Inhalte des ballesterer #148 (Jänner/Februar 2020) – Seit 18. Dezember im Zeitschriftenhandel und digital im Austria-Kiosk (https://www.kiosk.at/ballesterer)

SCHWERPUNKT: MARTIN HINTEREGGER

AUFFÄLLIG UNAUFFÄLLIG

Martin Hinteregger kann mit der Gigantomanie des Profifußballs wenig anfangen. Eine Beobachtung von Sirnitz bis Frankfurt

DICHTER UND DENKER

Ein Fußballer als Kunstprojekt

PROTOTYPISCHER INNENVERTEIDIGER

Wie Hinteregger hinten alles zusammenhält

Außerdem im neuen ballesterer

"NIEMAND HAT NUR EIGENE IDEEN"

Sturm-Trainer El Maestro über Originalität und Hochstapelei

VOR DER KASERNE

Aufstand in Neapel

ROM – SANKT PETERSBURG – LONDON

Reisewege durch Europa

LEIDENSCHAFT HAT KEIN GESCHLECHT

Judith Heyde hat weibliche Ultras erforscht

DEMOKRATISCHES WACHSTUM

Ein Anstoß über den Kampf um die richtige Frauensektion

AUFWÄRTS AM KLEINEN STROM

Ein Besuch beim SV Lafnitz

ANSTOSSEN IN RETZ

Die Weinviertler haben große Pläne

DIE FELDER DER FREIHEIT

Ein Film über das lybische Nationalteam

TRAINER UND MISSIONAR

Jimmy Hogans Wirken auf dem Kontinent

AUF ABWEGEN

Die Fans des Wiener Sport-Club am Eis

GROUNDHOPPING

Matchberichte aus China, Frankreich, Portugal und der Slowakei

Foto: Jakob Gsöllpointner/ballesterer

Seit einem Jahr steht Martin Hinteregger fast pausenlos im Fokus der Öffentlichkeit. Eine Suspendierung in Augsburg, ein Erfolgslauf in Frankfurt und eine etwas längere Geburtstagsfeier, dazu noch die innige Liebe der Frankfurter Fans: Das Getöse um den Kärntner ist laut. Doch ein Gespräch mit Martin Hinteregger ist eher leise und vor allem eine Unterhaltung über den Alltag. Manches Mal wirkt er, als wäre ihm das Fußballerleben eigentlich nicht wichtig. Viel lieber erzählt er von den Dingen, die ihn ansonsten begeistern. Das Ziehharmonikaspielen zum Beispiel, die Natur und sein Heimatort, Sirnitz.

ballesterer: Sie werden oft als Kultkicker bezeichnet. Fühlen Sie sich in dieser Rolle wohl?

Hinteregger: Der Begriff gefällt mir. Ein Kultkicker ist ja nicht nur am Platz beliebt, sondern unternimmt auch außerhalb Sachen, die nicht fußballerlike sind. So sehen mich viele. Ich glaube, so ist es auch. Ich habe schon immer fast mehr Bezug zu Betreuern und Mitarbeitern gehabt als zu meinen Mitspielern. Ich verstehe mich in Frankfurt mit jedem sehr gut, aber mir ist ein Freundeskreis, der mit Fußball weniger zu tun hat, sehr wichtig. Einfach, um über andere Themen reden zu können.

ballesterer: Über was reden Sie dann gern?

Hinteregger: Über das Jagen zum Beispiel. Über den Wald und die Natur. Über Brauereien. Du redest einfach anders mit dem Masseur als mit dem Mitspieler. Zu den Betreuern in Mönchengladbach habe ich heute noch Kontakt, zu den Spielern nicht. Außer zu Stevie Lainer, der jetzt dort spielt und ein enger Freund ist.

ballesterer: Gibt es so wenige Fußballer, mit denen man normal reden kann?

Hinteregger: Die meisten sind privat eh ganz normale Leute, aber viele bauen sich nach außen einen Schutzschild auf. Wenn man auf der Straße immer wieder angesprochen wird, obwohl man keine Zeit hat, wird man irgendwann zurückhaltend, damit man seine Ruhe hat. Innerhalb der Mannschaft ist das natürlich anders, aber es bilden sich Grüppchen, das ist normal. Die einen reden über Mode, die anderen über Ernährung. Und ich sitze sehr gern mit Freunden zusammen, denn irgendwann muss man abschalten.

ballesterer: Was bedeutet Abschalten für Sie?

