Beinahe 30 Jahre lang hat Andrew Ridgeley geschwiegen, hat sich weder zu seiner Zeit beim britischen Hitduo Wham! geäußert noch über seinen Gesangspartner und Schulfreund George Michael gesprochen. 30 Millionen Platten haben Wham! in den frühen 80er-Jahren verkauft, Michael stieg nach der Auflösung des Duos 1986 zum globalen Superstar auf. Jetzt, drei Jahre nach dessen Tod, redet Ridgeley (56) zum ersten Mal, pünktlich zur Veröffentlichung seiner Memoiren und zum alljährlichen Erscheinen des Weihnachtshits Last Christmas.

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George Michael und Andrew Ridgeley im Jahr 1985. Ihre Band Wham! lösten sie im Folgejahr auf, ihre Freundschaft blieb bestehen.
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STANDARD: Mister Ridgeley, vor 35 Jahren erschien "Last Christmas" von Wham! erstmals. Was sehen Sie heute, wenn Sie sich das Video anschauen, in dem George Michael und Sie im Schnee herumtollen?

Andrew Ridgeley: Meine langen Haare! Oh Gott, was für ein Fehler. Daneben sehe ich allerdings vor allem menschliche Wärme, Freunde, die viel Spaß zusammen hatten. Nicht nur George und ich, auch Shirlie und Pepsi, unsere Backgroundsängerinnen. Wir waren 21, sehr jung, Kinder, die Erwachsene spielten.

STANDARD: In Ihren Memoiren schreiben Sie über den Dreh in der Schweiz, dass George Michael jede Szene, in der er ungepflegt oder dicklich aussah, rausschneiden ließ.

Ridgeley: Trotzdem gibt es noch zwei Sekunden im Clip, wo er rückwärts laufen musste und dabei aussieht, als hätte ihn gerade jemand in den Schritt getreten. Komplett lächerlich.

STANDARD: Angeblich haben Sie die ganze Zeit gesoffen. Können Sie sich an die Tage überhaupt erinnern?

Ridgeley: An fast alles. Von dem Moment an, an dem wir im Hotel ankamen und unsere vorher angereisten Freunde schon in Partystimmung waren und die Bar leergetrunken hatten, bis hin zu dem Abend, an dem wir nackt in den Hotelpool sprangen. Die Stimmung kippte etwas, als einer unserer Freunde in einen Wasserfilter kotzte.

STANDARD: Bekamen Sie im Skiort Saas-Fee Hausverbot?

Ridgeley: Ich glaube nicht, dass man uns ein Jahr später wieder empfangen hätte. Inzwischen hat man uns vergeben, höre ich.

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Andrew Ridgeley vor kurzem bei der Premiere des Kinofilms "Last Christmas", in dem natürlich auch das gleichnamige Lied von Wham! zu hören ist.
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STANDARD: Wenn Sie heute das Lied hören, was spüren Sie?

Ridgeley: Stolz und Freude. Wie George es geschafft hat, einen Klassiker zu schreiben! Er ist ja mit dieser Aufgabenstellung an das Projekt herangegangen: Ich will ein Weihnachtslied komponieren, das man noch Jahre später hören wird.

STANDARD: Warum wollte er das tun?

Ridgeley: Es war eine Herausforderung für ihn. Einige der größten Künstler hatten es geschafft, mit einem Weihnachtshit unsterblich zu werden. Er wollte in einer Reihe stehen mit Bing Crosby, Paul McCartney, Slade ...

STANDARD: Und was hat Ihnen der Erfolg gebracht?

Ridgeley: Mir werden jedes Jahr Tantiemen bezahlt, da ich Teil von Wham! war, also einer der aufführenden Künstler. George erhielt natürlich als Texter und Komponist noch mehr Geld.

STANDARD: Helfen Ihnen dieser Hit und die anderen Songs wie "Club Tropicana", Ihren Lebensstil heute aufrechtzuerhalten?

Ridgeley: Es gibt drei Lieder, an denen ich mitgeschrieben habe, unter anderem auch Careless Whisper. Für alle Hits bekomme ich Tantiemen, die stellen den größten Teil meines Einkommens. Erst danach kommen ein paar Investitionen und andere Geschäftsinteressen. Die Lieder sind mein finanzielles Sicherheitskissen.

STANDARD: Ihr Wagemut Jahre zuvor hat sich ausgezahlt. Sie waren es schließlich, der Ihren Mitschüler Giorgios Panagiotou überredete, eine Band zu gründen.

Ridgeley: In der Schule haben wir monatelang davon gesprochen, zusammen Musik zu machen. George fand immer einen Grund, warum es gerade nicht der richtige Zeitpunkt war. Eines Tages im November 1979 habe ich ihn angerufen und gesagt: Wir gründen eine Band! Anderenfalls hätte das nie geklappt.

