Inmitten der Streiks sind in Frankreich alle Augen auf den Ex-Lehrer Laurent Berger gerichtet.

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Nach zwei Wochen Streik verharren Reformer und Gegner auf ihren Positionen. Und zwar aus Prinzip. Präsident Emmanuel Macron auf der einen Seite verkörpert den technokratischen Anspruch der Pariser Verwaltungselite, die aus Prinzip recht hat. Auf der anderen Seite ebenso uneinsichtig Philippe Martinez, der schnauzbärtige Boss der Gewerkschaft CGT, die den Klassenkampf im Blut hat. Sie verlangt bewusst das Unmögliche, nämlich das bedingungslose Abrücken von der Macron-Reform.

Dazwischen balanciert Laurent Berger, der dritte Mann des Titanenkampfes. Der ehemals christliche Gewerkschafter steht seit 2012 der moderaten Gewerkschaft CFDT vor. Sie hat der ehemals kommunistischen CGT den Rang der größten Arbeitnehmervertretung Frankreichs abgelaufen, obwohl – oder weil – sie weniger radikal auftritt. Im Ausland kennt man sie weniger, da sie bei den typisch französischen Sozialkonflikten kaum in Erscheinung tritt.

Auch Laurent Berger verhandelt lieber im Hintergrund. Sein Vorbild ist das Modell der deutschen Mitbestimmung. Es entspricht zwar nicht dem französischen Naturell, das eine Einigung erst nach dem Clash vorsieht. In Wahrheit erreicht Berger aber mehr als die CGT. 2018 mäßigte er zum Beispiel Macrons Arbeitsmarktreform, während die CGT mit ihrem Rundum-Widerstand auch rundum auflief. Auch in der Rentenreform nimmt der kurz nach dem legendären Mai von 1968 geborene Westfranzose eine ebenso reflektierte wie tarierte Position ein.

Einige Schnittmengen

Er ist mit Macron einer Meinung, dass die Spezialpensionen für Eisenbahner, Metro- und Stromangestellte anachronistisch und sozial ungerecht sind.

Deshalb unterstützt Berger das Projekt des Präsidenten, eine universelle, das heißt auch für den Staatssektor gültige Pensionskasse einzuführen. Umso wütender reagierte er, als die Regierung vergangene Woche nicht nur das universelle Pensionssystem präsentierte, sondern noch eine faktische Erhöhung des Pensionsalters von 62 auf 64 Jahre drauflegte. Denn wie soll er nun seinen Kumpels klarmachen, dass die Macron-Reform nur Vorteile bringt? Wie soll er rechtfertigen, dass er den Schulterschluss aller Gewerkschaften vermeidet, indem er den Großdemos fernbleibt?

Zum Nachdruck nahm der CFDT-Boss am Dienstag erstmals seit langem wieder an einer Kundgebung mit den radikaleren Verbänden CGT und SUD teil. Er hielt sich allerdings am Ende des Pariser Umzugs und blieb nur kurz. Doch das Warnsignal an Macron ist klar: Wenn die Regierung ihr "Gleichgewichtsalter" von 64 Jahren nicht fallenlässt oder die prekären Berufe davon ausnimmt, wird die CFDT in die Gewerkschaftsfront übertreten. Zugleich macht Berger klar, dass er an sich eine "Waffenruhe" über die Festtage wünscht, damit Millionen von Franzosen Weihnachten bei ihrer Familie verbringen können.

Nicht um jeden Preis

So bewegt sich Berger auf des Messers Schneide: Einerseits führt er mit Macron Geheimverhandlungen, andererseits muss er den störrischen Eisenbahnern in seinem eigenen Verband gut zureden, damit sie stillhalten. Der unaufgeregte CFDT-Mann ist bereit zum Kompromiss, aber nicht um jeden Preis. Vor allem will er nicht als Macrons bester Freund dastehen. Wenn schon, als sein bester Feind. Macron weiß jedenfalls, dass er auf ihn angewiesen ist: Wenn er Berger verliert, verliert er im Pensionskonflikt. (Stefan Brändle aus Paris, 18.12.2019)