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Pro
von Ronald Pohl

Kaum ist das Glöckchen verstummt, schon steht das Malheur allen Beteiligten deutlich vor Augen. Die Geschenke sind wie üblich zum Vergessen. Der Geruch des von der Partnerin überreichten Rasierwassers lässt an flüchtige, lieblose Umarmungen im Hinterzimmer einer Fernfahrerkneipe denken.

Der gebackene Karpfen liegt wie Carrara-Marmor im Magen. Die Kekse ähneln Laubsägearbeiten von Montessori-Schülern. Sie verewigen sich im Nu an Bauch, Po und Hüften. Leise erbricht der Hund Fragmente seines Spielzeugs aus Vollgummi. Die Kinder finden den Christbaumschmuck "ätzend". Man möchte stillschweigend ins Rotweinglas flennen oder zum buddhistischen Glauben übertreten. Wäre da nicht am Christtag der alljährliche Besuch bei der Großmama. Sie nörgelt bereits, wenn man bei der Tür hereinkommt ("Was ist das für ein komischer Geruch? Hast du ein neues Parfum?"). Vollends nach Genuss ihres stark verbrannten Bratens schätzt man das eigene Elend von Herzen.

Kontra
von Doris Priesching

Der Weihnachtskater ist ein weitverbreitetes und dennoch unterschätztes Phänomen. Er hat weniger mit überhöhtem Alkoholkonsum jener armen Seelen zu tun, die sich nach erledigten Weihnachtseinkäufen im Suff Erleichterung verschaffen – ja, gut, das auch –, sondern entsteht vor allem in postweihnachtlicher Ernüchterung, und sehr oft hat diese nichts mit Alkohol zu tun. Viele, sehr viele Kinder können darüber berichten. Ich auch.

Als ich an einem Weihnachtsabend einmal plärrend vor der elektrischen Eisenbahn saß, die mir das Christkind brachte, mit der ich aber nicht spielen durfte, weil mein Vater sie okkupiert hatte und im Kleinkindmodus andauernd "Noch einmal, noch einmal!" schrie, lernte ich den Weihnachtsfrust kennen. Am nächsten Tag war dem Vater das Spielzeug egal, es gehörte mir. Da aber Christtag war, kamen die Tanten und Onkels, Cousins und Cousinen. Ihnen gefiel die Eisenbahn auch. Am Stefanitag war die Eisenbahn hin. Ich weinte nicht mehr.

(RONDO, 25.12.2019)