STANDARD: Sie mussten ihn nötigen.

Ridgeley: Ich gab ihm den finalen Stoß.

STANDARD: Sein Vater war nicht begeistert. Er setzte seinem Sohn nach dem Schulabschluss ein Ultimatum: Entweder hätte er nach sechs Monaten einen Plattenvertrag oder er sollte die Musik aufgeben.

Ridgeley: Ich glaube, er verstand nie die Berufung seines Sohnes. Als George sich zum Geburtstag ein Fostex-Aufnahmegerät mit vier Spuren wünschte, schenkte sein Vater ihm zwei antike Waffen. Aber hätte George wirklich mit der Musik aufgehört, wenn wir im Frühjahr 1982 nicht unseren ersten Vertrag unterschrieben hätten? Ich bezweifle das. Wir brauchten keinen zusätzlichen Druck von außen, wir hatten genug Drive in uns.

STANDARD: Schon nach ein paar Monaten haben Sie sich aus dem Kreativprozess bei Wham! zurückgezogen. Warum?

Ridgeley: Weil George sich enorm als Songwriter entwickelte. Er wurde einfach besser als ich. Für das erste Demo, Ende 1981, hatten wir zusammen drei Lieder geschrieben. 18 Monate später war mir George Lichtjahre voraus. Wir setzten uns zusammen und beschlossen, dass es das Beste für die Band wäre, wenn er die kreative Verantwortung übernahm. Ich habe das akzeptiert. Es hätte Wham! nie ohne George Michael gegeben, aber auch nicht ohne Andrew Ridgeley.

Auch das Video zum Welthit "Last Christmas", gedreht in den Walliser Alpen, hat Kultstatus erreicht. Seit heuer ist das filmische Kleinod in pixelreicher 4k-Qualität abrufbar.
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STANDARD: Sie sangen nur im Hintergrund und spielten live höchstens Gitarre. Worin bestand Ihre Rolle?

Ridgeley: Wham! präsentierte sich dem Publikum gegenüber als zwei Jungs, die durch Freundschaft verbunden waren. Darum ging es bei Wham! – Kameradschaftlichkeit, Jugend, Unbekümmertheit. Und das war auch einer der Gründe, warum George später als Solokünstler weitermachte. Die Parameter von Wham! limitierten ihn. Es war ein kurzes Zeitfenster in unserem Leben, in das die Lieder passten. Als Künstler musste er dem Wir entwachsen. Wir wussten beide, dass er eines Tagen Lieder schreiben würde, deren Themen irrelevant für die Band waren, in denen es um den Erwachsenen George Michael ging, nicht um den Jugendlichen Yog.

STANDARD: Das war Ihr Spitzname für ihn, weil Sie seinen Namen nicht aussprechen konnten.

Ridgeley: Für mich existierte nur diese eine Person: Yog, mein Freund. George Michael war das Pseudonym, das er brauchte, um der Performer zu werden, der er sein wollte.

STANDARD: Sein Schutzschild?

Ridgeley: Wahrscheinlich. Er half ihm, den Druck auszuhalten, der mit großem Erfolg einhergeht.

STANDARD: Was sein Aussehen betraf, blieb er sein Leben lang unsicher. Gerade die richtige Frisur bereitete ihm große Sorgen.

Ridgeley: Mitte der 80er-Jahre sahen ihn Freunde auf einem Zeitschriftencover und verwechselten ihn zuerst mit Lady Di. Zugegeben, beide hatten tolle Föhnwellen. Sein Aussehen war für George ein lästiger Aspekt seines Daseins. Er war als Teenager nie zufrieden mit seinem Look, fühlte sich pummelig. Das hat ihn noch Jahre verfolgt. Gucken Sie sich die Fotos von 1982 an, wie unsicher er auf den Fotos wirkt – und wie gutaussehend er vier Jahre später war. Ein attraktiver Kerl, doch trotzdem konnte er die Zweifel in seinem Kopf nicht abschalten.

STANDARD: Waren die 10.000 Pfund, die es kostete, seine Schwester nach Miami einzufliegen, damit sie ihm für das Video von "Careless Whisper" die Locken ondulierte, so wie er es mochte ...

Ridgeley: ... war das gut angelegtes Geld? Er dachte es jedenfalls. Ich fand es etwas extravagant.

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STANDARD: Trotz aller Allüren schreiben Sie bewundernd von seiner Großzügigkeit. Wie hat er anderen geholfen?

