Seit 13 Jahren warten Fans der Gothic-Reihe auf eine Fortsetzung des Serie, die 2001 ihren Anfang genommen hat. Nun hat THQ Nordic, Mutterfirma von Piranha Bytes und seit einiger Zeit auch Inhaber der Marke, Erlösung angedeutet.

Überraschend ist vor wenigen Tagen ein "spielbarer Teaser" veröffentlicht worden. Der bietet zwar keinen Einblick in einen komplett neuen Teil, aber dafür in eine Neuinterpretation des Ur-Spiels. Er bietet ein rund zwei Stunden langes Abenteuer an den Ursprüngen von Gothic. Anhand des Feedbacks der Community will der Publisher entscheiden, ob und wie man der Reihe ein Comeback beschert. Der STANDARD hat sich den Ausflug ins Minental natürlich nicht entgehen lassen.

Das Intro des ersten Gothic-Teils.
Mauleyy

Revolte in der Minenkolonie

Bevor alle Nichtkenner sich kopfschüttelnd abwenden, eine kurze Einleitung zur Geschichte von Gothic. Der erste Teil des Action-Rollenspiels beschreibt eine Kolonie von Strafgefangenen, die auf der Insel Khorinis für König Rhobar Erz abbauen. Weil dieser im erbitterten Krieg mit den Orks stetigen Waffennachschub benötigt, wird man schon für geringste Gesetzesbrüche zum Schürfen geschickt. Um zu verhindern, dass sich die Gefangenen absetzen, beauftragt Rhobar seine Magier, eine Barriere über dem Abbaugebiet zu errichten.

Das allerdings klappt nicht ganz so, wie gedacht, denn letztlich kommt niemand, der einmal innerhalb von der Barriere gelandet ist, wieder heraus – nicht einmal die Magier selbst. Die Gefangenen realisieren ihre Chance, begehren auf und verkaufen das Erz fortan teuer an den König, dem keine Wahl bleibt. Sie spalten sich zudem in drei Fraktionen: Das "Alte Lager", das "Neue Lager" und das "Sumpflager", die alle ihre eigenen Philosophien und Traditionen pflegen. Bis zu einem gewissen Punkt kann der Spieler Aufträge für alle Parteien erledigen und in der Gunst aufsteigen, muss sich aber irgendwann für eine entscheiden.

Der Blick auf das "Alte Lager" im ersten Gothic-Teil.
Foto: Screenshot

Das Game überzeugte vor allem im deutschsprachigen Raum viele Spieler mit seiner ausgeprägten "Derbheit", reichend vom Humor bis hin zur Ausgestaltung der Welt. Ein Mitleveln von Gegnern gibt es nicht, wer sich als Neuling ins Unterholz wagt, kann mitunter von stärkeren Gegnern mit einem Treffer ins Jenseits befördert werden. Auch die Fortsetzung Gothic 2 sowie deren Add-on Die Nacht des Raben wurden zu Fanlieblingen.

Mit Gothic 3 kam er Erfolgslauf aber jäh zu einem Ende. Das Spiel erschien verfrüht in einem enorm fehlerhaften Zustand und einer großen, aber ausgesprochen leeren Welt. Erst durch die Unterstützung von Fans wurde über mehrere Jahre ein ordentliches Action-RPG daraus gemacht. Es folgte die Trennung zwischen Publisher Jowood und Piranha Bytes. Das deutsche Studio lieferte später mit der Risen-Reihe einen spirituellen Nachfolger zu Gothic.

Trailer zum Gothic-Remake-Teaser.
THQ Nordic

Die Neuerfindung von Gothic

Piranha Bytes sind allerdings nicht verantwortlich für den möglichen Reboot, sondern ein neues THQ-Studio in Barcelona. Dort strebt man eine moderne Form des in die Jahre gekommenen Games an, das nicht nur grafisch und technisch aufgewertet werden, sondern auch inhaltliche Neuerungen erfahren soll. Auf Steam steht die Testversion allerdings nur Gamern zur Verfügung, die zumindest ein Game aus der Gothic- oder Risen-Reihe in ihrer Bibliothek haben oder Piranhas jüngstes Werk Elex besitzen.

Und so bietet der Teaser bereits ein alternatives Intro, das man über rund zwei Stunden Spielzeit erlebt. Statt einfach durch den Rand der Barriere in einen See geworfen und mit einem Faustschlag begrüßt zu werden, fährt man in der Neuinterpretation mit dem Lift, der zum Transport von Erz und Gütern dient, hinab und wird Zeuge eines Sabotageakts. Man überlebt das flammende Inferno, um anschließend von Diego, einem der bekanntesten Charaktere der Reihe, vor einer hungrigen Horde der Dinosaurier-artigen Scavenger gerettet zu werden.

Screenshot: Gothic-Teaser

Der gute Diego hat im Remake eine Persönlichkeitsveränderung durchgemacht. Vom raubeinigen Tutor wider Willen ist er zum recht freundlichen Helfer und Mitgliederanwerber für das Alte Lager geworden.

Neues Spiel, alte Atmosphäre

Von dieser Szene ausgehend trifft man mehrere Charaktere und kann ein paar Hauptquests und mehrere Nebenaufträge erledigen. Dabei wird man auch zwei Mal vor schwierige Entscheidungen gestellt, die im fertigen Spiel wohl nachhaltige Konsequenzen haben. Und freilich gibt es auch ein paar Kämpfe, sowohl gegen Menschen, als auch gegen wilde Bestien.

