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12.000 Mitarbeiter arbeiten an der Produktionsstätte des Unglücksvogels in Renton im Bundesstaat Washington. Entlassen will sie Boeing derzeit nicht.

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Die Sache wird teuer, sehr teuer. Das Debakel mit der Boeing 737 Max zwingt den weltgrößten Hersteller von Luft- und Raumfahrttechnik zu einem radikalen Schritt. Die Produktion des Unglücksfliegers wird nach dem behördlich verfügten Flugverbot infolge zweier Abstürze, die hunderte Todesopfer forderten, ab Jänner gestoppt.

400 Jets im Wert von rund 50 Milliarden Dollar stehen auf Halde. Die einstigen Kassenschlager dürfen nicht ausgeliefert werden – bis die US-Luftfahrtbehörde FAA die Zulassung erteilt. Wann das sein wird? Man weiß es nicht. Einige Analysten schätzen, dass das Boeing pro Monat eine Milliarde Dollar kosten könnte.

Bei rund fünf Milliarden Dollar sollen die Rückstellungen, die Boeing gebildet hat, bisher liegen. Für den Airbus-Rivalen bedeutet der Produktionsstopp den größten Stillstand seit mehr als 20 Jahren. 1997 ruhte die Arbeit aufgrund von Problemen bei Lieferketten. Jetzt könnte sich der Stillstand bis Februar 2020 ziehen, oder bis März.

Behörde lässt sich nicht drängeln

Drängeln lässt sich die Behörde nicht: Vor einer erneuten Zulassung seien fast ein Dutzend Punkte zu bearbeiten, heißt es. Man arbeite die Agenda ab und prüfe mit den weltweiten Regulierungsbehörden die vorgeschlagenen Änderungen. Ein Ende sei nicht absehbar.

Mit neun Milliarden US-Dollar werden die Kosten für die Tragödie bislang taxiert. Selbst für einen Riesen wie Boeing schwer zu verdauen. Im dritten Quartal ist der operative Gewinn um rund die Hälfte eingebrochen. Am Dienstag gerieten nicht nur Boeing-Aktien kräftig unter Druck. Auch die Papiere der größten europäischen Zulieferer Safran und Senior brachen ein. Mit Auswirkungen auf die US-Wirtschaft ist zu rechnen.

Ryanair streicht Jobs

Boeing ist einer der größten Exporteure der USA. Auch Fluggesellschaften müssen ihre Flugpläne wegen der fehlenden Maschinen umstellen und Wachstumsziele verschieben. Die Laudamotion-Mutter Ryanair etwa kappt ihr Flugangebot für den Sommer 2020 und streicht Jobs. Dem Reiseriesen Tui brockte das Flugverbot im abgelaufenen Geschäftsjahr einen Gewinneinbruch um rund ein Viertel ein.

Der Sturm, der sich über der Luftfahrtbranche zusammenbraut, hat aber Auswirkungen bis nach Österreich. Auch heimische Zulieferer wie etwa die Voestalpine-Tochter Böhler Aerospace liefern Teile für den Mittelstreckenjet. Im Vorjahr erwirtschaftete Böhler zehn Prozent seines 400-Millionen-Euro-Umsatzes in der Luftfahrtbranche mit der Boeing-Max.

Voest glaubt an temporären Stopp

Nach der Ankündigung von Airbus, die Produktion der A380 einzustellen, ist das für die Voest die zweite schlechte Nachricht aus der Branche. Allerdings gehe man von einem vorübergehenden Stopp aus, sagt ein Sprecher. Für die FACC gilt hingegen: Manchmal ist es gut, Aufträge nicht zu bekommen.

Bei der Voest kann man die finanziellen Folgen des Produktionsstopps der Boeing 737 Max noch nicht absehen
Foto: Matthias Cremer

Die Oberösterreicher haben mit der Max 737 nichts zu tun. Finanziell könne man die Auswirkungen auf heimische Betriebe gar nicht abschätzen, sagt Holger Friehmelt, Leiter des Studiengangs Luftfahrt an der FH Joanneum in Graz.

Ein Monat Stillstand sei wohl verkraftbar, zumal die Teile auf dem Seeweg verschickt werden und bis zu sechs Wochen unterwegs sind. "Ein halbes Jahr kann bedrohlich werden." Aus rund einer Million Teile besteht ein Flugzeug, zahlreiche Komponenten, etwa Bauteile für das Fahr- oder Triebwerk, kommen aus Österreich.

Dunkle Wolken fürs erste und zweite Quartal

So eine Lieferkette könne man nicht einfach abschalten und dann wieder hochfahren, sagt Friehmelt: "Jetzt kommt es darauf an, die Nerven zu bewahren und weiter zu produzieren." Auf Risiko, denn es gilt Rohstoffe und Produktionsmittel vorzufinanzieren. Für das erste und zweite Quartal sieht Friehmelt dunkle Wolken aufziehen.

Dass Boeing pleitegeht, davon geht derzeit niemand aus. "To big" und "to important", urteilt der deutsche Luftfahrtexperte Christoph Brützel: "Selbst wenn in den USA Bail-outs von Unternehmen mit Steuermitteln in keiner Weise populär sind, dürfte für Boeing eine Ausnahme gelten. Der Konzern hat wegen der Relevanz für das Militär und als einziger verbliebener US-Konzern zur Herstellung ziviler Verkehrsflugzeuge als US-amerikanische Schlüsselindustrie nationale Bedeutung."

"Trumps" schüren Unsicherheit

Einen Unsicherheitsfaktor ortet er: "Heutzutage sind ja die Wege der Trumps unergründbar." Experte Cord Schellenberg führt ein weiteres Argument an. Airlines hätten ein Interesse daran, mehrere Produzenten zur Auswahl zu haben: "Ein Oligopol ist immer noch besser als ein Monopol." (Regina Bruckner, 18.12.2019)