Mehr als 300 Menschenleben haben die beiden Flugzeugabstürze von Maschinen des Typs Boeing 737 Max 8 gekostet. Was seither über die Versäumnisse beim US-Flugzeughersteller bekannt geworden ist, weist auch auf Probleme hin, die über dieses Modell hinausgehen und zahlreiche Industriebranchen betreffen. Wenn Boeing nun die Produktion des Unglücksfliegers aussetzt, signalisiert der Konzern, dass er keine rasche Lösung sieht.

Seit Anfang des Jahrzehnts kannte Boeing nur ein Ziel: ein Flugzeug zu bauen, das es mit dem Erfolg des Airbus A320 neo aufnehmen konnte. Um Zeit zu sparen, verzichtete man auf die Entwicklung eines neuen Modells, stattdessen baute man die bewährte 737 einfach um. Als die neuen Anforderungen zum alten Design nicht passten und Flugfehler auftauchten, setzte man zur Korrektur eine Software ein. Weil Boeing den Fluglinien versprochen hatte, die 737 Max erfordere keine aufwendigen Pilotenschulungen, wurde die neue Software erst gar nicht in die Handbücher aufgenommen – selbst dann nicht, als ihre Funktion im letzten Moment deutlich erweitert wurde. Zum Schluss verzichtete Boeing sogar auf einen zweiten Sensor, nur um ja nicht ein Eingreifen der Piloten zu erzwingen.

Bild nicht mehr verfügbar.

Boeing stoppt die Produktion des Fliegers 737 Max.
Foto: REUTERS/Lindsey Wasson

Bei all diesen Entscheidungen saßen stets Finanzleute am Steuer, während die Techniker mundtot gemacht wurden. Und dank Boeings jahrelanger Lobbyarbeit war die US-Luftfahrtaufsicht FAA weder in der Lage noch gewillt, die Angaben des Konzerns zu hinterfragen. Die Katastrophe war unvermeidbar, sagen Insider heute.

Was bei Boeing geschah, ist symptomatisch für Konzerne, deren Management lediglich auf Quartalsgewinne und Aktienkurse schaut und ehrliche Langfristplanung vernachlässigt. Dazu kommt das Phänomen der "regulatorischen Kaperung": Die Aufsicht wird durch politischen Druck und falsche ökonomische Argumente handzahm gemacht. Eine ähnliche Dynamik hat einst die Banken in die Finanzkrise und Volkswagen ins Dieselfiasko geführt.

Den Preis für solche Fehlentwicklungen zahlt nicht nur die Allgemeinheit, es rächt sich auch für die Unternehmen und deren Aktionäre. Bei Boeing ist es höchste Zeit, dass Noch-Konzernchef Dennis Muilenburg zurücktritt. Und viele andere Unternehmen müssen sich fragen, ob sie nicht auch in einem solchen fatalen Kreislauf der Verantwortungslosigkeit stecken. Denn damit untergraben sie die moralischen Grundfesten der Marktwirtschaft. (Eric Frey, 17.12.2019)