Hinteregger: Wenn man gut spielen will, muss man fit im Kopf sein. Als ich in Augsburg gespielt habe, bin ich immer wieder für eine Nacht nach Obergurgl ins Skigebiet gefahren, wo niemand über Fußball redet. In der Stadt könnte ich mich nie so gut erholen wie in den Bergen.

ballesterer: Woher kommt dieses Bedürfnis nach Ruhe?

Hinteregger: Ich denke, das wächst mit dem Druck. In Österreich war das nie so tragisch. Aber in Augsburg habe ich gegen den Abstieg gespielt, in Frankfurt bin ich auf einmal Publikumsliebling. Die Leute erwarten sich viel von mir. Dem musst du irgendwie entgehen.

ballesterer: Hat es bei Ihnen einen Moment gegeben, in dem Sie mit dem Druck nicht mehr klargekommen sind?

Hinteregger: Als ich nach dem Länderspiel im September wegen meiner Geburtstagsfeier kritisiert worden bin, war ich vier Tage richtig fertig. Auch als ich in Augsburg Kritik am Trainer geübt habe. Es hat mich fast erdrückt. Ich habe einen Fußball spielen müssen, der mir nicht liegt. Ich habe mich nicht entfalten können. Als ich dann suspendiert worden bin, war das wie eine Befreiung. Diese Entscheidung hat für Klarheit gesorgt. Wenn ich dann ein halbes Jahr nichts gemacht hätte, wäre das auch in Ordnung gewesen.

ballesterer: Haben Sie keine Angst um Ihre Karriere gehabt?

Hinteregger: Doch, natürlich. Ich habe schon überlegt, ob ich nach Hause gehe und in Sirnitz vier Monate in der Kärntner Unterliga spiele. Da wäre ich daheim gewesen, Fußball hätte keine große Rolle gespielt. Ich hätte auch nach Italien gehen können, zu SPAL. Dann wäre die Karriere auch nach unten gegangen. Zum Glück ist es anders gekommen.

ballesterer: Warum ist Ihnen die Kritik an Ihrer Geburtstagsfeier so nahegegangen?

Hinteregger: Wenn meine Eltern in der Zeitung lesen, Martin Hinteregger verfeiert seine Karriere und lässt Österreich im Stich, ist das für sie nicht schön. Mich macht das fertig. Als ob es in Österreich keine größeren Probleme gäbe, als wenn einer an seinem Geburtstag feiern geht.

ballesterer: Wie haben Ihre Eltern darauf reagiert?

Hinteregger: Mein Papa hat gesagt: "Du hast wohl wirklich meine Gene." Das Fußballgeschäft ist zum Glück schnelllebig. Wir haben gleich darauf gegen Augsburg und Arsenal gespielt, und wenn da die Leistung passt, rückt alles andere in den Hintergrund. Aber ein paar Tage lang habe ich richtig zu kämpfen gehabt. An Schlaf war nicht zu denken. Ich bin immer wieder aufgewacht und habe mir dieses und jenes Szenario vorgestellt. Dann habe ich mir Unterstützung geholt. Jetzt komme ich zumindest auf vier, fünf Stunden Schlaf pro Nacht. Meditation hilft auch.

"Es gibt sicher ehrgeizigere Leute. Aber wenn Menschen Vertrauen in mich haben, möchte ich das 10.000-fach zurückgeben. "
Foto: Jakob Gsöllpointner/ballesterer

ballesterer: Spüren Sie den Schlafmangel, wenn Sie spielen?

Hinteregger: Interessanterweise wirkt es sich nicht auf meine Leistung aus. Ich werde von Spiel zu Spiel besser. Aber das ist auch mental bedingt. Ich will mich für Frankfurt zerreißen, am besten drei Tore schießen und hinten alles abgrätschen.

ballesterer: Woher kommt dieser Ehrgeiz?

