Foto: APA/AFP/JOHANNES EISELE

Das Computerspiel "Fortnite" sorgt für Furore. 250 Millionen Menschen auf der Welt spielen das Game. Die Spielprinzip ist simpel: 100 Spieler werden mit einem Fallschirm über einer Insel abgeworfen, wo sie um Waffen und andere Ressourcen konkurrieren. Wer als Letzter übrigbleibt, hat gewonnen. Das kostenlose Spiel finanziert sich vor allem über Mikrotransaktionen für Items, die Spieler gegen Zahlung freischalten können. Das bescherte dem Spielentwickler Epic Games 2018 einen Rekordgewinn von drei Milliarden Dollar.

Online-Games werden immer populärer. Spiele machen mittlerweile ein Drittel aller Installationen auf mobilen Endgeräten aus – Tendenz steigend. Die Zahl der Stunden, die man täglich mit Spielen verbringt, wächst jährlich um zehn Prozent, im Jahr 2018 lag sie allein bei Android-Geräten bei 130 Milliarden Stunden – das sind 14,8 Millionen Jahre. Rechnete man diese Zeit in volkswirtschaftlichen Nutzen um, käme hier ein beträchtlicher Wert zusammen. Dabei machen Spiele in den USA lediglich zehn Prozent der Zeit aus, die die Menschen in Apps verbringen. Die Hälfte entfällt auf soziale Medien und Messenger-Dienste.

144 Minuten, knapp zweieinhalb Stunden, verbringt jeder Nutzer pro Tag auf Social Media. Rechnet man dies bei einer angenommen Lebenserwartung von 72 Jahren hoch, würde man sechs Jahre und acht Monate seines Lebens auf Social Media verwenden – fast doppelt so viel wie mit Essen und Trinken. Ein Jahr und sieben Monate entfielen dabei auf Facebook.
Man kann darüber streiten, ob das nun verschwendete oder gut investierte Zeit ist. Doch angesichts der zunehmenden Zeitkontingente sozialer Medien in unserem Alltag stellt sich die Frage, wo man die Grenze zwischen Arbeit und Freizeit zieht. Ist ein Facebook-Like, mit dem man zum gigantischen Umsatz des Konzerns beiträgt, noch Freizeit oder schon Arbeit?

Arbeit oder Freizeit?

Gewiss, die Grenzziehung zwischen Arbeit und Freizeit ist auch in einer analogen Gesellschaft nicht so einfach. Man muss den Haushalt machen, Wäsche waschen, Kinder betreuen, kochen oder das Gepäckband selbst um den Koffer kleben, weil Fluggesellschaften diese Tätigkeit an ihre Kunden outsourcen – diese unbezahlte Arbeit fließt nicht in die Berechnung des Bruttoinlandsprodukts und ist auch sonst eine ökonomisch nicht wirklich greifbare Größe. Andererseits tut man häufig auch private Dinge im Beruf: Man plaudert in der Teeküche, shoppt im Online-Handel, schreibt Nachrichten auf Facebook oder schläft ein – Aktivitäten, für die man nicht bezahlt wird, über die Arbeitgeber aber meist großzügig hinwegsehen. Die Digitalisierung weicht diese Grenzen jedoch weiter auf – und führt zu einer völligen Neudefinition dessen, was Arbeit überhaupt ist.

Die Zahl der Stunden, die man täglich mit Spielen verbringt, wächst jährlich um zehn Prozent. Im Jahr 2018 lag sie allein bei Android-Geräten bei 130 Milliarden Stunden – das sind 14,8 Millionen Jahre.
Foto: APA/AFP/JOHANNES EISELE

Wer sich jemals gewundert hat, warum er bei Google auf einem Bilderrätsel Fahrzeuge oder Ampeln erkennen muss, um zu beweisen, dass er kein Roboter ist, dem sei gesagt, dass er damit die Bilderkennungsalgorithmen der Google-Schwester Waymo trainiert hat. Diese entwickelt Roboterfahrzeuge. Die Google-Nutzer werden für das Training von KI-Systemen eingespannt, ohne davon zu wissen, geschweige denn dafür bezahlt zu werden.

Auch Facebook-Nutzer müssen zuweilen aus Gründen der Authentifizierung Freunde und Bekannte auf Fotos identifizieren, womit sie den Gesichtserkennungsalgorithmus trainieren – unbezahlte Arbeit, die als Spiel daherkommt. Etwas transparenter, aber vom Prinzip her ähnlich funktioniert die Seite "Free Rice": Dort kann man mit einem Quiz Reis an Menschen in Not spenden. Für jede richtige Antwort schicken Sponsoren zehn Körner Reis an das Welternährungsprogramm der Vereinten Nationen. Man erspielt sich sozusagen seine Spende.

Mehrwert generieren

Der Medientheoretiker Julian Kücklich prägte dafür bereits 2005 den Begriff "Playbor", ein Kofferwort aus "play" (Spiel) und "labor" (Arbeit). Playbor sei nicht produktiv in dem Sinn, dass es in einem Produkt resultiert, vielmehr meint es den Prozess, der Mehrwert generiert. Das Produktionsmittel sind die Spieler selbst. Diese spielerische Arbeit sei von einer "Ideologie des Spiels" durchdrungen, "die effektiv Arbeit als Spiel maskiert und den Prozess der Selbstausbeutung als Selbstausdruck bemäntelt", schreibt Kücklich.

Man merkt der (Daten-)Arbeit die Arbeit nicht an, weil sie als Spiel oder in Form eines Wettbewerbs daherkommt. Das ist der perfide Trick der Sache. Und das macht es auch so schwer, diese Arbeitsbedingungen, die ja formal Freizeit sind, zu politisieren.
Der französische Sozialist und Gesellschaftstheoretiker Charles Fourier entwarf im 19. Jahrhundert die Utopie des Phalanstère, einer nach dem Schloss von Versailles modellierten Wohn- und Arbeitsanlage, in der Familien gemeinschaftlich Äcker bewirtschaften und Viehzucht betreiben sollten.

In dieser von jedem Zwang befreiten Genossenschaft sollte Arbeit zum Vergnügen werden. Das Projekt wurde nie realisiert. Es ist eine Ironie der Geschichte, dass ausgerechnet die kapitalistischen App-Entwickler diese sozialistische Idee vereinnahmen und Millionen Nutzer für sich spielend arbeiten lassen. (Adrian Lobe, 4.1.2020)