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In seinem großartigen Roman "The Freeze-Frame Revolution" schildert Peter Watts die Arbeit einer Montage-Crew, die durch die Milchstraße zieht, um ein Netz von Wurmlöchern zu installieren. Unterlichtschnell! Dank Zeitdilatation und Kälteschlafphasen ist für die Monteure seit ihrem Start relativ wenig Zeit vergangen – während sie de facto seit Millionen von Jahren unterwegs sind und längst jeden Kontakt zu denen verloren haben, für die sie die Sternenstraßen einrichten.

Ein ähnliches Grundszenario, nur deutlich komfortabler, hat nun der erfolgreichste deutsche Space-Opera-Librettist Andreas Brandhorst für seinen Roman "Das Netz der Sterne" gewählt. Kartografen und Einrichter heißen die Pioniere, die der terranische Konzern Interkosmika in die Weiten der Milchstraße hinausschickt. Die müssen allerdings nicht unter Einsteins Obergrenze dahinkrebsen, sie flitzen mit zigfacher Lichtgeschwindigkeit durch das Netzwerk des Hyperon. Dessen in den Hyperraum eingelagerte Stränge führen so lange an unvorhersehbare Orte, bis ein Kartograf an einer Stelle eine Empfangsstation anlegt. Aus einem wilden Strang wird damit ein verlässliches Gleis.

Die Schattenseite der Erschließung

Das klingt zunächst einmal nach viel Pioniergeist, ganz im Sinne der Macher-Mentalität, die das Golden Age of Science Fiction prägte (mit dem Brandhorst auch die Vorliebe für Wörter auf -or teilt: Exekutor, Protektor, Transtator, Kognitor usw.). Doch leider ist Interkosmika vor allem an Macht interessiert. Konsequent hat der Konzern durch sein Transportmonopol so gut wie jeden anderen Machtfaktor in der von Menschen besiedelten Galaxis aus dem Rennen geworfen. Einzelpersonen, Familien oder gar ganze Planeten werden in die Schuldenfalle getrieben und zwangsverpflichtet.

Das widerfährt auch der jungen Tess Velazca vom Planeten Rosengarten. Sie würde gerne Sängerin werden (und hat auch eine geradezu magische Stimme), doch stattdessen muss sie für die Schulden ihrer Familie eintreten und lässt sich als Kartografin und Einrichterin verpflichten. Und nach minimaler Grundausbildung geht es auch schon los in unbekannte Weiten. Mit an Bord des Explorer-Raumschiffs: der Kartografen-Veteran Horace, Tess' Freund Sinclair und schließlich die Entität, die sich im Lauf des Romans zu Tess' wichtigster "Bezugsperson" mausern wird, die Künstliche Intelligenz Ida.

Natürlich verläuft nichts so wie geplant, denn schon auf dem ersten neuen Planeten, den sie erreicht, gerät Tess in Kontakt mit einem Alien: eine Premiere, denn bislang ist die Menschheit nirgendwo außerirdischer Intelligenz begegnet. Die Entdeckung weckt umgehend Interkosmikas Begehrlichkeiten, womit Tess immer tiefer in einen Strudel machtpolitischer Interessen gerät. Irgendwann wird unsere Heldin wider Willen, die doch eigentlich nur singen wollte, also Stellung beziehen müssen: "Es nützt auch nichts, die Augen zu schließen", sagte Zara [Anmerkung: eine Widerstandskämpferin gegen Interkosmika und zeitweilige Weggefährtin von Tess]. "Dadurch ändert sich die Welt nicht. Sie ändert sich nur, wenn man etwas unternimmt. Ändere, was dir nicht gefällt! Finde dich nicht einfach damit ab, wenn jemand versucht, dir Fesseln anzulegen. Kämpf dagegen an, wehr dich!"

Vertraute Züge

Wann genau "Das Netz der Sterne" angesiedelt ist, wird nie gesagt. An einer Stelle heißt es, dass ein Tag auf der Erde nun vierundzwanzigeinhalb Stunden dauern würde. Wenn ich mich nicht verrechnet habe, müsste das bedeuten, dass wir uns etwa 100 Millionen Jahre in der Zukunft befinden, was allerdings von der Beschreibung der Menschen, ihrer Technologie und Geschichte nicht gestützt wird. Es dürfte sich eher um die typische Ein-paar-Jahrhunderte-später-Zukunft handeln, in der seit "Star Trek" die meisten Space Operas stattfinden.

Sehr vertraut wirkt auch der Touch Fantasy, mit dem Brandhorst seine Weltraumopern gerne versieht. Nicht nur, dass Tess' Familie in einem Burg-artigen Sitz residiert und einen Leitspruch hat wie die großen Häuser von Westeros ("Wie auch immer der Wind weht"). Tess verfügt auch über eine besondere Gabe, die sie Esprit nennt, und wird nach dem Kontakt mit dem Außerirdischen Visionen der Zukunft haben. Im Schlussabschnitt geht es überhaupt ein wenig esoterisch zu, aber auch das dürfte langjährige Leser nicht überraschen. Denn nur bei wenigen Büchern kann man sich so sicher sein, was einen erwartet, wie bei einer Space Opera von Andreas Brandhorst.

In diesem Spektrum würde ich persönlich "Das Netz der Sterne" in der besseren Hälfte einordnen. Es hat kaum Action-Einschübe-ohne-Bedeutung-fürs-große-Ganze, wirkt fokussierter als so mancher frühere Titel (zum Beispiel bleiben wir die gesamte Zeit über an der Seite von Tess) und auch etwas grimmiger. Ein bisschen schade ist höchstens, dass das "To boldly go ..."-Motiv zwar an Anfang und Ende des Romans steht, die eigentliche Handlung aber doch wieder von einem machtpolitischen Konflikt getragen werden muss. Erstaunlich eigentlich, wie selten in der SF die pure Entdeckerfreude – immerhin ihr ureigenstes Metier – einen Roman füllen darf!