Grafisch bietet der Teaser eine schöne, organisch wirkende Landschaft mit mitteleuropäisch anmutender Flora und zollt damit seinem Vorbild Tribut. Die Vegetation fällt dabei dichter und auch etwas farbenfroher aus, als noch im Original, was schlicht auch an den seitdem deutlich größer gewordenen technischen Möglichkeiten liegt. Je nach System scheint die Farbintensität allerdings stark zu variieren, was wohl dem frühen Entwicklungsstatus des Games geschuldet ist.

Die akustische Untermalung bietet neue Musikstücke, die aber den alten Stil beibehält. Die Soundeffekte sind eher unauffällig. Die Qualität der Sprachaufnahmen ist größtenteils hoch, wenn auch mit wenigen negativen Ausreißern. Das Niveau der Dialoge entspricht dem, was man von Gothic gewohnt ist. Heißt: Tiefsinnige Unterhaltungen darf man nicht erwarten, sie würden auch nicht zum rauen Gesellschaftsklima in der Kolonie passen.

Screenshot: Gothic-Teaser

Defizite

Von der Vorlage abgekupfert hat man – trotz Verwendung der Unreal-Engine anstelle von Piranha Bytes eigener Software – die etwas schwerfällige Steuerung. Und man experimentiert mit einem neuen Kampfsystem, das bei den Steam-Rezensionen bisher aber kaum auf Gegenliebe stößt. So manche Kritik dort fällt nach Einschätzung des Autors aber zu harsch aus. Die Idee hinter dem System, das im Nahkampf drei Schlagrichtungen, schwache und starke Attacken sowie Blocken bietet, hat durchaus Potenzial. Nur die aktuelle Umsetzung ist viel zu behäbig, auch wenn die schwache Gegner-KI es nicht so schwer macht, Kämpfe zu gewinnen.

Kritikwürdig sind jedenfalls das Dialog- und Inventarsystem. Ersteres scheint für Controller-Steuerung optimiert zu sein und bietet bis zu vier Stichworte für die eigenen Antworten, die man zuerst selektieren muss, um die komplette Aussage lesen zu können. Hier böte sich zumindest am PC besser das gute, alte Listenmenü an. Beim Verwalten der eigenen Gegenstände hat man sich scheinbar bei Skyrim und Konsorten inspirieren lassen und ebenfalls eine eher "konsolige" Steuerung umgesetzt. Hier sind, so ein komplettes Spiel daraus werden sollte, noch gröbere Änderungen von Nöten.

Nicht weiter erwähnenswert sind diverse Bugs, die während der Testzeit aufgefallen sind. Diese reichten von KI-Ausfällen bis hin zu Beinahe-Abstürzen beim Aufruf bestimmter Menüs – Probleme, die schlicht zu erwarten sind, wenn man die Alpha-Version eines Games spielt. Ebenfalls dazu zählen seltsame Effekte bei der grafischen Darstellung. Durchaus vertragen können hätte der Teaser aber eine Option zur Abschaltung der übertriebenen Bewegungsunschärfe, die man nur durch das Anlagen von Einträgen in einer Konfigurationsdatei loswerden kann.

Mit viel Mühe schafft man es lebendig über allerlei Ecken, Kanten und Geländer bis ins "Alte Lager", das derzeit aber nur eine Kulissenstadt ist.
Screenshot: Gothic-Teaser

Ja, ich will!

Allen Gebrechen zum Trotz fühlt man sich als Gothic-Veteran aber schnell zu Hause in der neuen Version des Minentals. Das Gesamtpaket wirkt stimmig und fängt die Qualitäten des ersten Teils soweit gut ein. Zudem beschert es ihm ein spielbares Intro, das es bisher noch nicht gab.

Einen Ausflug in das Alte Lager, das stets nur aus der Ferne zu sehen ist, gibt es in diesem Prototypen leider nicht. Doch wer sich geschickt durch die Landschaft arbeitet, kann es dennoch dorthin schaffen. Dort erhält man allerdings auch nur eine Nahaufnahme auf einen Teil der Karte, der offensichtlich bislang nur als Kulisse dient, was auch am Fehlen von Kollisionsabfragen bei vielen Elementen oder schwebenden Häusern zu bemerken ist.

Screenshot: Gothic-Teaser

Entgegen dem Schreien mancher Gothic-Puritaner, die die Ausrichtung des Remakes schlicht ignorieren und offenbar am liebsten einfach eine 1:1-Umsetzung des ersten Teils in neuer Grafik hätten, ist der spielbare Teaser eine gelungene Einladung in eine neue Variante des Kultspiels, weil er dessen grundsätzliche Qualitäten und Atmosphäre wahrt und die meisten Neuerungen sinnvoller Natur sind. Und es entlockt dem Autor dieses Textes ein klares Bekenntnis: Ja, bitte, macht ein neues Gothic!

Wann dieses erscheinen würde, ist übrigens noch offen. Die weitere Entwicklung würde jedenfalls noch einige Zeit benötigen, heißt es bei THQ. Auf Steam wird als Releasedatum das Jahr 2021 genannt – es wäre aber auch nicht verwunderlich, wenn es länger dauert. (Georg Pichler, 17.12.2019)