Robert Dornhelms "Vienna Blood – Die letzte Séance" spielt im Wien der Jahrhundertwende. Der ORF zeigt den Film am Freitag, 20. Dezember, um 20.15 Uhr in ORF 2.

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Wien – Ein Mord, eine dekadente Wiener Elite und ein österreichisch-britisches Ermittlerduo: Das sind die Ingredienzien von Robert Dornhelms "Vienna Blood – Die letzte Séance" – dem ersten Teil der "Vienna Blood"-Trilogie, die auf den Liebermann-Romanen des Briten Frank Tallis basiert. Zu sehen ist der Film am Freitag, 20. Dezember, um 20.15 Uhr in ORF 2. Im düsteren Wien zu Beginn des 20. Jahrhunderts ermitteln Juergen Maurer als Kommissar und der Brite Matthew Beard als unkonventioneller Arzt und Jünger Sigmund Freuds. Die Teile zwei und drei in der Regie von Umut Dağ zeigt der ORF im Frühjahr 2020.

STANDARD: "Vienna Blood – Die letzte Séance" spielt im Wien nach der Jahrhundertwende, ein paar Jahre vor Ausbruch des Ersten Weltkriegs. Was war charakteristisch für diese Zeit?

Dornhelm: Ich fand es interessant, dass die ganzen Literaten und Künstler dieser Zeit den Ersten Weltkrieg begrüßt haben. Der Karl Kraus hat die jüdischen Kriegsprofiteure genauso beschimpft wie die Nazis die Juden. Die Verhältnisse waren nicht so klar. Viele wunderbare Autoren, die das später bedauert haben, haben den Ersten Weltkrieg mit großer Freude unterstützt und euphorisch begrüßt. Am meisten interessiert an diesem Film hat mich die Zeit. Der Film spielt im Jahr 1909, wenige Jahre vor dem Ersten Weltkrieg, es gab tolle Entwicklungen in der Musik, der Architektur, bildenden Kunst und auf der anderen Seite gab es den aufkommenden Nationalismus. Es war nicht in erster Linie Antisemitismus, auch wenn der natürlich bereits vorhanden war, hat es dann noch einmal 20 Jahre gedauert.

STANDARD: War das für Sie der besondere Reiz des Films, dass die Handlung in dieser Zeit angesiedelt ist?

Dornhelm: Nein, ich wollte diesen Film bereits vor zehn Jahren mit der BBC in Wien machen. Gabriele Flossmann, damals Kulturchefin beim ORF und eine langjährige Freundin von mir, hatte die Idee, die Frank-Tallis-Romane mit einem Kriminaldrama nach Wien zu holen. Gespielt in einer interessanten Zeit, in der die Psychoanalyse Thema war. Dann ist das Projekt mit der BBC wieder eingeschlafen, dann kamen sie vor zwei Jahren wieder und sagten, dass jetzt Interesse vorhanden wäre. So hat sich das langsam entwickelt. Dann ist die BBC wieder ausgestiegen, andere sind eingestiegen.

Ermittlerduo: Juergen Maurer (Oskar Reinhardt) und Matthew Beard (Max Liebermann) sollen einen Mordfall aufklären.
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STANDARD: Die BBC hat die drei Filme dann gekauft und bereits ausgestrahlt. Mit großem Erfolg und vor zum Teil 2,5 Millionen Zusehern. Ich nehme an, dass solche Zahlen einen Regisseur sehr freuen, oder?

Dornhelm: Natürlich freut mich das, wenn viele Leute den Film sehen. Ich möchte mich aber davor hüten, meine Erfolge immer nur an den Zuseherzahlen zu messen, aber ich bin pragmatisch und weiß natürlich, dass mein nächster Auftrag davon abhängt, ob es ein Publikum dafür gibt. Wenn du viel Geld für etwas ausgibst, das wenige ansehen, sagen sie: Okay, mach es für Arte. Warte fünf Jahre, bis die Finanzierung steht. Dann kannst du machen, was du machen willst, allerdings für ein Minderheitenpublikum. Willst du weiter Mainstream arbeiten, ist die Einschaltquote wichtig. Mir hat die BBC-Chefin gesagt: Wenn wir eine Million erreichen, bin ich zufrieden, jetzt haben sie das Zweieinhalbfache. Jetzt hoffe ich, dass sie sehr glücklich ist und uns den nächsten Auftrag gibt.

STANDARD: Die Voraussetzungen, dass es auch in Österreich ein Erfolg wird, sind ja nicht so schlecht. Wer Robert Dornhelm engagiert, engagiert einen Garanten für gute Quoten. Siehe aktuell "Maria Theresia" oder davor "Das Sacher".

Dornhelm: Ich bin ein Garant für gute Quoten und für schlechte Kritiken im STANDARD. (lacht) Meine erste schlechte Kritik im STANDARD war im Jahre 1991 für den Film "Requiem für Dominic" mit einer ganz üblen Überschrift. Dann bin ich persönlich zu Oscar Bronner gegangen, hab' es ihm hingehauen und gesagt: Hier sind die guten Kritiken der "New York Times" von Vincent Canby, einem der berühmtesten Filmkritiker aller Zeiten, oder der "LA Times", und im STANDARD war es ein Vollverriss.

STANDARD: Es wird wohl auch gute Kritiken gegeben haben ...

Dornhelm: Na ja, auch eine Opernkritik war ganz böse, ganz böse (La Bohème im Jahr 2008, Anm.). Kritiken nehme ich ja nicht so ernst.

STANDARD: Aber Sie lesen sie doch und reagieren entsprechend darauf?

