Als Horst Seehofer am Dienstag in seinem Innenministerium neue Strategien gegen deutschen Rechtsextremismus vorstellt, geht sein Blick zunächst noch einmal zurück zum 9. Oktober. Zu Jom Kippur, dem höchsten jüdischen Feiertag, wollte der 27-jährige Stephan B. in Halle einen Anschlag auf die Synagoge verüben. Die Sicherheitstür hielt dem Angriff stand. Daraufhin tötete B. zwei Menschen außerhalb der Synagoge.

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"Ihr könnt uns nicht schützen!", habe ihm daraufhin in der jüdischen Gemeinde ein junger Mann zugerufen, berichtet Seehofer. "Ein schmerzhafter Satz. Das habe ich als starken Auftrag empfunden", sagt er. Nun bekommen die Sicherheitsbehörden 600 zusätzliche Stellen zur Bekämpfung von Rechtsextremismus – 300 im Bundeskriminalamt, 300 im Bundesamt für Verfassungsschutz. "Man kann eine wirksame, spürbare, erfolgreiche Bekämpfung des Rechtsextremismus durch diese Behörden nur führen, wenn wir sie personell deutlich aufstocken", so Seehofer.

Neu eingerichtet wird beim Verfassungsschutz zudem eine "Zentralstelle zur Aufklärung rechtsextremistischer Umtriebe im öffentlichen Dienst". Von dieser aus will Seehofer braune Umtriebe in der Bundeswehr und bei der Polizei ins Visier nehmen lassen.

Zu viele Einzelfälle

Grundsätzlich gelte dort für die "breite Masse", dass sie "mit beiden Beinen fest auf dem Boden des Grundgesetzes steht", sagt der Chef des Verfassungsschutzes, Thomas Haldenwang. Aber es habe in letzter Zeit einige Einzelfälle gegeben – "aus meiner Wahrnehmung zu viele Einzelfälle". Daher müsse man nun schauen, ob sich Netzwerke gebildet hätten.

Der Verfassungsschutz und der Bundesnachrichtendienst haben nach eigenen Angaben in einigen Fällen disziplinarische Ermittlungen eingeleitet. Bei der Bundespolizei wurden laut der Funke-Mediengruppe im Jahr 2018 gegen acht Beamte wegen einer möglichen Zuordnung zur "Reichsbürgerszene" Disziplinarverfahren geführt.

Der Militärische Abschirmdienst (MAD) hat bei der Bundeswehr mehr als 30 Personen mit "fehlender Verfassungstreue" registriert. Ein Sprecher erklärte, dass "derzeit rund zwei Drittel dieser Personen auf den Phänomenbereich Rechtsextremismus entfallen".

Nach dem Mord am Kassler Regierungspräsidenten Walter Lübcke (CDU) im vergangenen Juni wies Seehofer darauf hin, dass in Deutschland der Kampf gegen Rechtsextremismus und Rechtsterrorismus verstärkt werden müsse. Er sagte damals: "Ich möchte jetzt nicht behaupten, dass alles Menschenmögliche getan wurde."

Hässliche Blutspur

Jetzt erwähnt er das hohe Potenzial rechtsextremer Gewalttäter in Deutschland. Die Hälfte der politisch motivierten Körperverletzungen habe ihre Ursache im rechtsextremen Bereich. Seehofer: "Neben dieser hässlichen Blutspur, beginnend von NSU bis Halle, haben wir immer wieder darauf hingewiesen, dass nach unserer Einschätzung mindestens 12.000 Personen in Deutschland leben, die potenziell im rechten Bereich gewaltbereit sind."

Das Thema Rechtsextremismus lässt derzeit auch Deutschlands erste "Kenia-Koalition" aus CDU, SPD und Grünen in Sachsen-Anhalt wackeln. Dort war bekannt geworden, dass der CDU-Kommunalpolitiker Robert Möritz aus Bitterfeld-Wolfen vor acht Jahren als Ordner an einer Neonazi-Demo beteiligt war und zudem eine sogenannte "Schwarze Sonne" aus mehreren Hakenkreuzen tätowiert hat. Diese gilt unter Neonazis als Erkennungszeichen.

Da sich Möritz von früheren Verbindungen zur Szene distanziert hat, soll er eine zweite Chance erhalten und nicht aus der CDU ausgeschlossen werden – was bei Grünen und SPD aber für großes Unbehagen sorgt. "Wie viele Hakenkreuze haben Platz in der CDU?", fragen die Grünen und fordern, ebenso wie die SPD, eine gründliche Aufarbeitung der Causa. (Birgit Baumann aus Berlin, 17.12.2019)