Als "demokratiepolitisch gefährlich" bezeichneten 13 Wissenschafterinnen und Wissenschafter, Autorinnen und Autoren den "European Islamophobia Report 2018". Von EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen forderten sie in einem offenen Brief, dafür kein EU-Geld mehr zur Verfügung zu stellen. Einer der Herausgeber, der Politikwissenschafter Farid Hafez, entgegnet: "Rassismus diskutieren ist demokratiepolitisch notwendig", die dargelegten Argumente seien "fraglich". Im Folgenden Auszüge aus seiner Replik:

39 Autorinnen und Autoren haben an dem Bericht von 2018 mitgearbeitet, der mit mehr als 100.000 Euro von der EU finanziert wurde. Wie die Anfragen des Rechtspopulisten Geert Wilders an das niederländische Parlament, der Partei Die Linke an den Deutschen Bundestag sowie von Lukas Mandl an das Europäische Parlament zeigen, sind die Förderungen korrekt gehandhabt worden. (...)

Diskriminierende Politiken

Demonstration gegen Islamophobie im November in Paris.
Foto: APA / AFP / Geoffroy van der Hasselt

Zum einen werden falsche Behauptungen aufgestellt: Nirgends werden diese Personen dafür kritisiert, weil sie angeblich die türkische Regierungspolitik kritisieren. Sie werden nicht "denunziert". Sie werden lediglich für ihre Produktion und Reproduktion von antimuslimischem Rassismus kritisiert. Dabei greift der Einwand zu kurz, in einen Topf mit Rechtsradikalen geworfen zu werden. Es ist völlig unerheblich, ob jemand aus völkisch-rassistischen oder säkularen Positionen heraus eine Ungleichbehandlung von Musliminnen und Muslimen fordert oder unterstützt. Solange eine einzige Gruppe im Fokus der öffentlichen Debatte steht und ihre Ungleichheit das Ziel diskriminierender Politiken ist, solange bleibt Ungleichheit eben Ungleichheit. Dies stellt den Kern meiner Kritik dar: Für die Ausgegrenzten und Diskriminierten ist der ideologische Ursprung ihrer Ungleichbehandlung irrelevant. Erst wenn wir Rassismus nicht lediglich als persönliche Einstellung oder einzelne Vergehen verstehen, sondern als strukturelle Frage thematisieren, können wir sinnvoll über Islamophobie sprechen.

Die Kritikerinnen und Kritiker bemängeln, dass der Bericht "weder eine quantitative noch eine qualitative Studie" sei. Das ist richtig. Wie der Titel auch verrät, handelt es sich um ein Policy-Paper, das für Politik und Zivilgesellschaft gemacht wurde. Dieser wurde zudem überwiegend von einem akademischen Personal zusammengestellt.

Kopftuchverbot und Machtstrukturen

Nun zu den Gründen, warum einige der Kritisierten in diesem Bericht erscheinen. Wenn beispielsweise Mouhanad Khorchide die (später vom Wiener Verwaltungsgericht als unzulässig aufgehobene) Schließung von sieben muslimischen Gebetshäusern als "Schlag gegen den politischen Islam" unterstützt und Strache/Kurz/Kickl/Blümel zujubelt, dann ist Kritik angebracht.

Wenn Seyran Ateş ein Kopftuchverbot im Kindergarten unterstützt, dann bedient sie damit antimuslimischen Rassismus, denn das Kopftuchverbot ist aus verschiedenen Gründen islamophob: Erstens erlaubt sich eine Regierung, ausschließlich Musliminnen – Juden und Sikh bleiben explizit ausgeschlossen – Kleidungsvorschriften zu machen. Zweitens erlaubt sich eine Regierung, den Islam zu definieren, was gegen das Prinzip der Säkularität verstößt. Drittens war dieses Gesetz nur der Beginn für eine weitere Ausdehnung eines Kopftuchverbots, wie es Heinz-Christian Strache und Sebastian Kurz damals öffentlich ankündigten. Damit haben sie die Grundlage dafür gelegt, viele muslimische Frauen aus der Arbeitswelt und dem öffentlichen Raum zu verbannen, sie ihrer finanziellen Unabhängigkeit und Selbstständigkeit zu berauben. Es geht also nicht um "Denunziation", sondern um eine Kritik an Machtstrukturen, die Marginalisierte ausschließen. (...)

Das Problem mit der Verwendung des Begriffs des politischen Islam durch die Unterzeichnerinnen und Unterzeichner liegt eher darin, dass sie diesen verwenden, um Musliminnen und Muslime zu kriminalisieren. Das zeigt sich am Verbot des Kopftuchs wie auch am Versuch der Schließung von Moscheen, allesamt Initiativen der türkis-blauen Regierung, die unter dem Vorwand des Kampfes gegen den politischen Islam unternommen wurden.

Legitime Kritik

So verwundert es auch nicht, dass die Kritik nicht am Inhalt unserer Kritik orientiert ist, sondern den institutionellen Rahmen kritisiert. Bei Seta waren Personen, die heute bei der AKP sind. Das stimmt. Bei Seta waren aber auch Personen, die aus der AKP ausgetreten sind oder zur heute mit der türkischen Regierung verfeindeten Gülen-Bewegung zählen. Seta ist eine formal unabhängige Denkfabrik, und sie als ein Regierungsorgan zu beschreiben ist im besten Falle eine verfehlte Wahrnehmung. Kritik an ihr und manchen Arbeiten ist legitim und war auch nie Gegenstand unserer Kritik, insbesondere wenn es sich um andere Politikfelder handelt. Dass 39 Autorinnen und Autoren aus ganz Europa, die mit Ausnahme von zwei Autoren wie ich keine Beziehung zu Seta haben, unterstellt wird, dass wir eine Denunziationsstrategie verfolgen, ist eine unzulässige Unterstellung.

Im Gegenteil haben manche der Unterzeichnerinnen und Unterzeichner einen privilegierten Zugang zu Macht, fertigen Studien für eine türkis-blaue Regierung, die zur Verfestigung islamophober Einstellungen genutzt werden. Andere treten bei der FPÖ auf. Was ihnen allen gleich ist: Sie kritisieren nicht die Regierungen, die Mächtigen, sondern die bereits Marginalisierten und Ausgeschlossenen. Werden einmal andere als sie finanziert, sehen sie die Meinungsfreiheit in Gefahr. Dahinter steht ein Verständnis von Meinungsfreiheit, das nur ihre Meinung schützt.

Die Unterzeichnerinnen und Unterzeichner meinen, dass ihre Erwähnung in unserem Bericht eine "nicht zu unterschätzende Gefahr" für diese darstelle. Dabei unterschlagen sie, dass einer der Unterzeichner mehrere Male an verschiedenen Stellen meines Arbeitsplatzes intervenierte und Druck auf meinen Arbeitgeber ausübte. Sie sehen auch nicht, dass nach der ersten Welle von Artikeln über den Bericht eine Morddrohung an meine und nicht ihre Adresse gelangt ist. Vielmehr inszenieren sie sich nun als Opfer, um die Kritik an Rassismus mundtot zu machen. (Farid Hafez, 17.12.2019)