Dornhelm: Den Engländern habe ich gesagt: Bitte, schickt mir nur die guten Kritiken, die schlechten möchte ich nicht sehen, weil es mich kränkt. Du arbeitest dich blöd, dann picken sie etwas raus, das faktisch falsch ist, oder sie haben es nicht richtig gesehen, und du nimmst das persönlich. Oft lese ich es dann wirklich nicht, was überall geschrieben wird. Bei den ganzen amerikanischen Filmen, die ich gemacht habe, etwa für ABC, CBS oder NBC: Du bekommst einen Monat später ein dickes Buch mit allen Kritiken. Am Anfang habe ich mir gedacht: Wow, toll.

Du kannst dir aber nicht ständig selbst auf den Nabel schauen, das ist ungesund. Zumal ich eh weiß, wo die Schwächen sind. Ich bin nicht der größte Fan meiner Arbeit, ich kann sie sehr wohl kritisch und gut beurteilen und sehe, wenn etwas gelungen oder schwerfällig ist, mit leichter Hand oder verkrampft gegangen ist. Das ist das Wichtigste. Natürlich kann ich auch getäuscht werden, wenn alle anderen sagen "Großartig!" und fünf Sterne vergeben. Wir haben ein paar Mal fünf Sterne bekommen, das hat mich gefreut, muss ich gestehen.

STANDARD: Sie sagen, dass Ihnen Preise nichts bedeuten, aber gute Kritiken anscheinend sehr wohl ...

Dornhelm: Ich sage das zwar immer, das ist aber auch eine Koketterie: Wenn du mir sagst, du bekommst keinen Preis, dafür ist der Auftrag für den nächsten Film fix, dann sage ich: bitte den nächsten Auftrag. Das sage ich mit reinem Gewissen: Dann verzichte ich auf die Preise.

STANDARD: Nachdem Sie sagen, dass Sie Ihre Arbeit immer sehr kritisch beurteilen: Auf einer Skala von eins bis zehn – wie zufrieden sind Sie mit "Vienna Blood"?

Dornhelm: Das sind meine Kinder, die in diesem Land erst am 20. Dezember geboren werden, nachdem man sie öffentlich zeigt. Bis dahin haben die Babys meine volle Unterstützung. Ich bin wirklich zufrieden, weil es mit leichter Hand ging. Die Dreharbeiten waren angenehm, und es hat sich in einer amüsanten Weise zusammengefügt. Man spürt diese Leichtigkeit, hoffe ich. Nur das Polizeigenre zu befriedigen ist mir zu wenig. Das langweilt mich. Auch zum Anschauen.

STANDARD: Sie sind ja auch kein Krimifan, haben Sie gesagt.

Dornhelm: Nein, ich habe in meinem ganzen Leben nur zwei gemacht: einmal den "Tatort" und "Die Schatten, die dich holen". Ich stehe hinter allem, was ich mache, ich kann mich auch schlecht distanzieren, aber das ist nicht mein Lieblingsgenre. Ich sehe den aktuellen Film nicht so sehr als Suche nach dem Mörder, sondern es geht um die Zeit, die Figuren, die Hintergründe. Es ist eine leichte Umdrehung der Geschichte, dass eine englische Familie in dieser Zeit nach Wien kommt, obwohl die Entwicklung eher so war, dass ein paar Jahre später mit Freud die Ströme von Wien nach England gingen. In dem Roman ist das aber so geschrieben, und das respektiere ich natürlich.

STANDARD: Im Film spielt die Psychoanalyse eine Rolle. Hatten Sie spezielle Erfahrungen damit?

Dornhelm: Nein, außer dass ich Freud gelesen habe oder Traumdeutungen. Ich habe viele Freunde, die sich damit beschäftigen, unter anderen auch die Gabi Flossmann, die uns auf die Idee gebracht hat. Ich habe viel Verständnis, was man erfahren und herausfinden kann, aber die Psychoanalyse ist nicht meine Obsession. Frank Tallis, der Autor, ist von Beruf Psychotherapeut, er hat nur nebenbei Romane geschrieben. Er war fasziniert von Sigmund Freud und der Wiener Zeit.

STANDARD: Anfangs heißt es, dass in Wien nur jemand etwas zählt, wenn er einen Titel hat. Wollten Sie diese Titelgeilheit als etwas Österreichspezifisches reinbringen?

Dornhelm: Ja, die Titelgeschichte ist schon österreichspezifisch. Ich selbst habe keine Titel, ich brauche es auch nicht. In Italien freue ich mich, wenn ich mit "Dottore" angesprochen werde: Dottore, che mangiamo? Das gefällt mir. (lacht) Aber das ist ein Witz, dass man ernst genommen wird, das heißt so viel wie: Trinkgeld ist fällig.

STANDARD: Sie haben doch sicher genügend Ehrentitel?

Dornhelm: Nein, ich habe das abgelehnt. Ich bin kein Professor, sondern ein Lernender. In Amerika bin ich oft eingeladen an Universitäten, wenn ein Film rauskommt. In Österreich war ich nie eingeladen. Auch an der Filmakademie nicht, obwohl ich dort zwei Jahre studiert habe.

STANDARD: Ist das fehlende Anerkennung?

Dornhelm: Das weiß ich nicht. Ich möchte mich auch nicht darüber beschweren, aber es stimmt vielleicht, dass ich nicht der Professortyp bin. Es gibt keine Regeln in der Kunst oder in der Erzählform, der Struktur oder der Gestaltung. Ich muss alles erst ausprobieren. Du hast keine Schablone, brauchst aber natürlich ein Grundwissen, wie man mit der Kamera umgeht oder wie man eine Szene beobachtet, alles andere kann jeder für sich selbst entscheiden. Vielleicht wissen sie das und laden mich deswegen nicht ein, weil ich nicht so dogmatisch vortragen kann und will. Ich bin ja auch durchgefallen in Regie an der Filmakademie. (Oliver Mark, 20.12.2019)