Weihnachtsbaum beliebte Nordmanntanne blüht im Mai und verursacht keine Inhalationsallergie.
So etwas wie eine Allergie gegen Nadelhölzer ist derart selten, dass es nicht einmal einen Hauttest, den sogenannten Pricktest gibt. "Zum einen sind zu Weihnachten die Pollen längst ausgewaschen, zum anderen zählen Nadelbäume zu einer anderen Pflanzenfamilie als die üblichen allergieauslösenden Verdächtigen wie Birke oder Gräser", sagt Berger und verweist auf andere Ursachen, die in der Adventzeit eher hinter einer Allergie stecken können.
Staub, Zimt, Weihnachtsstern
Denn neben dem Blütenstaub sind die Hausstaubmilben allergologische Klassiker, deren Kot das menschliche Immunsystem reizt, wenngleich die Spinnentiere während der Heizperiode keine perfekten Lebensbedingungen vorfinden.
Allergieauslösend sind allerdings oft Leckerbissen, die in der Adventzeit serviert werden, etwa Kekse mit Zimt oder Nüssen. Wer auf Nüsse reagiert, ist meist auf Birken allergisch, und zwar als Kreuzreaktion. Genauso ist es bei Weihnachtssternen, die für Latexallergiker gefährlich werden.
Während viele den Nadelbaum als Allergiequelle verdächtigen, lauert eine andere Pollengefahr in der Natur. "Wer rechnet bei Schneefall mit einer Pollenbelastung von außen?", sagt Berger und meint die Purpurerle, einen beliebten Alleebaum in Österreich. "Bei günstiger Witterung sind von ihr Unbilden zu erwarten", sagt er und rät all jenen, die um Weihnachten herum niesen, den Pollenwarndienst der Med-Uni Wien auch in der kalten Jahreszeit zu konsultieren oder sich die App runterzuladen.
Ätherische Öle
Kann man den Christbaum nun von den Vorwürfen freisprechen? Nicht ganz, denn in ihm verbergen sich durchaus allergene Quellen: etwa Duftstoffe, die zu einem überwiegenden Teil aus der Stoffklasse der Terpene gewonnen werden, wiederum ein Bestandteil ätherischer Öle, die unter anderem aus Nadelholz extrahiert werden. Aus Kostengründen verlor das Terpentinöl, das als Lösungsmittel Karriere machte, seine Marktdominanz, erlebt aber nun eine bemerkenswerte Renaissance als Heilmittel und alternatives Naturkosmetikum, weshalb die Sensibilisierung in der Bevölkerung wieder zunimmt.
Dass man Terpene nicht unterschätzen sollte, bestätigt Franz Raith, Obmann der Arge Niederösterreich Christbaum- und Schmuckreisigproduzenten. Er weiß: "Leute beschweren sich, dass die Bäume Migräne verursachen", und meistens ist das genau dann der Fall, wenn der Christbaum im Schlafzimmer aufgestellt wird. Besonders ein frischer Baum riecht stark, lässt aber mit der Zeit nach. "Früher wurden die Räume weniger beheizt, heute trocknen die Bäume schneller aus." Dass außer Duft nichts aus seinen Christbäumen dringt, dafür legt Raith die Hand ins Feuer. Seine Bäume bestehen den sogenannten Ausgasungstest.
Ohne Insektizide und Schimmel
Das sei nicht selbstverständlich und ein Bonus der heimischen Baumproduktion: "Gigantische Betriebe in Norddeutschland und Dänemark, deren Bäume auch von hiesigen Discountern vertrieben werden, arbeiten weniger umweltfreundlich als die kleinen, regionalen Bauern in Österreich. Die Bäume werden auf den Plantagen großflächig mit Herbiziden behandelt, auch Insektizide werden nach dem Gießkannenprinzip versprüht, egal ob ein Baum von Schädlingen befallen ist oder nicht."
Sein Kollege Leopold Fuhrmann, der eine Christbaumpflanzung in Korneuburg betreibt und seit 24 Jahren im Geschäft ist, stimmt zu: "In Dänemark fahren sie mit Stelzentraktoren herum und bespritzen überkopf die Bäume mit Insektiziden, Fungiziden und Herbiziden." Er erledige die Unkrautbekämpfung vor allem mechanisch mithilfe der Motorsäge. Was Schädlinge betreffe, so setze er Insektizide nur punktuell ein, "das letzte Mal vor zehn Jahren". Fuhrmann hat heuer auch den präsidialen Christbaum in die Hofburg geliefert. Aber auch normale Kunden kommen bei Fuhrmann auf ihre Kosten. Zuerst darf man sich im Hain seinen Baum aussuchen, der dann wenige Tage vor dem Heiligen Abend geschlägert wird. Sein Weihnachtsbaum, meint Fuhrmann, sei ebenso frisch wie der Weihnachtsbraten.
Reizarme Bäume
Dass bei der Baumaufzucht zu Zeiten des Insektensterbens auf Insektizide verzichtet wird, ist gut. Inwiefern chemische Pflanzenschutzmittel die Gesundheit gefährden, ist allerdings unklar. Die Studienlage ist durchwachsen, obgleich etliche medizinische Fachgesellschaften und Teile der WHO vor allem vor Beeinträchtigungen im Hormonsystem warnen.
Auch Pollenwarner Berger rät dazu, das Gewächs möglichst lange in der Erde zu belassen, um einer weiteren Gefahr zu begegnen: dem Schimmelpilz. Ein fitter Baum hält den Schimmelbefall ebenso in Schach, wie ein gesunder Mensch die Bakterien auf seiner Haut. Sobald der Baum geschlägert wird, breitet sich die Fäulnis aus, was von der Heizungsluft angefacht wird. Wer also den Baum in kühler Umgebung aufstellt, hat einen Vorteil. Ebenso wer ihn abspritzen kann, um zumindest die oberflächlich haftenden Sporen abzuspülen. Der Kunstbaum im Keller ist übrigens ein Schimmelmagnet, Allergiker sollten diesen also staubdicht verschnüren.
Schimmel ist einer der Hauptgründe, warum die niederösterreichische Vereinigung der Christbaum- und Schmuckreisigproduzenten einer Verordnung folgt, wonach die Baumstämme frühestens nach dem 15. November gekappt werden dürfen, während die großen Unternehmen Nordeuropas schon Mitte Oktober die Klingen wetzen. Danach werden deren Bäume wochenlang in Paletten gesteckt, wo sie vor sich hin schimmeln. Wer einen Baum aus regionalem Anbau erwirbt, muss für denselben Betrag auf einige Baumzentimeter verzichten, bekommt dafür aber einen reizarmen Baum, damit die Augen der Kinder vor Freude glänzen und nicht, weil die Bindehäute geschwollen sind. (Raoul Mazhar, 17.12.2019)