Nicht jeder, der allein ist, fühlt sich auch einsam. Wer allerdings darunter leidet, leidet eher an bestimmten Erkrankungen.

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Weihnachten ist das Fest der Familie. Man sitzt zusammen, isst gemeinsam, schmückt die Tanne im Wohnzimmer, packt Geschenke aus, lacht und ist glücklich – so oder so ähnlich hätten es zumindest viele Menschen gerne. Die Realität sieht jedoch oft anders aus: Die Kinder bleiben weg und feiern das erste Mal mit der eigenen Familie, der Partner ist verstorben oder man ist single.

Weihnachten ist deshalb auch eine Zeit, in der sich viele Menschen einsam fühlen. Das Fest offenbart die Diskrepanz zwischen den engen Kontakten, die sie gerne hätten, und der Realität, in der sie, von anderen Menschen getrennt, leben.

Lage in Österreich

Bei vielen geht dieser "Feiertagsblues", das Gefühl von Einsamkeit, schnell wieder vorbei. Bei anderen hält er jedoch an oder war schon vorher da und wurde durch die Weihnachtstage nur verstärkt: In Österreich fühlen sich laut einer Untersuchung des Joint Research Centre der Europäischen Kommission tatsächlich fünf bis sieben Prozent der Bevölkerung oft einsam.

Das Recherchecenter sieht in der Einsamkeit jedoch nicht nur eine persönliche Befindlichkeit, sondern ein Gesundheitsrisiko – nahezu so gefährlich wie Übergewicht und Rauchen. Das klingt erschreckend? Doch lässt sich das wissenschaftlich belegen? Kann ein Gefühl wie Einsamkeit wirklich krankmachen?

Stresshormone im Blut

Tatsächlich gibt es mittlerweile zahlreiche Studien, die genau diesen Zusammenhang vermuten. Forscherinnen und Forscher der University of Chicago in den USA haben beispielsweise bereits im Jahr 2010 in einer umfassenden Übersichtsarbeit gezeigt, dass Menschen, die sich häufig einsam fühlen, im Schnitt mehr Stresshormone im Blut hatten und öfter unter Bluthochdruck und Depressionen leiden – alles Risikofaktoren, die die Wahrscheinlichkeit erhöhen, später einen Herzinfarkt oder einen Schlaganfall zu bekommen.

Die Studienautoren betonen jedoch, dass Einsamkeit verschiedene Dimensionen hat und nicht zu verwechseln sei mit sozialer Isolation. "Für sich genommen macht Einsamkeit nicht krank", bestätigt Stephan Doering, Leiter der Klinik für Psychoanalyse und Psychotherapie der Medizinischen Universität Wien. Denn Einsamkeit sei in erster Linie ein Gefühl, das jeder Mensch unterschiedlich bewertet. So gibt es beispielsweise Menschen, die hin und wieder ganz gerne einsam sind – etwa weil sie die Ruhe genießen oder auch wissen, dass dieser Zustand bald wieder vorbei ist. Andere können mit dem Gefühl hingegen gar nicht umgehen, und das löst Einsamkeit, Ängste, Scham und Selbstzweifel aus. Ein Beispiel: Eine verheiratete Frau kann sich trotz eines erfüllenden Berufslebens und einer glücklichen Partnerschaft einsam fühlen. Das Gleiche gilt für einen jungen Studenten oder eine Berufsanfängerin, der oder die an Depression leidet und es wegen der Erkrankung nicht schafft, ernsthafte Beziehungen einzugehen. Auf der anderen Seite muss sich ein allein lebender Single nicht einsam fühlen, ebenso wenig wie ein 95-Jähriger.

Auf lange Sicht

"Schwierig wird es hingegen, wenn das Gefühl von Einsamkeit nicht mehr weggeht und die Betroffenen unter ihrer Einsamkeit oder auch gefühlten sozialen Isolation leiden", so Doering. In solch einer Situation werde Einsamkeit zu einem Stressempfinden, und ja, dies könne Menschen auf lange Sicht krankmachen, wie die Studie der University of Chicago zeige. In diesem Sinne ist es nicht die Einsamkeit, die den Menschen auf die Gesundheit schlägt, sondern der Stress, der entsteht, wenn eine Person unter dem Gefühl der Einsamkeit leidet.

Eine Untersuchung der University of Helsinki in Finnland, die Anfang 2019 erschien, stellt den Zusammenhang von gefühlter Einsamkeit und Krankheit sogar generell infrage. Für die Studie analysierten die Wissenschafterinnen und Wissenschafter die Daten von nahezu einer halben Million Britinnen und Briten zwischen 40 und 69 Jahren – und tatsächlich: Die Menschen, die sich einsam fühlten, hatten nicht nur häufiger Herzinfarkte und Schlaganfälle, sie starben sogar früher als diejenigen, die sich nicht einsam fühlten.

Dann nahmen die Forscherinnen und Forscher jedoch Risikofaktoren wie chronische Krankheiten, Übergewicht, Depressionen und Gesundheitsverhalten (etwa Rauchen) mit in die Analyse hinein, und siehe da: Der statistische Zusammenhang zwischen Einsamkeit und Krankheit verschwand. Im Gegensatz zum Fall soziale Isolation: Diese hatte auch nach dem Herausrechnen der anderen Risikofaktoren einen – wenn auch schwachen – Zusammenhang mit Herz-Kreislauf-Erkrankungen.

Das Umfeld hilft

Dass soziale Isolation auf Dauer der Gesundheit schadet, ist gut nachvollziehbar: "Denn Freunde, Partner, Eltern, Kinder, Nachbarn und Kollegen sind nicht nur ein emotionaler Beistand, sondern passen auch auf einen auf, wenn es einem schlecht geht und man vielleicht sogar ärztliche Hilfe braucht", erklärt Psychotherapeut Doering.

Ein gutes soziales Umfeld hat für die Gesundheit damit einen ganz praktischen Nutzen – und ist unter dem Begriff "soziale Teilhabe" auch Aufgabe der Politik. Denn viele Menschen, die nicht einmal genug Geld haben, um am Wochenende mit Freunden ins Kino zu gehen, oder sich selbst den Cappuccino im Café nicht leisten können, ziehen sich zurück, isolieren sich also selbst, obwohl sie sich eigentlich etwas anderes wünschen. (Stella Hombach, 22.12.2019)