Auf dem Christbaum werden die bisher brennenden Kerzen durch solche mit Glühbirnchen ersetzt. So inetwa lautet die frohe Zwickauer Botschaft – ins Weihnachtliche übersetzt.

Verbrenner vs. Elektro. Noch laufen hier Golf und Golf Variant vom Band, während parallel dazu die ID.3-Produktion hochgefahren wird. Mitte ’20 ist Schluss mit Feuerchen in Zylindern, ab 2021 stromern bis zu 330.000 Elektroautos jährlich aus der Fabrik und hinterlegen das Attribut "größtes E-Auto-Werk Europas" mit Fakten.

Mit 1.700 Robotern wird das bald reinrassige Elektroauto-Werk Zwickau hochgradig automatisiert.
Foto: Volkswagen

Vom Nebendarsteller zum Hauptakteur

Schon denkwürdig, dass dieser Standort, wo einst August Horch den Automobilbau initiierte, Audi "erfand" und produzierte, der Trabant die DDR halbwegs massenmobil machte; dass also dieses Zwickau, in der Nachwendezeit immer nur Nebendarsteller, plötzlich zum Hauptakteur wird. Hier spielt erstmals Mobilitätswende-Musik, vieler Augen richten sich aufs schöne Sachsenland.

Wir wollten den ersten Trubel abwarten (Sie erinnern sich, großer Paukenschlag, ID.3-Produktionsstart im Beisein von Kanzlerin Merkel und Sachsens Ministerpräsident Kretschmer am 4. November) und uns dann in Ruhe im Werk umsehen – wozu VW-Sachsen-Sprecher Carsten Krebs den STANDARD kurzerhand an eine kleine Gruppe deutscher, dänischer, tschechischer und japanischer Journalisten anflanschte.

In Halle 5, Montage, Kernstück der Zwickauer Transformation zur E-Mobilität, frimmelt Herr M. gerade Heckklappendichtung und Kofferraumabdeckung in einen ID.3, bis vor Kurzem stand er noch am Golf-Band. "Hat sich groß was geändert?", wollen wir wissen. M., Mitglied eines jener Teams zu zehn bis 16 Mitarbeitern, die alle paar Stunden die Station wechseln, damit die Arbeit nicht zu eintönig wird, winkt lässig ab. "Nein, auf dem Gebiet nicht, das ist ein Auto wie das andere."

Die über 500 "fahrerlosen Transportsystemen" tragen ebenfalls ihren Teil dazu bei.
Foto: Volkswagen

Die andre Hochzeit

Bei solch vergleichsweise banalen Tätigkeiten stimmt das wohl, aber schon beim Thema Hochzeit ist es was andres. Nein, nein, nicht was Sie denken. Wir machen keinen Schlenker in die gotische Kirche St. Marien, wo 1520 Thomas Müntzer predigte, und sehen zu, wie Männlein und Weiblein sich das Jawort geben. Vielmehr geht es um die Vereinigung von Karosserie und Antriebsstrang. Und auch, wenn man das bereits 100-mal gesehen hat: Es ist schon was besonderes, zu beobachten, wie hier zusammenwächst, was zusammengehört – wobei der größte Brocken am "Antriebsstrang" natürlich die Unterflur-Batterie ist.

Die Hochzeit erfolgt hochautomatisiert, 160 (Kuka-)Roboter versehen hier ihren Dienst, der Automatisierungsgrad stieg von 15 auf 30 Prozent. Drüben im Karosseriebau, wo wir vorher eben waren – mit 500 Millionen Euro die größte Einzelinvestition in Zwickau (1,2 Milliarden Euro sind es total) – sind es noch viel mehr, ein Gutteil der insgesamt 1.700 Fertigungsroboter tummelt sich dort. Ferner bedienen im Werk 500 "fahrerlose Transportsysteme" mit ihren Bauteilen, den schweren Batterien etwa, die jeweiligen Montagelinien.