Ridgeley: Er richtete eine Stiftung ein, die sich für die Erforschung künstlicher Befruchtung einsetzte. Anonym unterstützte er Paare, die sich mit der In-vitro-Methode ihren Kinderwunsch erfüllen wollten. Ich erinnere mich an eine sehr bewegende Begegnung während einer Signierstunde kürzlich in Manchester. An diesem Tag kam auch ein Ehepaar, dem George geholfen hatte, das kostenaufwendige In-vitro-Verfahren zu finanzieren. Neunmal hatte es nicht geklappt, beim zehnten Mal funktionierte es – an dem Tag, an dem George starb. Aus Dankbarkeit benannten sie ihr Kind nach ihm. Mit dem fast dreijährigen George standen sie vor mir, ein berührender Moment für mich.

STANDARD: War Yog emotional genauso großzügig, und konnte man ihn mitten in der Nacht anrufen, um über seine Probleme zu reden?

Ridgeley: Er konnte das bestimmt, ich nicht.

STANDARD: Wie meinen Sie das?

Ridgeley: Unsere Beziehung berührte unsere Gefühlsleben kaum. Wenn wir uns trafen, machten wir Witze, lachten viel, lebten die Freundschaft aus der Schulzeit nach. Wir mussten uns nichts erklären.

STANDARD: Sie haben über seine Beziehungen nicht gesprochen?

Ridgeley: Nie.

STANDARD: Bedauern Sie das im Nachhinein?

Ridgeley: Nein. Das gehörte nicht zu unserer Freundschaft. Es war nicht relevant zwischen Yog und mir, wenn ich Schwierigkeiten mit einer Freundin hatte oder umgekehrt. Ich wusste natürlich, dass er schwul war. Er hat mir das beim Dreh zu Club Tropicana 1983 erzählt. Das war kein Problem für mich, aber sonst hat er fast nie über seine Sexualität mit mir gesprochen. Das war nicht der Kontext, in dem unser Verhältnis existierte.

STANDARD: Worüber haben Sie sich dann unterhalten?

Ridgeley: Was es bedeutet, ein Künstler zu sein. Ich erinnere mich, wir hatten lange Diskussionen darüber, welche Konsequenzen sein Status als Star für ihn als Privatperson haben würde. Er kämpfte mit dem Ruhm. Er wusste, sobald er eine Solokarriere einschlagen würde, müsste er Kompromisse eingehen, die Karriere würde ihn einen Teil seines Privatlebens kosten. Ich traf ihn in Los Angeles, als er Faith aufnahm …

STANDARD: … das Solodebüt erschien 1987 und wurde ein Bestseller …

Ridgeley: … und George fragte mich: Tue ich das Richtige? Ich fragte zurück: Was macht dich unglücklicher – wenn du deine Songwriting-Fähigkeiten nicht ausschöpfst oder kein normales Privatleben hast? Er wusste die Antwort. Es gab keine Alternative für ihn.

STANDARD: Zur gleichen Zeit kehrten Sie der Öffentlichkeit den Rücken. Sie zogen aus London weg, wanderten viel, surften. Hat George Sie dabei gelegentlich begleitet?

Ridgeley: Er hatte einen steifen Rücken, weil er sich in den späten 80er-Jahren drei Wirbel ausgerenkt hatte. Deshalb waren Wanderungen nichts für ihn. Er kam manchmal nach Cornwall, um mich zu besuchen, ich traf ihn in London oder ging auf einige seiner Konzerte. Seine Interessen waren ziemlich begrenzt: Musik und Sex. Keine schlechten Interessen, wenn Sie mich fragen.

STANDARD: Das letzte Mal sahen Sie George Michael ein paar Wochen vor seinem Tod, als Sie sich für eine Partie Scrabble verabredet hatten. Wie gut war er als Spieler?

Ridgeley: Nicht so gut, wie er dachte. Die Woche davor hatte er mich jedoch besiegt, ich besuchte ihn für eine Revanche. Es war noch Sommer, wir saßen im Innenhof seines Hauses in Nordlondon, ich kochte etwas für uns beide.

STANDARD: Weil Sie davor verloren hatten?

Ridgeley: Nein, George hasste Kochen. Seine Küche war eine Schande. Toll eingerichtet, aber kein einziges scharfes Messer in den Schubladen. Als wir nach dem Essen spielten, habe ich ihn ordentlich abgezockt: Ich habe mit mehr als 200 Punkten Vorsprung gewonnen. Zum Schluss legte ich ein Wort horizontal, das ich mit mehreren vertikalen auf dem Spielbrett verknüpfte. Ein Hammerzug! Während ich den letzten Buchstaben anlegte, hob George seinen Zeigefinger und rief: Krankenschwester! (Ulf Lippitz, RONDO, 22.12.2019)