Reiner Unfug, aber nicht blöd gemacht: "Die Wache".

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Ein Wachzimmer, ein Verdächtiger, ein Kommissar und ein angeblicher Mord: Das Set-up von Quentin Dupieux’ Die Wache (Au poste!) ist als Standardsituation so vertraut wie die Logik des Verhörs, das seine eigenen spannungsgenerierenden Regeln kennt. Im Kern geht es stets um ein Duell mit Worten, in dem am Ende nicht unbedingt die Wahrheit triumphiert, sondern jener Redner, der die besseren Finten parat hält.

Bei Dupieux läuft das anders. Die Täuschungsmanöver obliegen hier nicht mehr den Figuren. Das Genre scheint sich selbst gegenüber dem Absurden zu öffnen, Kausalität nichts zu gelten. Das erkennt man am Anfang dieser den Verstand zwar langsam, aber beständig testenden Groteske erst an Nebensächlichkeiten.

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Der Verdächtige (Grégoire Ludig) klagt etwa laufend über seinen Bärenhunger, der Kommissar (Benoît Poelvoorde) hingegen, ein pedantischer Bürokrat, verzettelt sich in Kleinigkeiten, die das Verhör ins Stocken bringen. Wenn der Mann minutiös die Vorgänge schildert, die zum Fund einer Männerleiche führten, fühlt sich der Polizist allerdings von der Banalität des Gesagten gelangweilt, ja unterfordert.

Mit immer abstruseren Verwicklungen, in denen der Tathergang zur Nebensache erblasst, wird deutlich, dass sich Dupieux eh keinen Deut für die Krimihandlung interessiert. Sie gleicht vielmehr erzählerischer Knetmasse, die sich nach Lust und Laune verformen lässt. In den Rückblenden trifft der Verdächtige beispielsweise auf Personen, die er zu diesem Zeitpunkt noch gar nicht kennen konnte. Auch die vierte Wand steht auf keinen sicheren Beinen. Der auch als Musikproduzent unter dem Pseudonym Mr. Oizo umtriebige Franzose ist so etwas wie verspäteter Nachfahre des Dada, nur dass sich seine Liebe zum Unsinn gegen keine Werte mehr richtet. Dupieux’ bekanntester Film Rubber folgt der verheerenden Spur eines mörderischen Autoreifens, dieses Jahr hat er mit Le Daim (Deerskin), der von der Beziehung eines Mannes zu seiner Lederjacke erzählt, für viele den lustigsten Film in Cannes gehabt.

Sinnverkehrte Welten

Doch reiner Ulk ist das alles nicht, auch keine Parodie, die sich von ihrem Vorbild nicht losreißen kann. Die Wache zieht dem Zuschauer immer wieder souverän den Boden unter den Füßen weg und erlaubt gedankliche Anschlüsse, die eine Art der Tanz der Synapsen anregen. In der Literatur kennt man ähnlich lustvoll sinnverkehrte Welten von Lewis Carroll bis César Aira. Quentin Dupieux fügt solchen Erzähllabyrinthen noch ein Element der menschlichen Unbedarftheit hinzu. Der Verdächtige ist vielleicht einfach nur ein Idiot am falschen Ort zur falschen Zeit, und alle anderen um ihm sind Verrückte, die sich produzieren wollen. (Dominik Kamalzadeh, 17.12.2019)