1000 ID.3 wurden bereits produziert.
Foto: Volkswagen

Nicht weniger, aber anders

Mit 89 Prozent Automatisierungsgrad im Karosseriebau toppt man den vom Golf 7 (85) nochmal. Das bedeute aber nicht weniger Mitarbeiter, erläutert der hiesige Leiter Heiko Rösch, sondern andere Tätigkeitsfelder. In einem bestimmten Teilbereich hätten sich gleich 70 Mitarbeiter zu Umschulungen gemeldet, "mit dem Interesse hatte ich gar nicht gerechnet. Ich freu mich riesig auf die Leute!", insgesamt bleibe es im Karosseriebau bei 1.000 Beschäftigten.

Apropos Umschulungen: Bis Jahresende kommen laut Patrick Hofbauer 13.000 Trainingstage zusammen, insgesamt gab es 306 Schulungsthemen, 1.500 Personen machten einen "Hochvolt-Führerschein", und nach anfänglicher Skepsis haben die 8.000 Mitarbeiter inzwischen offenbar Feuer gefangen, es überwiegt nun allem Anschein nach die Zuversicht.

In Halle 5 werken 250 Mitarbeiter pro Schicht (Endausbau: 340), 42 ID.3 laufen laut Holger Hollmann, hier für das Hochfahren der Produktion verantwortlich, jeweils vom Band. Wohin man blickt, überall herrscht geschäftige Aufbruchstimmung, soeben wurde der 1.000. ID.3 gefertigt.

Marktstart des ID.3 in Österreich ist im Sommer, Einstiegspreis: ca. 30.000 Euro.
Foto: Andreas Stockinger

8.000 Mitarbeiter für 30.000 Autos mehr

Halle 5, Presse, Karosseriebau, Lackiererei, sie alle stellen vor Weihnachten den Betrieb ein, los geht's wieder in der ersten vollen Jännerwoche, bis dahin werden noch diverse Ergänzungsarbeiten und -installationen getätigt.

Die Fertigungskurve wird flach hochgefahren, die Kammlinie soll im Sommer erreicht sein, im Endeffekt werden die 8000 Mitarbeiter jährlich im Dreischichtbetrieb 30.000 Autos mehr fertigen als in der Verbrenner-Ära, 330.000 MEBs (Modularer E-Antriebs-Baukasten) sind das dann – 1.500 täglich. Dazu wird auch die Taktzeit an den einzelnen Stationen von 120 Sekunden beim Golf auf 90 Sekunden beim ID.3 verringert.

Was man jetzt schon an den Bändern sieht? Viele, viele bunte ID.3, und dann und wann ein – nein, nicht weißer Elefant (Rilke), sondern Seat el-Born. Dazu reihen sich2020 der ID.4 (zugehörige Studie: ID Crozz) und Audi Q4 e-tron, und schon 2021 wächst die Modellvielfalt auf sechs MEB-Autos an, heißt: alle drei bis sechs Monate ein neuer Produktionsanlauf.

Um die ambitionierten Pläne in die Tat umzusetzen, wurde in Zwickau fleißig gebaut.
Foto: Volkswagen

Startschuss für die Mobilitätswende

Reinhard de Vries, der in Zwickau die Transformation zum E-Auto-Werk verantwortet, weist darauf hin, dass dies nur die Keimzelle, der Startschuss für die Mobilitätswende im Konzern sei. 60 Milliarden Euro investiere der in E-Mobilität und Digitalisierung, 33 davon für Erstere, bis 2029 sollten 75 E-Modelle auf der Straße sein.

Acht MEB-Werke gehen dafür bis 2022 in Betrieb, in Deutschland noch Dresden (Gläserne Manufaktur), Hannover und Emden, Jungbunzlau in Tschechien, Chattanooga in den USA sowie Anting und Foshang in China.

Und weil zur ökokorrekten Mobilität auch ein gleichrangiger Ansatz in der Produktion gehöre, sei der gesamte Produktionsprozess bis runter zu den Zulieferern auf CO2-Neutralität ausgelegt, so de Vries. Das Werk kaufe dafür "grünen Strom aus österreichischen Wasserkraftwerken".

Kluge Entscheidung, finden wir – und verlassen das Werk mit Blick auf den Slogan: "Energie:geladen. Tradition trifft Zukunft." Wie gesagt: Glühbirnchen statt Kerzen. Frohe Weihnachten! (Andreas Stockinger, 31.12.2019)