Hinteregger: Es gibt sicher ehrgeizigere Leute. Aber wenn Menschen Vertrauen in mich haben, möchte ich das 10.000-fach zurückgeben. Ich habe heute noch ein schlechtes Gewissen, weil ich in Gladbach nicht gut gespielt habe. Max Eberl und Steffen Korell, die Manager, haben sich mehr von mir versprochen. Dafür möchte ich mich heute noch entschuldigen. Jetzt fühle ich mich Frankfurt stark verpflichtet. Die Fans haben mich so gerne. Sie haben hunderte Postkarten nach Augsburg geschickt und ständig angerufen. Die Assistentin im Büro hat schon die Krise gekriegt, wenn sie mich nur gesehen hat.

ballesterer: Ist es das, worum es Ihnen beim Fußball geht?

Hinteregger: Ja, das ist das Beste. Wenn du für Leute spielst, die dich gern haben, und du ihnen Freude machst.

ballesterer: Mit wem tauschen Sie sich aus, wenn es einmal nicht so läuft?

Hinteregger: Ich war schon immer ein Einzelkämpfer. Vom Internat in Salzburg bis heute mache ich das meiste mit mir selbst aus. Nur mit 19 hat mir meine Oma verboten, nach Florenz zu wechseln. Ich habe das damals in Betracht gezogen, aber wenn die Oma nicht hinkommt, kann man nichts machen.

ballesterer: Sie sagen, Sie sind jetzt am Höhepunkt Ihrer Karriere. Wie hat sich Ihr Leben in letzter Zeit verändert?

Hinteregger: Ich komme bald in das Alter, in dem man sich langsam mit dem Karriereende konfrontieren muss. Das war früher anders. Mit Anfang 20 hat man noch zehn Jahre. Wenn man ein Jahr nicht gut spielt, ist das nicht so schlimm. Jetzt bin ich gerade oben und möchte noch weiter hinauf. Ich kann es mir nicht leisten, einen Schritt zurück zu machen. Ich bin 27, habe ein super Standing im Verein und bei den Fans. Ich muss richtig Gas geben.

ballesterer: Bei Red Bull Salzburg haben Sie 2013 einen Fünfjahresvertrag unterschrieben. Wollten Sie abgesichert sein?

Hinteregger: Ja. In Salzburg ist die Sicherheit im Vordergrund gestanden, um auch nach einer schlechten Phase nicht ohne Verein dazustehen. Wenn es dir nicht gut geht, bekommst du trotzdem dein Geld. Vertragslos zu sein, würde mir jetzt nicht mehr so viel ausmachen. Wenn man einem jungen Spieler keinen längerfristigen Vertrag gibt, heißt das für mich außerdem, dass man ihm nicht vertraut.

ballesterer: Vertraglich gebunden zu sein, kann die Karriere aber auch ins Stocken bringen.

Hinteregger: Du musst wissen, woran du bist. In Salzburg war klar, dass ich bei einem guten Angebot gehen kann. Leipzig war natürlich immer ein Thema. Als ich lieber nach Gladbach wollte, war das aber auch okay. Ein Verein hat nichts davon, wenn er einen Spieler zum Bleiben zwingt. Unserem Sportvorstand Fredi Bobic können wir Spieler da voll vertrauen. Jeder in Frankfurt hat gewusst, dass Sebastien Haller und Ante Rebic nicht zu halten sind. Auch bei Filip Kostic weiß jeder, dass er begehrt ist. Das ist die Realität.

ballesterer: Sie haben bei Ihrem Wechsel nach Deutschland RB Leipzig kritisiert. Sehen Sie das heute anders?

Hinteregger: Damals sind in zwei Jahren acht oder neun Spieler von Salzburg nach Leipzig gegangen. Das war problematisch, da hat sich mittlerweile aber etwas geändert. Mir hat das Modell am Anfang ja gefallen, ich wollte in der Red-Bull-Familie bleiben. Aber wenn man den Fußball besser kennenlernt, ist es legitim, andere Vereine in Betracht zu ziehen. Ich wollte bei einem Traditionsklub spielen.

ballesterer: Sie haben einen langfristigen Vertrag bei der Eintracht. Wollen Sie noch einmal in eine andere Liga wechseln?

