Als "päpstliches Geheimnis" werden strenge Geheimhaltungsnormen für bestimmte Rechts- und Verwaltungsvorgänge in der katholischen Kirche bezeichnet – es wurde wiederholt infrage gestellt.

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Der der maltesische Erzbischof Charles Scicluna sprach am Dienstag gegenüber der vatikanischen Medienplattform "Vatican News" von einer "epochalen Entscheidung": Mit der von Franziskus beschlossenen Abschaffung des "päpstlichen Geheimnisses" bei Missbrauchsfällen könnten nun die Bistümer in der ganzen Welt, aber auch die vatikanischen Amtsstellen und Dikasterien Kopien der entsprechenden Akten an die zivilen Justizbehörden übermitteln.

"Das bedeutet, dass die Zusammenarbeit mit dem Staat und mit allen Stellen, die ein Recht auf Zugang zu diesen Unterlagen haben, erleichtert wird", betonte Scicluna, der in der vatikanischen Glaubenskongregation für Missbrauchsfälle zuständig ist. Der Erlass tritt mit sofortiger Wirkung in Kraft.

Strenge Geheimhaltung

Beim sogenannten "Secretum pontificium" handelt es sich um strenge Geheimhaltungsvorschriften in der katholischen Kirche, die bisher maßgeblich dazu beigetragen hatten, dass Missbrauchsfälle vertuscht wurden und die Täter unbestraft blieben. Das "päpstliche Geheimnis" ist deswegen in den vergangenen Jahren wiederholt scharf kritisiert worden, insbesondere vom Präsidenten der deutschen Bischofskonferenz, Reinhard Marx, aber auch vom Papst selbst.

Franziskus hatte unter anderem betont, dass das Geheimnis dazu benutzt worden sei, um Pädophile zu schützen, Opfer zum Schweigen zu bringen und die zivilen Strafverfolgungsbehörden davon abzuhalten, diese Verbrechen zu untersuchen. In einem zweiten Dokument, das am Montag vorgestellt wurde, wird das Alter neu geregelt, in welchem Minderjährige als Opfer von pornografischer Darstellungen gelten: Es wird von 14 auf 18 Jahre erhöht.

Das Licht der Welt

Die Entscheidung des Papstes ist die Frucht des Anti-Missbrauchs-Gipfels im Vatikan, zu dem Franziskus im Februar dieses Jahres alle Bischöfe der Welt geladen hatte. Sie konkretisiert den im Mai veröffentlichen päpstlichen Erlass Vos estis lux mundi ("Ihr seid das Licht der Welt"), mit dem nach der Bischofssynode die Gangart bei der Missbrauchsbekämpfung bereits verschärft worden war – aber eben nur kirchenintern. Ab sofort können Diözesen nun gemäß dem päpstlichen Erlass auf Antrag der lokalen Behörden selbstständig Akteneinsicht erlauben, ohne sich kirchenrechtlich strafbar zu machen. Um an Dokumente der vatikanischen Amtsstellen zu gelangen, müssen die zivilen Behörden – wie dies unter Staaten üblich ist – ein Amtshilfegesuch einreichen.

Die kircheninternen Informationen und Akten zu Missbrauchsfällen werden laut der Verfügung des Papstes weiterhin so behandelt, dass "der gute Ruf, das Ansehen und die Privatsphäre" der Beteiligten gewahrt bleiben. Mit anderen Worten: Die Akten werden nicht einfach veröffentlicht, sondern lediglich den zivilen Gerichtsbehörden übergeben, die ihrerseits ihrem Amtsgeheimnis unterliegen, zumindest bis der mutmaßliche Täter rechtskräftig verurteilt ist. Nicht betroffen von dem Entscheid ist das Beichtgeheimnis, das eine ganz andere Funktion hat als das "päpstliche Geheimnis". Wenn also ein Priester einem anderen Priester im Beichtstuhl einen Missbrauch gesteht, darf das Verbrechen weiterhin nicht angezeigt werden.

Beschädigtes Vertrauen

Die zehntausenden Missbrauchsfälle, die in den vergangenen Jahren auf der ganzen Welt ans Tageslicht gekommen sind, haben die katholische Kirche in eine schwere Krise gestürzt und das Vertrauen in die Institution immens beschädigt. Auch Papst Franziskus ist wiederholt vorgeworfen worden, nur halbherzig gegen die Täter vorzugehen und es bei Lippenbekenntnissen zu belassen. In seiner Heimat Argentinien wird ihm sogar vorgeworfen, als Erzbischof von Buenos Aires selbst zur Vertuschung eines Falles beigetragen zu haben.

Mit der Abschaffung des "päpstlichen Geheimnisses" dürfte Franziskus seine Kritiker beschwichtigen: Seine Entscheidung könnte zum Durchbruch bei der Verfolgung der Sexualstraftäter im Priestergewand werden. (Dominik Straub aus Rom, 17.12.2019)