Hinteregger: Derzeit kann ich mir nichts Besseres vorstellen. Wir spielen international, haben einen Toptrainer und die beste Fankultur. Wenn es hier so weitergeht, bleibe ich fünf Jahre. Aber wenn meine Leistungen noch einmal explodieren und zum Beispiel ein Angebot von Manchester City kommt, sagt wahrscheinlich auch die Eintracht: "Wir haben 80 Millionen Euro am Tisch, die uns helfen würden." Aber davon bin ich weit entfernt.

ballesterer: Kommen Sie überhaupt noch dazu, sich etwas anderem zu widmen als dem Fußball?

Hinteregger: Momentan kann ich mir keine Termine ausmachen. Ich mache den Helikopterschein und habe seit fünf Wochen keine Zeit zu lernen. Ich würde gern öfter aus Frankfurt rauskommen. Wenn ich neue Leute kennenlerne, frage ich sie immer nach Tipps. Die sagen alle: "Taunus." Ja, genau, ein Berg mit 900 Metern. So toll ist es da nicht. Aber die Stadt mag ich richtig gern, die hat viel zu bieten. Es gibt drei österreichische Restaurants, in denen bin ich Stammgast. Außerdem gehen pro Tag vier Flieger nach Salzburg und Innsbruck. Da kann man kurz hin und am nächsten Tag zurück. Rauszukommen ist mir extrem wichtig.

ballesterer: Also machen Sie eine Weltreise, wenn Ihre Karriere in sieben, acht Jahren vorbei ist?

Hinteregger: Nein, ich hoffe, dass ich dann schon Kinder habe. Und sechs Monate herumfliegen ist auch langweilig. Ich möchte zurück nach Österreich, das weiß ich. Ich habe schon mit 19 ein Haus in Sirnitz gebaut, um mich daran zu erinnern, dass ich einmal heimziehe.

ballesterer: Ist es ein Antrieb zu wissen, dass Sie eines Tages wieder daheim sein werden?

Hinteregger: Sicherlich. Heimat ist eben doch Heimat, da zieht es einen hin. Auch wenn ich immer wieder gerne nach Frankfurt zurückkomme. Ich habe mich noch nie auf Anhieb mit Leuten so gut verstanden wie hier.

ballesterer: Wie vertreiben Sie sich Ihre Zeit, wenn Sie nicht wegfahren können?

Hinteregger: Schwierig, find einmal ein Hobby, das man nicht konstant machen muss und das nicht zu anstrengend ist! Wenn man international spielt, hat man fast keine Zeit. Früher habe ich nach der perfekten Kurve auf der Carrera-Bahn gesucht. Momentan konzentriere ich mich auf den Hubschrauber und die Ziehharmonika.

ballesterer: Warum denn gerade die Ziehharmonika?

Hinteregger: Die Steirische Harmonika ist das beste Instrument, das du auf einer Hütte spielen kannst, damit die Leute in Stimmung kommen. Ich mache das auf der Quetschn Academy per Videostudium. Das haben zwei Steirer aufgezogen, die das super machen. Ich beginne ja bei null. Ich habe damals zum Verkäufer gesagt, dass ich gerne eine der ausgestellten Steirischen Harmonikas hätte. Daraufhin hat er gemeint, dass ich bei den Akkordeons stehe.

ballesterer: Probieren Sie generell alles Mögliche aus, oder haben Sie schon immer ein Instrument lernen wollen?

Hinteregger: Wenn ich etwas sehe, das mir gefällt, dann mache ich das. Ich habe den "Bergdoktor" geschaut und beschlossen, dass ich Rettungshubschrauber fliegen will. Im Fußball will ich eh nicht bleiben. Ich habe kurz überlegt, Koch zu werden, aber Pilot würde super zu mir passen.

ballesterer: Sind Sie nicht gerne Fußballer?

Hinteregger: Beruflich schon, Fußballspielen ist geil. Aber außerhalb vom Platz bin ich nicht gerne Fußballer, das merkt man auch. (Nino Duit, Stefan Joch, Mario Sonnberger, 18.12.2019)